Schicksal eines Ägypters:"Die Angst frisst unsere Seele auf"

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Seit sieben Monaten ist der Ägypter in der Klinik in Bad Aibling. Yahia Abu Bakr ist seit seinem Unfall querschnittsgelähmt. Jetzt wird er nach Abu Dhabi zurückgeschickt - in eine ungewisse Zukunft.

Dietrich Mittler

Die Zeit von Yahia Abu Bakr in Deutschland läuft ab. Am Dienstag wird der 32-jährige Ägypter zurück nach Abu Dhabi in den Arabischen Emiraten gebracht. Abu Bakr ist querschnittsgelämt, sieben Monate lang war er nun in der Obhut der neurologischen Klinik im oberbayerischen Bad Aibling.

Seit einem Unfall auf einer Bohrinsel ist der Ägypter Yahia Abu Bakr querschnittsgelähmt (Foto: Foto: oH)

Der junge Mann redet nicht viel. Er hat Angst - maßlose Angst. Angst vor der Macht seines früheren Arbeitgebers, der er sich hilflos ausgeliefert fühlt. Vor kurzem noch stand sein Schicksal auf Messers Schneide. Die Nationale Ölbohrgesellschaft in Abu Dhabi wollte für ihren verunglückten Hilfsarbeiter nicht länger die Behandlungskosten im fernen Deutschland übernehmen. Abu Bakr solle in sein Heimatland Ägypten zurückkehren und sich mit einer Abfindung in Höhe von 40.000 Euro zufrieden geben.

"Das wäre sein Todesurteil gewesen, denn das Geld wäre innerhalb weniger Monate für die medizinische Behandlung draufgegangen", sagt Hassan Abu Bakr, einer der Brüder des Patienten. Denn sein Bruder ist auf ständige qualifizierte medizinische Hilfe angewiesen.

Die Verletzungen, die sich Yahia Abu Bakr ohne eigenes Verschulden durch einen Arbeitsunfall an einer Bohrstelle mitten in Wüste zugezogen hat, sind so schwer, dass er von der Schulter an gelähmt ist.

An der rechten Hand kann er gerade noch den Daumen minimal bewegen, im linken Arm quälten ihn zunächst heftige Schmerzen. Sie konnten durch Medikamente inzwischen eingedämmt werden. Damit er qualfrei atmen kann, haben ihm die Ärzte in Bad Aibling eine Trachealkanüle gelegt, um Lungenröhre und Bronchien absaugen zu können.

"Der Patient benötigt eine medizinische Umgebung, die mit dem Umgang von Trachealkanülen erfahren ist", sind sich die Ärzte sicher. In einem Schreiben an einen Vertreter der National Drilling Company (NDC) heißt es: "In der derzeitigen Situation sehen wir für den Patienten keine Möglichkeit der häuslichen Versorgung."

Zusammen mit seinem älteren Bruder Mohammed, seiner jüngeren Schwester Muna und der 67 Jahre alten Mutter wacht der 34-jährige Hassan seit Monaten täglich am Bett seines querschnittsgelähmten Bruders.

Ursprünglich wollte die NDC die Zahlungen bereits zum 15. Juni einstellen. "Wenn das passiert wäre, hätte ich mich mit meinem kranken Bruder vor die Klinik auf die Straße gesetzt, damit alle Welt sieht, was uns die NDC antut", sagt Abu Bakr.

Vermittlerrolle zwischen Familie und Arbeitgeber

Den Ärzte in der Neurologischen Klinik Bad Aibling, die in der arabischen Welt einen hervorragenden Ruf genießt, wuchs in dieser prekären Situation immer mehr eine Vermittlerrolle zwischen der Familie des Verunglückten und der Ölbohrgesellschaft zu. "Wir haben viele Gespräche geführt und viel Zeit investiert", sagt Eberhard Koenig, der ärztliche Direktor der Klinik.

Es sei durchaus verständlich, dass sich die Familie um das Schicksal ihres verunglückten Verwandten sorge. "In den Emiraten haben Gastarbeiter längst nicht die Rechte, die Arbeiter aus fremden Ländern bei uns in Deutschland genießen", sagt Koenig.

Yahia Abu Bakr war einer aus dem namenlosen Heer der Gastarbeiter in den Arabischen Emiraten, die sich für wenig Lohn gefährlichen Arbeiten aussetzen. Er hatte gerade einmal gut zwei Monate als Hilfsarbeiter an einer Bohrstelle hinter sich gebracht, als am 3. Mai 2006 der Unfall passierte.

Weil an der Bohrstelle ein zu kleines Gewinde eingebaut worden war, entwich plötzlich Gas unter unvorstellbar hohem Druck und katapultierte Yahia Abu Bakr und einen weiteren Kollegen durch die Luft. Der Kollege hatte Glück im Unglück: Er landete auf seinen Beinen.

Yahia Abu Bakr hingegen schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Mit einem Auto brachten Kollegen den Schwerverletzten aus der Wüste zu einer Ambulanzstation und von dort in ein Krankenhaus -wertvolle Zeit verstrich ungenutzt.

Erst zwei Tage nach dem Unfall wurde der Querschnittsgelähmte operiert. "Wenn damals ein Europäer oder Amerikaner verunglückt wäre, hätte man wahrscheinlich einen Rettungshubschrauber geordert", sagt Hassan Abu Bakr bitter, "aber mein Bruder war ja bloß ein Ägypter."

Auch in Deutschland ist der 32-Jährige nicht unbedingt der Patient, den die Kliniken bei ihren Werbeaktionen im Nahen Osten im Auge haben. Bayerns Sozialministerin Christa Stewens, die regelmäßig auf der Gesundheitsmesse Arab Health in Dubai für die hohe Qualität der bayerischen Kliniken wirbt, verschweigt nicht, dass sie dabei in erster Linie die "oftmals zahlungskräftigen Patientinnen und Patienten" im Auge hat.

Dass Yahia Abu Bakr überhaupt nach Bad Aibling kam, hat er den Angaben seines Bruders zufolge einem amerikanischen Arzt im Sheik Khalifa Medical Center zu verdanken. Dieser setzte sich dafür ein, dass Abu Bakr zur Rehabilitation nach Bayern überwiesen wurde. I

"Sie möchten Yahia möglichst billig vom Hals haben"

In einem Brief an die deutsche Botschaft in Abu Dhabi sicherte die National Drilling Company daraufhin zu, sämtliche medizinischen Kosten zu übernehmen. "Nun aber möchten sie Yahia möglichst billig vom Hals haben", sagt Hassan Abu Bakr.

Das Leben seines Bruders sei zerstört - aber nicht nur seins, auch das der ganzen Familie. Die Mutter sei durch den Kummer selbst krank geworden, und sowohl Mohammed als auch Hassan Abu Bakr verzichteten seit Monaten auf dringend benötigte Einkünfte, um nahe bei ihrem Bruder sein zu können.

Einen juristischen Teilerfolg hat die Familie nun zumindest erzielen können. Die Firma muss dafür aufkommen, dass Yahia Abu Bakr wieder im renommierten Sheik Khalifa Medical Center in Abu Dhabi behandelt wird.

Doch Hassan Abu Bakr traut dem Frieden nicht - noch immer ist für ihn nicht geklärt, in welcher Weise die Ölbohrgesellschaft die Hilfsmittel wie Spezialbett, Rollstühle oder ein Absauggerät finanzieren wird und wie lange sein Bruder in Abu Dhabi bleiben darf.

"Die Angst", sagt Hassan Abu Bakr, "frisst unsere Seele auf. Jeden Tag, an dem wir auf eine Entscheidung warten, ein Stück mehr." Bad Aibling behält er indes in guter Erinnerung: "Die Ärzte dort haben alles für uns getan", sagt er.

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