Rosenheim:Ärzte beantragen Kurzarbeitergeld

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Provokation im Honorarstreit: Mediziner in Rosenheim schicken Kassenpatienten nachmittags nach Hause und beantragen für ihre Mitarbeiter Kurzarbeitergeld.

D. Mittler

Obwohl die Arbeit in den Arztpraxen nicht ausgeht, haben Fachärzte im Kreis Rosenheim Kurzarbeit für ihre Mitarbeiterinnen beantragt und die örtliche Arbeitsagentur damit über Tage hinweg beschäftigt. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg gingen in der Rosenheimer Zweigstelle 38 solcher Anträge ein. Die Gewerkschaft Verdi kritisierte das Vorgehen der Mediziner als "Missbrauch des Kurzarbeitergeldes". Dieses sei ein wichtiges Instrument, um in der aktuellen Wirtschaftskrise möglichst viele Menschen vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Die Bundesagentur hat die Anträge allesamt abgelehnt.

Der Honorarstreit der Ärzte geht weiter. (Foto: Foto: dpa)

Die Mediziner begründen ihren Vorstoß damit, dass durch die Honorarreform ihre Einnahmen zu gering seien, um den Praxisbetrieb auf Dauer noch aufrechterhalten zu können. Dabei ist zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar, ob die Mediziner überhaupt existenzbedrohliche Einbußen werden hinnehmen müssen. Die ersten Abrechnungen liegen vermutlich erst Ende Juli vor. Trotzdem deckten die Mediziner aus Rosenheim die Beamten der Arbeitsagentur, die durch die Wirtschaftskrise bereits stark ausgelastet sind, mit Arbeit ein. Die Gewerkschaft Verdi ist empört. Das Kurzarbeitergeld diene nicht dazu, um Honorarvorstellungen von Ärzten durchzudrücken.

Axel Munte, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), steht grundsätzlich hinter den Rosenheimer Medizinern. Er rechnet sogar damit, dass bald schon Hunderte, wenn nicht Tausende Fachärzte in Bayern für ihre Mitarbeiterinnen Kurzarbeitergeld beantragen werden - "nämlich dann, wenn die befürchteten Honorareinbrüche durch harte Zahlen belegt sind". Dann sei "mit einer Antragsschwemme zu rechnen", sagte Munte, und die betroffenen Kollegen würden auch nicht davor zurückschrecken, abgelehnte Anträge vor Gericht anzufechten. Vor Monaten bereits hatte die KVB ihre Mitglieder in einem Merkblatt darüber informiert, wann, ob und wie Kurzarbeit beantragt werden kann.

Dabei wird der Streit um höhere Honorare schon seit Wochen auf Kosten der Allgemeinheit ausgetragen. Die Rosenheimer Ärzte etwa, die nun als Erste kollektiv den Weg zur Arbeitsagentur gingen, hatten in den ersten Maiwochen ihre Kassenpatienten nur noch am Vormittag behandelt. Der Nachmittag war den Privatpatienten sowie Notfällen vorbehalten, so wie dies in Italien gang und gäbe ist. Entsprechend nannten sie ihre Protestaktion "Die italienischen Wochen".

Als Höhepunkt der Protestaktion fand ein Protestmarsch zur Rosenheimer Agentur für Arbeit statt, wo die Anträge dem Agenturleiter in einem Wäschekorb übergeben wurden. Dolf Hufnagl, der Vorsitzende des Facharztvereins Rosenheim, nannte die Aktion einen Erfolg. Dominik Schirmer, bei Verdi Bayern zuständig für die Bereiche Soziales und Gesundheit, hat für derlei Taktiken keinerlei Verständnis: "Die Ärzte verhalten sich wie Hypochonder - sie täuschen falsche Tatsachen vor, um Leistungen zu beanspruchen, die sie de facto nicht benötigen."

Rückendeckung der Fachverbände

Gerade im Kreis Rosenheim, seien viele Zulieferbetriebe der Autoindustrie tatsächlich in einer schweren Krise. "Wenn aber ein Facharzt seine Praxis schließt, um zu protestieren, kann von unvermeidbarem Arbeitsausfall keine Rede sein. Sperre ich den Patienten die Eingangstür zu, dann produziere ich den Arbeitsausfall selbst", sagte Schirmer. Letztlich, so ist der Verdi-Funktionär sicher, missbrauchten die Fachärzte über diesen Weg ihre Beschäftigten und die Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen für ihren Honorarstreit. "Den Sachbearbeitern stiehlt man die Zeit, die sie zur Bearbeitung der echten Fälle brauchen."

Rückendeckung erhalten die Rosenheimer Fachärzte indessen von ihren Fachverbänden. Thomas Scharmann, der Vorsitzende der Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände in Bayern, erklärt: "Ich habe vollstes Verständnis für solche Aktionen. Wir haben das bereits ebenfalls in unseren Gremien diskutiert. Das scheint mir ein gangbarer Weg zu sein, den auch andere Ärzte gehen können."

Die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit sieht sich rechtlich jedoch auf der sicheren Seite. "Kurzarbeitergeld kann nur dann gezahlt werden, wenn tatsächlich die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen zurückgeht", sagt Klaus Otzmann, der zuständige Fachgebietsleiter. Bei den Ärzten könne aber nicht von einem Nachfrageausfall ausgegangen werden. "Die Patienten sind nach wie vor da und wollen behandelt werden", betonte Otzmann.

© SZ vom 28.05.2009/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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