Raubtier im Landkreis Miesbach:Mit dem Wolf kommt die Wut

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Ein Wolf reißt bei Bayrischzell vier Schafe - viele Einheimische sind aufgebracht, auch ein herbeigeeilter Wolfsexperte kann die Wogen nicht glätten.

Christian Sebald

Josef Greinsberger ist gewiss keiner, der sich schnell aufregt. Aber wenn der Bayrischzeller Almbauer auf den Wolf zu sprechen kommt, der dieser Tage zwischen Wendelstein und Rotwand umherzieht, redet er sich sofort in Rage.

Gilt nicht als knuddeliger Sympathieträger: der Wolf. Dieses Exemplar befindet sich in einem Brandenburger Wildpark (Foto: Foto: dpa)

"Das kann's wirklich nicht sein, dass wir Bauern den ganzen Winter unsere Kühe und Schafe in den Ställen hegen und pflegen, damit sie uns im Frühjahr der Wolf von der Weide frisst", schimpft Greinsberger lauthals drauf los. "Ja gilt denn der Tierschutz für unsere Nutztiere überhaupt nichts?"

So wie Almbauer denken viele in dem oberbayerischen Gebirgsort. Seit dort in der Nacht auf Mittwoch ein Wolf in nur 200 Meter Entfernung von einem Bauernhof auf einer Weide vier Schafe gerissen hat, kocht in der 1600-Einwohner-Gemeinde im Kreis Miesbach die Stimmung hoch.

"Egal mit wem man redet, die allermeisten sind der Überzeugung, dass ein Wolf hier bei uns, in einer so dicht besiedelten Region, nichts zu suchen hat", sagt Bürgermeister Helmut Limbrunner, "und zwar völlig unabhängig davon, dass er unter strengstem Artenschutz steht".

Der Raubtierexperte Ulrich Wotschikowski vom Artenschutzverein Vauna hat Verständnis für den Wirbel. "Man muss nur an das Märchen vom Rotkäppchen denken", sagt er, "anders als der Bär, den viele ausgesprochen knuddelig finden, ist der Wolf seit alters her das Raubtier, an dem sich die Geister scheiden. Auch wenn er sehr menschenscheu ist und unter strengstem Artenschutz steht."

Rotwildkadaver mit Wolfsbissen

Wotschikowski ist wenig überrascht über das neuerliche Auftauchen des Wolfs im Oberland. Gibt es doch seit einem halben Jahr Hinweise darauf, dass ein Jungwolf aus einem der ungefähr 30 Rudel, die in den italienischen und französischen Alpen leben, hierher gewandert ist.

Wiederholt wurden an Wildfütterungen in den Bergen zwischen Inn und Isar Rotwildkadaver mit tiefen Bisswunden entdeckt, die der Wolf zurückgelassen hatte. Die letzten drei im April, einer davon nahe der Weide, auf der sich der Wolf jetzt die Schafe holte.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt war klar, dass der Jungwolf nicht nur vorübergehend durch das Oberland gezogen ist, sondern sich zumindest für eine Zeitlang hier niedergelassen hat - wie es der Wolfexperte Wotschikowski bereits seit dem ersten Auftauchen des Raubtieres für sehr gut möglich gehalten hatte.

Nicht nur die Bauern, sondern auch viele Jäger und Forstleute fragen sich jetzt, warum das Landesamt für Umwelt (LfU) und sein Wolfexperte Manfred Wölfl die Einheimischen nicht früher informiert hat, was auf sie zukommt. "Denn so ein Wolf ist ein extrem schlaues Tier", sagt einer, "der holt sich seine Beute natürlich immer dort, wo sie am leichtesten hergeht".

Im Winterhalbjahr sind das die Wildfütterungen, welche die Jäger in ihren Revieren aufstellen, damit Hirsche und Rehe keine Not leiden müssen. Und im Sommer sind es die Weiden und Almen, auf denen die Jungrinder und Schafe wie auf einem Präsentierteller stehen.

"Deshalb war doch klar, dass sich der Wolf über die Schafe hermacht, sowie die aus den Ställen ins Freie getrieben werden", sagt einer. "Und das werden sie nun mal ab Mitte Mai." Die vier gerissenen Schafe waren erst seit kurzem auf der Weide.

Aus diesem Grund ist auch die Verärgerung so massiv, dass der Wolfsberater Wölfl erst am Mittwoch - also an jenem Tag, an dem die Kadaver der Schafe entdeckt wurden - zu einer ersten Infoveranstaltung für Bauern, Jäger, Förster, Umweltschützer und andere Fachleute in die Region kam.

Verärgerung über eine "Alibiveranstaltung"

"Und selbst die war eine reine Alibiveranstaltung", schimpft Bauer Greinsberger, "sie hat einmal mehr gezeigt, dass das angebliche Wolfskonzept des Freistaats alles ist, bloß kein wirkliches Konzept, wie man mit dem Raubtier umgehen soll, wenn es hier bleibt".

So habe Wölfl einzig davon gesprochen, dass man künftig Almen womöglich einzäunen und nach Schweizer Vorbild Hirtenhunde einsetzen müsse. "Aber dass das bei uns von der Topographie her nicht geht, und schon gar nicht von heut' auf morgen, das hat er nicht einsehen wollen", sagt Greinsberger.

Wölfl selbst war gestern den ganzen Tag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Dafür wies LfU-Chef Albert Göttle die Kritik entschieden zurück. Es sei nun mal eine Tatsache, dass die Wolfspopulationen überall in Europa im Wachsen begriffen seien und deshalb einzelne Tiere auch wieder nach Bayern wanderten. "Aber mit unserem Managementplan und unserem Ausgleichsfonds für Schäden sind wir sehr gut vorbereitet", sagt Göttle. In Bayrischzell wollen sie das nicht glauben.

"Hier ist einfach kein Platz für einen Wolf, und zwar nicht nur wegen uns Bauern", sagt Greinsberger. "Sondern auch wegen der vielen Wanderer und Urlauber, die zu uns kommen. Am besten wär's, der Wolf wär' so bald wie möglich wieder weg."

© SZ vom 15. Mai 2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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