Schutzmaßnahmen in den Alpen:Die Lawinenfänger

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Hölzerne Dreibeine und Schneerechen: Weil der Bergwald immer lichter wird, muss der Staat viel Geld in künstliche Schutzbauten investieren.

Christian Sebald

Die Kante, an der die Schneedecke abgerissen ist, misst gerade mal zwei Baumlängen. Und doch haben sich Hunderte Tonnen Nassschnee den Steilhang hinabgewälzt. Erst nach gut 150 Metern hat der Bergwald die Lawine gestoppt. Hätten die Schneemassen nur etwas mehr Wucht gehabt, dann hätten sie die Bundesstraße von Oberau in Richtung Oberammergau verschüttet. Doch so brausen die Autofahrer wie immer den Ettaler Berg hinauf - nicht ahnend, welche Naturgewalt oben am Berg getobt hat.

Ein verschneites Hinweisschild auf warnt vor Lawinengefahr. (Foto: Foto: ddp)

"Dabei war die Lawine nur eine von vielen, die in diesen Tagen hier am Ettaler Berg abgegangen sind", sagt der Förster Markus Hildebrandt. "Wenn da nicht der Bergwald wäre." Die Bergwälder sind die wichtigsten Wälder Bayerns. Sie schützen Siedlungen und Verkehrswege in den Tälern vor Lawinen, Hochwasser, Erdrutsch und Steinschlag. Allein die Nadeln und Blätter ihrer Bäume fangen die Hälfte der Niederschläge ab.

Ansonsten würden sie ungehindert in den Boden eindringen und seine Erosion noch mehr beschleunigen. Aber auch die Wurzeln festigen das Erdreich. So bremsen dichtstehende Bäume selbst extreme Lawinen von hundert und mehr Metern Breite zumindest ab. Und deshalb sind 150.000 der 250.000 Hektar Bergwald in Bayern als Schutzwald eingestuft.

Leckerbissen für das Wild

Die Bergwälder sind aber auch die am meisten gefährdeten Wälder. Nicht nur weil Luftverschmutzung und Klimawandel am Berg viel mehr alte Bäume absterben lassen als in tieferen Lagen. Auch junge Bäume kommen hier viel schwerer hoch. Das hat nicht nur mit den raueren Bedingungen im Gebirge zu tun. Sondern vor allem damit, dass dort viel zu viele Rehe, Hirsche und Gämsen leben. Sie fressen die jungen Bäume zusammen.

Vor allem junge Tannen, Buchen und Ahornbäume sind Leckerbissen für das Wild. So sind die meisten Bergwälder nach wie vor fast reine Fichtenbestände und damit extrem anfällig für Schädlinge und - wegen der flachen Wurzeln der Fichten - Stürme und Windwürfe.

Wie viele Lawinen in diesem Winter bereits in den bayerischen Bergen abgegangen sind, kann keiner abschätzen. Es dürften Hunderte sein. Aber selbst Fachleute wissen nur von den größten. So sind am Hirschberg am Tegernsee gigantische Schneemassen ins Söllbachtal gestürzt. "Aber ansonsten haben wir noch keinen Überblick", sagt Bernhard Zenke, der Chef des Lawinenwarndienstes. "Wir sind noch viel zu sehr im aktuellen Warngeschäft, als dass wir uns um die Dokumentation kümmern könnten." Zumal neue Schneefälle angekündigt sind und die Lawinengefahr wieder steigen dürfte. "Bis wir wirklich abschätzen können, was seit Mitte Februar passiert ist, vergehen noch Wochen", sagt Zenke.

Beobachtung aus Flugzeug

Förster Hildebrandt, der für den Schutzwald im ganzen Oberland zuständig ist, ist immerhin schon mit einem Kleinflugzeug das Werdenfelser Land und die Region am Sylvenstein-Speicher abgeflogen. "So zynisch es klingt, unten am Boden bekommt man eine Lawine meist nur dann mit, wenn sie einen Menschen oder eine Straße verschüttet", sagt er, "alle anderen, und das sind die meisten, erkennt man nur, wenn man über sie hinwegfliegt." So hat Hildebrandt bei seiner ersten Erkundung nicht nur die Lawinen am Ettaler Berg entdeckt, sondern welche am Walchensee, am Fahrenberg, dem Vorberg des Herzogstands.

Die Lawinen am Fahrenberg haben es in sich. "An ihnen", sagt der Förster, "kann man studieren, was passiert, wenn der Bergwald ausfällt." Der Schutzwald am Fahrenberg ist über die Jahre hinweg fast völlig kaputtgegangen. Nur noch karge Reste von Föhren ziehen sich seine Steilhänge hoch, auf den weitläufigen kahlen Flächen dazwischen können die Schneemassen ungehindert in Richtung Walchensee hinunterrasen.

Um das zu verhindern, haben die Forstleute massive Verbauungen errichtet. Dort wo einst ein dichter Nadelwald wuchs, ragen nun übermannshohe hölzerne Dreibeine in die Luft, mit schweren Stahltauen tief im Untergrund verankert. Etwas weiter oben sind massive Schneerechen installiert. "Die haben die Schneemassen auch einigermaßen gehalten, wenn auch lange nicht so effektiv wie ein intakter Schutzwald", sagt Hildebrandt. "Doch dort, wo keine Verbauungen stehen, haben sich gigantische Schneefelder gelöst."

Der Bergwald am Fahrenberg ist nicht der einzige in Bayern, der extrem geschädigt ist. Ungefähr 13.000 Hektar - also fast zehn Prozent des Schutzwaldes - sind so kaputt, dass sie saniert werden müssen, wie Aufforstungen im Beamtendeutsch heißen. Die Fläche der "vordringlich zu sanierenden Schutzwälder", also der Bergwälder, um die es am schlimmsten bestellt ist, ist seit Ende der achtziger Jahre sogar um 1000 Hektar angestiegen. Und das, obwohl der Freistaat jedes Jahr fast drei Millionen Euro in die Schutzwälder pumpt und Millionen Baumsetzlinge hat pflanzen lassen.

Hubert Weiger, Chef des Bundes Naturschutz, fordert deshalb, dass der Freistaat seine Fördermittel massiv aufstockt. Sein Argument: Auch wenn Aufforstungen teuer sind, so sind sie doch um ein Vielfaches günstiger als jede andere Vorsorge. Das bekräftigt Förster Hildebrandt: "Die Pflanzung eines Hektars Bergwalds kostet 30.000 Euro. Die einfachste Lawinenverbauung dagegen summiert sich auf der gleichen Fläche auf wenigstens 200.000 Euro."

© SZ vom 06.03.2009/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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