Schulsport:Nach Protokoll und Stechuhr

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Bayerns Schüler sollen sich mehr bewegen - manche Schulen machen daraus eine bürokratische Schikane.

Christine Burtscheidt

Walter Müller (Name geändert) traute seinen Augen nicht, als vergangene Woche ein Brief von der Grundschule seiner Tochter kam. "Bitte achten Sie darauf, dass Ihr Kind am Montag, Donnerstag und Freitag bereits pünktlich zur Vorviertelstunde in der Schule ist", hieß es darin. Also schon um 7.45 Uhr statt regulär um acht.

Neben dem regulären Schulsport sollen Bayerns Schüler sich während der Unterrichtszeit jetzt noch zusätzlich bewegen. (Foto: Foto: Siegfried Fries/pixelio.de)

Man wolle, lautete die Erklärung, die Zeit sinnvoll für Korrekturarbeiten und Organisatorisches nutzen, um "unser Bewegungsprogramm von täglich 20 Minuten ohne Zeitprobleme durchzuführen". Das bedeutet: An der Schule wird die Unterrichtszeit wöchentlich um eine Stunde verlängert, um die Kinder zu mehr körperlicher Tüchtigkeit anhalten zu können.

Die Aufforderung geht auf die Initiative "Voll in Form" des bayerischen Kultusministeriums zurück. Minister Siegfried Schneider (CSU) erteilte dafür im Juli den Startschuss. "Wir wollen Bewegung und Ernährung noch stärker als bisher in den Schulalltag einbeziehen - zum Wohle der Schüler", ließ Schneider zum Auftakt wissen.

Ruhe vor den Lehrern

Die Ursache liegt auf der Hand: Kinder greifen oft schon mit 13 Jahren zu Zigarette und Alkohol und sie werden auch immer dicker. Mehr als 20 Prozent von ihnen leiden an Fettsucht, weil es ihnen an gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung mangelt. Die Folgen sind Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzbeschwerden.

Doch was sich so gut anhört, das wird in Bayern nicht hundert-, sondern gleich hundertfünfzig-prozentig geregelt. Per Schreiben aus dem Kultusministerium werden "mindestens 20 Minuten" Bewegung an den Tagen verordnet, an denen kein Schulsport stattfindet.

Und manche Einrichtungen überbieten selbst das noch: In Sonjas Schule müssen die Lehrer darüber Protokoll führen, wie sie die vorgegebene Zeit ausfüllen, damit sie ja keine Bewegungs-Minuten schwänzen und Schüler im Klassenzimmer sitzen bleiben. Sogar welche Spiele dabei bevorzugt und welche Sportarten trainiert werden, soll aufgezeichnet werden.

Nicht dass einer Schach spielt, während Völkerball angesagt ist. An Sonjas Grundschule sind die Sporttage der Montag, der Donnerstag und der Freitag. Sie hat beschlossen, das Training während der Pause abzuhalten. Dafür müssen die Kinder nun noch früher als sonst aufstehen.

Der bayerische Lehrerverband findet Sport wahrlich gut, doch dass nun auch noch die Pausen für die Ertüchtigung der Kinder herhalten müssen, sei übertrieben. "Die Pause ist dazu da, dass sich Schüler austoben und ihre Ruhe vor den Lehrern haben", sagt Präsident Klaus Wenzel.

Nicht schlimm, aber nicht notwendig

Ähnlich skeptisch steht der Elternverband zur Umsetzung der neuen Initiative "Voll in Form": "Wenn Pausen dazu benutzt werden, das Bewegungsprogramm durchzuführen oder der Schulunterricht verlängert wird, halten wir das für problematisch", sagt Vorstandsmitglied Margit Alfes. Im Kultusministerium weist man daraufhin: "Wie die 20 Minuten eingebracht werden, ist ins Belieben der Schulen gestellt."

Tatsächlich halten auch nicht alle Schulen eine solch bürokratische Form der Schüler-Ertüchtigung für notwendig. Zumindest von Protokollen über Volleyball und Fußball hat Dieter Nitschke noch nichts gehört.

Er leitet die Fürther Grundschule in der Märzstraße. Und dort läuft "Voll in Form" erst in der nächsten Woche an - nach einer Fortbildung, an der auch der Rektor teilnehmen will, um anschließend seine Lehrer über die neue Maßnahme zu informieren.

Selbst hat er erhebliche Zweifel an ihr: "Die Aktion mag nicht schlimm sein, sie ist aber auch nicht notwendig." An seiner Schule jedenfalls kennt er keinen Pädagogen, der mit den Grundschulkindern sechs Stunden Stoff einfach so durchpaukt, ohne dass sich die Kinder zwischendurch mal bewegen dürften. Gerade in den ersten beiden Klassen nehme die Bewegung zum Beispiel mit vielen Singspielen eine wichtige Rolle im Unterricht ein, berichtet er.

Gemeinsamer Obststückchenverzehr

Auch die strikte Vorgabe von 20 Minuten hält er für problematisch. "Was ist, wenn es nur 19 Minuten sind? Hat das dann für den Lehrer Konsequenzen?" Andererseits weiß er nach 32 Jahren Schulerfahrung, dass man als Lehrer über so einigem, mit dem sich die Politik profilieren will, stehen muss: "Wir bekommen doch fast täglich neue Anweisungen."

Doch das Kultusministerium kümmert sich nicht nur um die Bewegung der Schüler, sondern auch gleich noch um ihre Ernährung. Was eigentlich gut ist, weil viele Kinder sich von Fast Food ernähren. Dennoch regen sich Eltern auch darüber auf.

So hat das Ministerium mit seinem Programm "Voll in Form" die 2300bayerischen Grundschulen von September an verpflichtet, "in regelmäßigen Abständen ein gemeinsames Schulfrühstück" einzunehmen, wie es im Schreiben an die Schulleiter heißt. In Sonjas Klasse müssen die Kinder nun einmal die Woche ein Obststückchen mitbringen, was Vater Müller als staatlichen Eingriff in seine Privatsphäre sieht.

© SZ vom 09.10.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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