Schaeffler-Krise:Mit dem Turbo gegen die Verzweiflung

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Eine Region wankt: Die Schaeffler-Krise scheint sie zu verschlingen, doch statt aufzugeben, kämpfen die Menschen um ihre Zukunft.

Max Hägler

Spät ist es geworden bei Christian Kindler. 2:04 zeigt die Uhr auf dem Computerbildschirm mittlerweile an. Seit Sonnenaufgang war der junge Gebäudereinigermeister in seinem Betrieb und abends noch bei einer Gesprächsrunde, wo es wieder mal um Schaeffler ging.

Demonstration in Herzogenaurach: Schnell ist die Krise über die Stadt gekommen, aber aufgeben und sich dem Schicksal ergeben, das wollen die meisten Menschen nicht. (Foto: Foto:)

Jetzt hat sich Kindler mit müden Augen noch einmal vor seinen Rechner gesetzt, um eine Mail aufzusetzen, an befreundete Unternehmer aus dem Ort. Ihm ist wieder ein Gedanke gekommen, wie Herzogenaurach aus dem Schaeffler-Schlamassel kommen könnte - das ist ihm wichtiger als der Schlaf.

Schnell ist diese Krise über Herzogenaurach gekommen, aber aufgeben und sich dem Schicksal ergeben, das wollen die meisten Menschen nicht. Vielleicht weil es zu rasch ging, um überhaupt nachdenken zu können. Vielleicht weil die Menschen noch gar nicht ahnen, wie schlimm es kommen kann.

Vielleicht weil das Machen hier in der Mentalität der Leute liegt. "Mit Arbeitslosigkeit können wir nicht umgehen", sagt Bernd Nicol. "Wir wissen einfach nicht, was das ist." Autohändler ist Nicol, verkauft Wagen einer großen bayerischen Marke - und nennt sich selbst einen pessimistischen Optimisten. An der Ecke seines Autohauses steht ein schnittiges und teures Cabrio mit Lederausstattung und silbernen Sternspeichen.

Im Schauraum laufen fesche Angestellte geschäftig auf hohen Hacken umher, ganz so, als wäre draußen keine Krise. Dabei meldet die Lokalzeitung auf der Titelseite die aktuelle Planung für einen "Notfonds für Unternehmen". Und über den modernen Flachbildschirm laufen die aktuellen Hiobsbotschaften aus der Weltwirtschaft.

Zehn Tassen Espresso

"Das mag alles sein", meint Nicol, "aber uns geht es gut." Natürlich habe er Absatzeinbrüche, gerade bei den Großkunden in der Region. Aber dennoch hat er in den vergangenen drei Wochen mehr als 35 Autos verkauft.

Überwiegend zwar kleine und mittlere Modelle, aber dank einer an die Abwrackprämie gekoppelten Aktion ist der Umsatz über dem geplanten Soll. Nischen finden, nennt der Autohändler das und Ideen haben - "so wie die Großeltern".

Die Nazis schickten Nicols Großvater und den späteren Adidas-Begründer Adi Dassler einst nach Dachau ins Konzentrationslager, weil diese sich dem Volkssturm verweigert hatten. "Sie überlebten, und so konnte eine dieser berühmten Herzogenauracher Ideen entstehen", erzählt Nicol begeistert, "die schraubbare Fußballstolle." Dann rennt er zum nächsten Termin.

Auch im nahen Gremsdorf, in der Behindertenwerkstatt der Barmherzigen Brüder, setzt man auf Ideen - obwohl auch hier, bei den Schwächsten, die Krise angekommen ist. 50 Männer und Frauen hatten Beschäftigung durch Aufträge von Schaeffler und von Siemens. Sie bestückten Kugellager, falteten Kartonagen, verpackten Ware. Doch seit Herbst wurden die Aufträge storniert, die Werkbänke sind leer.

Aber verzagen will Werkstattleiter Jürgen Ganzmann nicht. "Wir sehen in der Krise auch eine Chance", sagte er. Ein Teil der Behinderten produziert jetzt eben lächelnde Weihnachtspuppen samt roter Zipfelmütze für den nächsten Winter. Andere schrauben an Tischkickern. "Fußball geht auch in Krisenzeiten", meint Ganzmann, "man muss eben kreativ und innovativ sein."

Die Psychologin Christine Persterer trifft oft Menschen wie den Gebäudereiniger Kindler, den Autohändler Nicol oder Werkstattchef Ganzmann. "Eine ganze Reihe Menschen in Herzogenaurach sind immer noch zuversichtlich", sagt die Psychologin, die seit mehreren Jahren ihre Praxis hier betreibt - und deren Vater selbst 44 Jahre bei Schaeffler gearbeitet hat.

Drei Grundhaltungen hat sie ausgemacht in der Stadt: die Fleißigen, die angesichts der Krise rund um die Uhr arbeiten. "Die trinken lieber zehn Tassen Espresso, um durchzuhalten." Die Zuversichtlichen sind die zweite Gruppe. Und dann seien da noch die Menschen mit Angst. Immer mehr ihrer Patienten kommen von Schaeffler. "Die Leute suchen die Gesprächstherapie und nehmen deutlich mehr Schlafmittel und Antidepressiva."

Die einen kämpfen, die anderen leiden. Die Verkäuferinnen bei der Bäckerei Polster, einem Betrieb mit 100-jähriger Tradition, merken, dass etwas nicht stimmt in der Stadt. Seit Wochen reichen die Damen immer weniger Weckla, Brezen und Hörnchen über die Theke. Um 15 Prozent sei der Umsatz seit November zurückgegangen, sagt Bäckermeister Christian Polster. In der Faschingswoche sei der Umsatz sogar um 20 Prozent eingebrochen.

"Semmeln und Brot brauchen die Leute immer"

Polster kann es gar nicht begreifen: "Mein Vater hat gesagt: Semmeln und Brot brauchen die Leute immer."Aber wo keine Leute mehr sind, da wird eben auch kein Brot mehr gegessen. Viele der 8000 Schaeffler-Beschäftigten pendeln in die Stadt. In Zeiten der Kurzarbeit kaufen sie daheim ein.

Auch im Café Lindengarten, wo sich Gebäudereiniger Kindler und seine Mitstreiter mittags zur Strategiesitzung versammelt haben, läuft das Geschäft nicht mehr recht. Ulrike Brosch, die Wirtin, hat Kurzarbeit angemeldet für ihre drei festangestellten Kräfte, seit die Stammkundschaft aus der nahen Schaeffler-Zentrale ausbleibt. Und so steht Ulrike Brosch jetzt eben jeden Tag selbst an der Theke ihres Gründerzeit-Lokals. Am Revers den Anstecker mit dem Aufdruck "Auch wir sind Schaeffler".

Es ist der Satz, der die Leute aus Herzogenaurach eint in dieser Zeit. Und der bei Frau Brosch wirklich zutrifft. Von Schaeffler kommen ihre Kunden, bei Schaeffler macht ihr Sohn in den Ferien ein Praktikum als Mechatroniker. "Was bleibt also anderes als kämpfen", sagt Ulrike Brosch. "Ich gebe gerade 300 Prozent, weil ich meine Leute halten will, weil ich den Laden halten will. Und ich schaffe es."

Manche werden auf der Strecke bleiben

Vom Ruhrgebiet, wo alles ähnlich lief, nur viel langsamer, redet die Unternehmerrunde im Café und von der Zukunft der Marktwirtschaft. Aber vor allem sprechen sie von Hoffnung, vom Durchhalten, von der Chance in der Krise. Und dem riesigen Christbaum in New York. Diesem berühmten Symbol mit den Tausenden Lichtern. Diese Tradition sei auch in einer Phase der Depression begründet worden und habe Hoffnung gegeben. In diesem Stil wollen sie es auch hier halten in Herzogenaurach.

Denn es wird wieder aufwärtsgehen, auch wenn mancher auf der Strecke bleiben könnte. Christian Kindler hat das gerade am eigenen Leib erfahren. Ein guter Kollege von ihm, Innungsobermeister sogar, ist pleitegegangen - und Kindler hat einen Teil der Aufträge übernommen. Nüchtern sagt er das. Er freut sich nicht, dass er jetzt mehr Kunden hat, weil ein anderer gestrauchelt ist.

Beinahe entschuldigend klingt es, als er die Runde verlässt: "Die Arbeit muss gemacht werden, ich habe drei neue Objekte zu betreuen." Dann eilt er davon. Und abends sitzt er wieder am Computer und kämpft. Damit Herzogenaurach eine Zukunft hat.

© SZ vom 07.03.2009/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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