Prozess in Traunstein:Das Wort hat der Angeklagte

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Sechs Banken soll Siegfried N. überfallen haben: Doch vor Gericht sieht sich der Angeklagte als Rächer und Filmheld, aber nicht als Täter.

Varinia Bernau

Plötzlich kann sich der Angeklagte nicht mehr zurückhalten. "Das kapiert doch der Blödeste", herrscht Siegfried N. den Richter an. "Aber Sie haben sich ja gar nicht damit beschäftigt, nur weil ich vor 25 Jahren einige Banken überfallen habe." Mit ruhiger Stimme hatte der 64-Jährige bis zu diesem Moment gesprochen - ununterbrochen, ganze zweieinhalb Stunden lang. Er weiß, dass es die letzte Chance ist, seine Sicht der Dinge darzustellen und ist entschlossen, sie zu nutzen.

Seit vergangenem April steht Siegfried N. wegen erpresserischen Menschenraubs, räuberischer Erpressung, Körperverletzung und Urkundenfälschung vor dem Landgericht Traunstein (Foto: Foto: ddp)

Seit vergangenem April steht Siegfried N. wegen erpresserischen Menschenraubs, räuberischer Erpressung, Körperverletzung und Urkundenfälschung vor dem Landgericht Traunstein. Sechs Banken soll er überfallen, einen Versuch abgebrochen und einen weiteren geplant haben.

Bevor das Urteil gesprochen wird, hat er nun das Recht, eine eigene Verteidigungsrede zu halten. Sie ist derart mit Details und Wiederholungen versehen, dass er sie an diesem Dienstag nicht zu Ende bringen wird. Insgesamt 22 Jahre Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung hat der Staatsanwalt gefordert. Für den 64-Jährigen käme dies einer lebenslänglichen Haft gleich.

Rächer seiner selbst

Schon einmal stand Siegfried N. vor Gericht. 25 Jahre ist das her. Zu mehreren Banküberfällen legte er seinerzeit ein Geständnis ab. Denn anders als heute sei er damals, so betont er, der Täter gewesen. Während seiner mehr als zehnjährigen Haft hat er ein Buch über sein Leben als einer der meistgesuchten Bankräuber Deutschlands geschrieben. "Der Räuber mit der sanften Hand" heißt es - und sein Held ist ein Rächer der Schwachen, vor allem seiner selbst.

Siegfried N. erzählt in diesem Buch von seinem Asthma-Leiden, das er auf Anraten eines Arztes in der Karibik auskurierte. Davon, dass er nach Deutschland jettete, um die nächste Bank zu überfallen, sobald unter den Palmen das Geld knapp wurde.

Nach seiner Entlassung aus der Haft eilte er als "Dennery", wie er sich als Schriftsteller nannte, von Talkshow zu Talkshow, sein Leben wurde als Dreiteiler fürs Fernsehen verfilmt.

Doch so schillernd ging es nicht weiter. Die Staatsanwaltschaft wirft N. vor, zwischen 2001 und 2007 auf brutale Weise knapp 450000 Euro erbeutet zu haben. Er selbst jedoch sieht sich als Opfer von schlampiger Ermittlung und Vorverurteilung.

Vor Verhandlungsbeginn hat er an diesem Morgen seine Aktenordner und Manuskripte sorgfältig auf vier Stühle verteilt, sie vor und zurück geschoben, die Papiere neu sortiert. So als richte er die Kulissen für ein Theaterstück. Siegfried N. trägt zur Jeans ein schwarzes Hemd und schwarzes Jackett.

Akribisch rekonstruierte Momente

Detailliert legt er dar, dass die von den Ermittlern gesicherte DNA-Spur nicht nur ihn identifiziere, sondern weltweit auf 120 Menschen und folglich 120 mögliche Täter verweise. Dass die ihm zur Last gelegten Überfälle nach einem ganz anderen Schema abliefen, als jene, die er vor 25 Jahren verübt hatte. Akribisch rekonstruiert er den Moment seiner Festnahme im Mai 2007.

Bei einer Routinekontrolle fand die Polizei damals in seinem Auto zwei Bolzenschneider, eine geladene Gaspistole, eine Sturmhaube, Fesselungsmaterial. Requisiten für einen geplanten Film, beteuert Siegfried N.

Er wirkt erschöpft an diesem 30.Verhandlungstag. Seine Rede beginnt er im Stehen, nach einer Stunde schließlich setzt er sich, nach einer weiteren klagt er über Zahnschmerzen. Ein Gerichtsarzt untersucht den Angeklagten - und kommt zu dem Schluss, dass dieser nicht verhandlungsfähig sei.

Den Vorschlag des Richters, seine Verteidiger könnten das Redemanuskript verlesen, lehnt der Angeklagte ab. Der Prozess wird auf donnerstag vertagt. Ob dann der letzte Akt in diesem Schauspiel über die Bühne geht, ist noch nicht klar.

© SZ vom 11.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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