SZ-Gespräch mit PKK-Geisel:"Das war schon grenzwertig"

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Lars Reime, eine der inzwischen freigelassenen PKK-Geiseln, über die Gefangenschaft in den Bergen, den Umgang mit den Entführern und den Moment, den er nicht vergessen kann.

Christine Burtscheidt

Zwölf Tage lang war Lars Reime, 33, in Gefangenschaft der PKK. Der Ingenieur aus dem oberbayerischen Laufen wurde mit zwei weiteren Bergsteigern beim Aufstieg auf den Berg Ararat in der Türkei entführt.

Lars Reime am 21. Juli bei der Ankunft am Münchner Flughafen (Foto: Foto: AP)

SZ: Was können Sie nicht vergessen?

Reime: Es ist die Szene, als entschieden wurde, wer als Geisel mitgehen muss. Das war sehr einschneidend. Die Entführer haben uns selektiert.

SZ: Wie kam es denn dazu?

Reime: Wir wollten um 24 Uhr losgehen und den Gipfel machen, nachdem der Tag vorher verschneit und verregnet war. Wir lagen gerade dösend in unseren Zelten, als um 21 Uhr an den Stangen gerüttelt wurde und es hieß: Wir sollten aufstehen und rauskommen. Erst weigerten wir uns, doch dann sagte einer, sie seien von der PKK. Da wurde uns schon anders zumute. Wir sind dann vor das Zelt und sahen einen mit einer Waffe dastehen. Der dirigierte uns zum Küchenzelt, wo gleich zwei, drei Leute mit Kalaschnikows standen.

SZ: Hatten Sie Angst?

Reime: Im ersten Moment dachte ich noch: Was passiert da eigentlich? Da hatte ich noch keine Angst. Wir mussten uns alle hinsetzen, und ein Sprecher der PKK-Gruppe erklärte uns, dass Deutschland eine kurdenfeindliche Politik betreibe. Dann erzählte er uns von der Schließung eines Senders und der europäischen Terrorliste, auf die die PKK auch wegen des Zutuns der Bundeskanzlerin Merkel gesetzt worden sei. Aus all diesen Gründen werde er nun drei bis vier Geiseln mitnehmen. Sie bräuchten Junge, die über Stock und Stein mitlaufen könnten, was dann auch so kam.

SZ: Wie hat die Gruppe reagiert?

Reime: Manchen schossen gleich Tränen in die Augen. Helmut Hainzlmeier sagte, er sei der Gruppenleiter und erklärte sich bereit mitzugehen. Ich selbst wollte überhaupt nicht mit. Ich stand ganz hinten, habe gezittert und an meine Tochter und meine Frau gedacht. Kurz darauf wurde Martin Scholz ausgewählt, und dann engte sich der Kreis um mich immer mehr ein. Die PKK wollte keine Alten, keine Frauen, keine, die nicht fit genug waren. Ich ging dann aus dem Zelt, um einen Sack zu holen, und hoffte ganz egoistisch, in der Zwischenzeit würde ein anderer ausgewählt, doch als ich zurückkam, hatte man sich für mich entschieden. Ich war total schockiert, versuchte meinen Hals noch aus der Schlinge zu ziehen, erzählte von einem verletzten Fuß und meiner kleinen Tochter. Doch da war nichts mehr zu machen.

SZ: Wohin gingen Sie dann?

Reime: Wir sind die ersten Tage in Richtung Osten, zum Klein-Ararat gegangen. Die erste Nacht sind wir unheimlich schnell gelaufen, was uns ziemliche Schwierigkeiten bereitete. Wir hatten nur leichte Kletterschuhe dabei, keine Wanderstiefel. Immer mal wieder stolperte einer von uns, und es schoss mir durch den Kopf: Was passiert, wenn du dir jetzt ein Bein brichst? Die tragen dich doch nicht auf einer Bahre mit.

Im zweiten Teil erzählt Reime von den schlimmsten drei Tagen der Gefangenschaft - und wann er sich wieder frei fühlte.

SZ: Die schrecklichsten drei Tage haben Sie in einer Höhle verbracht.

Reime: Die Terroristen glaubten nach drei Tagen, dass die Türken Militäroperationen planen. Daraufhin hieß es: Wir müssten jetzt in die Höhle. Das war sehr schlimm. Wir bekamen Brot, Tomaten, Gurken und etwas Oliven. Aber wir mussten durch zwei kleine Löcher kriechen und dann acht Meter nach unten absteigen. Dann kam man zu einem Erdschlitz, der drei Meter breit und vielleicht 15 Meter lang war, wo man weder richtig liegen noch sitzen konnte. Überall waren Flöhe und es stank nach dem eigenen Kot. Wir saßen dort drei Tage in der Dunkelheit. Das war schon grenzwertig und ging stark an die Psyche.

SZ: Wie haben die Entführer Sie behandelt?

Reime: Wie Gäste. Das hatten sie uns schon am Ararat versprochen. Sie waren immer freundlich. Wir durften auch Deutsche Welle hören. Wir ahnten bald, dass man uns nichts antun wollte, und wussten, dass die Entführung sechs bis sieben Tage dauern sollte und dass es das Ziel der PKK war, damit große Aufmerksamkeit in Deutschland zu erzeugen.

SZ: Haben Sie je an Ihrer Freilassung gezweifelt?

Reime: Wir hatten ein ganz schlimmes Erlebnis. Drei, vier Tage, bevor wir frei kamen, hörten wir im Radio, dass sich die PKK und die Türkei nicht auf einen Vermittler für unsere Übergabe einigen konnten. Wir waren moralisch total unten und hatten Riesenangst, dass die Türkei militärisch eingreift.

SZ: Wann erfuhren Sie, dass die Entführer Sie wirklich freilassen?

Reime: Am letzten Abend in der Höhle. Da kamen die PKK-Entführer und sagten uns: Helmut, Martin, Lars - Almanya! Wir schlussfolgerten: Aha, jetzt geht es wieder nach Hause.

SZ: Fürchteten Sie einen Angriff des türkischen Militärs?

Reime: Zum einen konnten wir uns nicht vorstellen, wie eine Befreiungsaktion in so einem unwegsamen Gelände überhaupt gelingen sollte. Wie man sich anschleichen könnte, ohne dabei entdeckt zu werden. Zum anderen hatten wir, selbst wenn die PKK mit uns freundlich umging, keine Garantie, dass wir bei einem Schusswechsel nicht als Schutzschild herhalten müssten. Ich habe mich jedenfalls das ein oder andere Mal umgeschaut, hinter welchen Stein ich mich notfalls werfen könnte.

SZ: Wie erlebten Sie die Übergabe?

Reime: Am vorletzten Tag sind wir nachts losgegangen, kamen morgens in ein Dorf, und wurden einem 15-jährigen Jungen übergeben, der mit uns über einen Hügel ging, wo wir dann warteten. Auf einmal pfiff einer herüber, kam her, gab uns unsere Handys und Kameras und fuhr uns mit einem Auto zu einer Militärkontrolle, wo der Polizeipräsident der Region einstieg und uns in eine Kaserne brachte. In der Zwischenzeit hatte ich über Handy schon meine Frau erreicht.

SZ: Was sagten Sie Ihr?

Reime: Wir sind frei! Danach brach die Verbindung ab.

SZ: Wann hatten Sie erstmals wieder das Gefühl von Freiheit?

Reime: Als ich das Auto sah. Auf der Fahrt zur Militärkontrolle war ich sehr ergriffen. Sicher habe ich mich aber erst gefühlt, als während einer chaotischen Befragung durch die türkische Polizei zwei Leute vom Bundeskriminalamt auftauchten. Das waren zwei super Männer. Die sagten uns: Da müsst Ihr noch durch, dann nehmen wir euch mit. Abends waren wir noch ein Bierchen trinken.

SZ: Wie gehen Sie mit alldem um?

Reime: Das kann ich noch nicht sagen. Die Frage müssten Sie mir nochmal in ein paar Wochen stellen. Noch ist so viel Trubel um mich herum. Immerhin habe ich zwei Nächte gut geschlafen und keine Alpträume gehabt.

© SZ vom 24.07.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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