Reichenhaller Eishallenprozess:Eklat wegen Nachermittlungen

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Nach tumultartigen Szenen ist der Prozess um den Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall vertagt worden. Die Verteidiger waren nicht über neue Untersuchungen informiert.

Im Prozess um den Einsturz der Eishalle von Bad Reichenhall haben die Verteidiger die Fairness des Landgerichts Traunstein in Zweifel gezogen. Die Anwälte der Angeklagten reagierten empört, dass sie weder vom Gericht noch von der Staatsanwaltschaft über Nachermittlungen informiert wurden.

Staatsanwalt Günther Hammerdinger (v. l. n. r.) konferiert im Landgericht Traunstein mit Verteidiger Harald Baumgärtel und dem Anwalt eines Nebenklägers, Johannes Fellner. (Foto: Foto:)

Nach der überraschenden Durchsuchung des Ingenieurbüros eines Angeklagten habe das Gericht den Anwälten Akteneinsicht verwehrt, sagte Verteidiger Thomas Pfister am Montag. Er sprach von einer Unverschämtheit. Der Vorsitzende Richter Karl Niedermeier wies die Vorwürfe zwar zurück, unterbrach den Prozess aber schließlich doch zwecks Akteneinsicht bis Donnerstag.

Beim Einsturz des Eishallendachs am 2. Januar 2006 waren 15 Kinder und Frauen ums Leben gekommen. Wegen fahrlässiger Tötung stehen drei Bauingenieure und Architekten im Alter zwischen 54 und 67 Jahren vor Gericht.

Nach einem neuen Hinweis hatte die Staatsanwaltschaft im Ingenieurbüro des angeklagten Rüdiger S., der der Halle 2003 einen guten Zustand bescheinigt hatte, am vergangenen Mittwoch 14 Aktenordner beschlagnahmt. Aber erst auf empörte Proteste mehrerer Verteidiger hin bestätigten Richter Niedermeier und Oberstaatsanwalt Günther Hammerdinger die Durchsuchung.

"Unterlagen unterdrückt"

Verteidiger Pfister drohte dem Gericht mit Befangenheits- und Aussetzungsanträgen und sagte: "Wir können ja kein Verfahren machen mit Geheimakten. Das ist keine gespielte Empörung." Der Staatsanwaltschaft warf er überdies Zeugenbeeinflussung vor. Sie versuche, entlastende Zeugenaussagen mit nachträglichen Polizeivernehmungen "wieder in die Spur zu bringen".

Verteidiger Alexander Volkmer sagte: "Es werden Unterlagen unterdrückt, um die Angeklagten zu belasten." In einem heftigen Wortgefecht wies Oberstaatsanwalt Hammerdinger dies ebenfalls als Unverschämtheit zurück, Richter Niedermeier sprach von Polemik.

Das Gericht hatte den Prozess am Montag mit der Zeugenvernehmung des ehemaligen Oberbürgermeisters Wolfgang Heitmeier und eines hohen Baubeamten fortsetzen wollen. Als Pfister vollständige Akteneinsicht verlangte und den Anspruch auf ein faires Verfahren bedroht sah, erklärte Richter Niedermeier zunächst, die sichergestellten Unterlagen müssten erst noch ausgewertet werden und seien noch keine Gerichtsakten.

Deshalb gebe es momentan auch noch keine Akteneinsicht. Aber nicht nur mehrere Verteidiger, sondern auch der Nebenkläger Daniel Amelung forderten rasche Akteneinsicht. Amelung, der eine Mutter vertritt, die bei der Katastrophe ein Kind verloren hatte, kritisierte: "Es kann nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft hier Parallelermittlungen führt." Er warnte vor einem Platzen des ganzen Prozesses.

Nach langer Beratung kam auch die Strafkammer schließlich zu dem Schluss: "Die Beweisaufnahme kann aus rechtlichen Gründen nicht fortgesetzt werden." Richter Niedermeier vertagte das Verfahren, damit alle Beteiligten die Akten studieren können. Ob am Donnerstag Akten verlesen oder Zeugen gehört werden, soll noch geklärt werden.

Tipp durch Nebenkläger

Mit ihren Nachermittlungen in dem Ingenieurbüro wollte die Staatsanwaltschaft offensichtlich die Prüfstatik zum Eishallendach finden, die spätestens seit dem Einsturz des Gebäudes als verschwunden gilt. Die Ermittler stießen jedoch auf andere Unterlagen, "nichts, was die Sache auf den Kopf stellt", wie Oberstaatsanwalt Hammerdinger der Nachrichtenagentur dpa in der Sitzungspause sagte.

Er sprach vielmehr von einem "Zufallsfund". Hammerdinger verteidigte sein Schweigen zu den Nachermittlungen gegenüber den Angeklagten mit den Worten: "Unser erster Ansprechpartner ist das Gericht." Der Tipp für die Nachermittlungen war laut Hammerdinger von einem der Nebenkläger gekommen.

Das durchsuchte Ingenieurbüro war mit der Olympiabewerbung Bad Reichenhalls im Jahr 1992 befasst. Damals war eine wesentliche Erweiterung der Eishalle im Gespräch. Die Staatsanwälte schlossen offensichtlich nicht aus, die fehlende Prüfstatik könnte sich im Zusammenhang mit den damaligen Planungen in dem Büro befinden.

Ein Angeklagter hatte zum Prozessauftakt im Januar schwere Konstruktions- und Rechenfehler zugegeben, die beiden anderen bestreiten jede Verantwortung. Der Prozess gegen den erkrankten ehemaligen Leiter des städtischen Hochbauamts von Bad Reichenhall soll später geführt werden.

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