Schanzen-Konstruktion:Garmisch ist sprungbereit

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Trotz fortwährender Streitereien und Problemen beim Aufrichten: Die neue Skisprungschanze in Garmisch-Partenkirchen steht.

Christian Sebald

War es die Feuchtigkeit? Der Schnee? Oder die Kälte? Günter Mayr weiß es nicht. Der 67-jährige Ingenieur hat mit seinen Kollegen schon viele außergewöhnliche Bauten hingestellt, einen Glastunnel am Mittleren Ring in München zum Beispiel und die riesige Wilhelmina Vogelfreifluganlage in Stuttgart.

Als junger Planer hat er beim Münchner Olympia-Dach mitgearbeitet. Aber so ein Finale wie bei der Aufstellung der neuen Skisprungschanze in Garmisch-Partenkirchen hat er in all seinen Berufsjahren nicht erlebt. Plötzlich versagten die hydraulischen Pressen, die den 55 Meter hohen Anlaufturm aufrichten sollten. Die ganze Nacht auf Mittwoch versuchten Spezialisten, die mannshohen Geräte zum Laufen zu bringen.

So misslich die Panne war, ernsthaft gefährdet war die Aufstellung der Schanze nicht. "Das wird schon", sagte Michael Maurer, der Präsident des Skiclubs Partenkirchen (SCP), der das traditionelle Garmischer Neujahrsspringen ausrichtet. "Jetzt wirft uns nichts mehr aus dem Gleis." Es ist gerademal siebeneinhalb Monate her, dass die "Alte Dame", wie die Garmischer ihre 1950 errichtete alte Schanze riefen, gesprengt wurde.

Die neue musste über den Sommer errichtet werden. Denn das Neujahrsspringen 2008, so die Vorgabe des SCP und der Marktgemeinde, dürfe keinesfalls ausfallen. Das Neujahrsspringen und der alpine Weltcup sind die sportlichen Großereignisse in Garmisch. Mit ihnen steht und fällt der Ruf von Garmisch als deutscher Wintersportort Nummer eins.

Gemischter Eindruck

Natürlich hat die neue Schanze das Zeug dazu, ebenso berühmt zu werden wie die "Alte Dame". Allein schon der 55 Meter hohe Anlaufturm mit seinen 35 Grad Neigung: Er ist ein Freischwinger und damit einzigartig unter den Anlauftürmen dieser Welt. Die 750 Tonnen schwere Konstruktion schwebt gleichsam in der Luft. Und so wie sich die Springerszene Sprünge von 140 Metern Weite erwartet, so erhoffen sich die Garmischer, allen voran ihr Bürgermeister Thomas Schmid, "ein neues Wahrzeichen". Es soll ihren Ort abheben von der Uniformität der anderen Wintersportgemeinden in Nah und Fern und ihm Schub verleihen im Ringen um den touristischen Aufschwung.

Doch wie alle anderen Projekte auch, die sie in Garmisch anpacken, begleiteten den Schanzenbau wüste Streitereien. Gleich zu Beginn nervten sich Gemeinderäte, Vereinsfunktionäre und Stammtische damit, dass es schier aussichtslos sei, ein so gigantisches Projekt in nur acht Monaten zu stemmen.

Dann wurde bekannt, dass die Kosten von einst 9,9 Millionen Euro auf wenigstens 14 Millionen explodieren - reichlich Munition für die Schlammschlacht, die sich Bürgermeister Thomas Schmid und die CSU seit dem Frühjahr liefern. Damals haben die Christsozialen ihrem einstigen Hoffnungsträger eine erneute Kandidatur bei der Kommunalwahl 2008 verweigert.

Längst ist der streitbare Rathauschef auch mit SCP-Präsident Maurer über Kreuz. Grund ist die Vermarktung der Schanze. Die Gemeinde hat einen Sponsor an der Hand, der ihr für die Namensrechte an dem Bau um die zwei Millionen Euro bezahlen will, "und zwar bei einer Laufzeit zwischen drei und fünf Jahren", wie Schmid sagt.

Allerdings verlangt der Sponsor, dass er auch bei dem äußerst werbewirksamen Neujahrsskispringen auftreten darf. Das verweigert der SCP. Er hat die Marketingrechte dafür schon vor Jahren dem Deutschen Skiverband übertragen, der sie wiederum an eine Agentur veräußert hat. "So wie sich der Herr Schmid das mit dem Sponsor vorstellt, geht das nicht", sagt Maurer. "Das hat er von Anfang an gewusst." Schmid hingegen spricht abschätzig von "Wahlkampfspielchen".

Wie auch immer, bisweilen entstand der Eindruck, einzig die Bauleute arbeiteten daran, dass die Schanze fertig wird. Wochenlang pflügten Bagger den Gudiberg um, dann wurde der Aufsprung modelliert. Derweil wurden im vorarlbergischen Nenzing die tonnenschweren Einzelteile des Freischwingers angefertigt und per Tieflader zum Gudiberg geschafft. Dort montierten die Arbeiter den Turm mit dem 104 Meter langen Anlauf. Und zwar am Boden, "gleichsam in Rückenlage", wie Planer Mayr sagt.

Die Pressen streikten

Am Dienstag kam der entscheidende Moment: Am Spätnachmittag sollte der Freischwinger aufgerichtet werden - mittels zweier Stahlseile. Die beiden armdicken und gut 20 Meter langen Taue waren an den unteren Enden des Anlaufs montiert, der steil in den Abendhimmel ragte. Ein jedes lief durch eine hydraulische Presse. Mit ihrer Zugkraft von maximal 800 Tonnen sollten die Maschinen den Freischwinger Zentimeter für Zentimeter in Position bringen. Zwölf Stunden hatte Mayr dafür angesetzt.

"Wenn die Leute morgen in der Früh aus dem Fenster schauen, funkelt die Schanze in der Morgensonne", scherzte Bürgermeister Schmid. Doch dann ließ die Kraft der Pressen aus. "Womöglich war es die Feuchtigkeit", sagte Ingenieur Mayr. "Vielleicht auch der Schnee oder die Kälte." Die Bauleute ließen sich nicht irritieren. Sie schafften neue Pressen herbei. In der Nacht stand die Schanze.

© SZ vom 29.11.2007/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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