NPD-Verbot:"Ein Instrument, das schlecht gewartet ist"

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Die Stimmen für ein NPD-Verbot mehren sich - aber Lehren aus dem Scheitern des früheren Versuchs werden nicht gezogen.

H.-J. Jentsch

Nun wird sie wieder durchs Dorf getrieben. Keine neue Sau, denn längst ist sie allen gut bekannt: die Forderung nach dem Verbot der NPD. Ob der rechtsextremistische Charakter eines Überfalls erwiesen ist oder nur vermutet wird, spielt keine Rolle. Entscheidend ist: Die Politik will Handlungsstärke demonstrieren. Und so wird gedroht - mit einem Instrument, das nur schlecht gewartet ist.

Barette der Verfassungsrichter in einem Verhandlungssaal in Karlsruhe: Von den acht Hüten könnten bis zur Entscheidung in einem möglichen NPD-Verbotsverfahren allerdings zwei wegfallen. (Foto: Foto: dpa)

Nehmen wir einmal an, Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat würden das regelmäßige Ankündigen beenden und tatsächlich einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. Und nehmen wir weiterhin an, sie würden das Material kurzfristig zusammentragen und den Antrag sorgfältig begründen. In dem Fall könnte dieser sicherlich bis März oder April 2009 beim Gericht eingehen.

Der Zweite Senat hätte dann bis November 2010 Zeit, diese Sache in seiner regulären Besetzung mit acht Richtern zu entscheiden. Danach wären nur noch sechs Richter zur Entscheidung berufen, weil die zwei anderen wegen des Ablaufs ihrer Amtszeit im Oktober und November 2010 ausscheiden müssen und ihre Nachfolger nicht in das laufende Verfahren eintreten dürfen. Diese sechs könnten ein Verbot nur einstimmig beschließen - das ist die Folge der Regelung, dass ein Verbot der Mehrheit von zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Senats bedarf.

Die gesetzliche Zahl beträgt acht, das Zwei-Drittel-Quorum erfordert also die Zustimmung von sechs Richtern. Genau besehen, erfüllen sechs Richter jedoch sogar das Drei-Viertel-Quorum. Der Gesetzgeber verlangt also für ein Parteiverbot - entgegen dem Gesetzeswortlaut - in Wahrheit eine Drei-Viertel-Mehrheit. Hat er dieses Verschleiern eigentlich nötig?

Dass ein Verbotsantrag, der im März oder April 2009 einginge, ziemlich sicher am Ende von einem Rumpf-Spruchkörper aus sechs Richtern entschieden würde, ergibt sich bereits aus der Erfahrung mit dem letzten (erfolglosen) Verbotsverfahren gegen die NPD. Es dauerte von März 2001 bis März 2003, ohne dass es überhaupt zu einer Beweisaufnahme gekommen war. Es ist also vorauszusagen, dass sich die Politik mit einem Verbotsantrag in eine äußerst gefährliche Prozesssituation manövrieren würde. Drei-Viertel-Quorum und regelmäßiges Ausscheiden von Richtern wegen Ablaufs ihrer Amtszeit bedeuten außerordentlich hohe Hürden.

Der Politik ist also dringend zu empfehlen, vor weiteren Drohungen mit Parteiverbotsanträgen zunächst einmal dieses Instrument in Ordnung zu bringen. Das Minimum dafür ist: sicherzustellen, dass der Spruchkörper für die Dauer des Parteiverbotsverfahrens mit acht Richtern Bestand hat. Dies kann erreicht werden, wenn Richter, die im Verlauf des Verfahrens ausscheiden müssen, bezüglich dieses Verfahrens bis zu dessen Abschluss im Amt bleiben. Zudem muss das Drei-Viertel-Quorum in Frage gestellt werden.

Bei allem Respekt vor dem tiefen Eingriff in den Meinungsbildungsprozess, den ein Parteiverbot darstellt, ist es eine ungewöhnlich hohe Messlatte. Und wenn sich ein Zwei-Drittel-Quorum bei acht Richtern mathematisch nicht bilden lässt, bleibt wohl nur die einfache Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des Senats übrig. In diesem Zusammenhang muss auch gesehen werden, dass es das Grundgesetz ist, das diesen tiefen Eingriff in den Meinungsbildungsprozess zulässt. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung ist dagegen von geringerem Gewicht.

Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat würden sich aber nicht nur deshalb auf einen Weg begeben, der höchst riskant ist. Sie hätten zudem die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2003 zu berücksichtigen, mit der die Anträge auf ein NPD-Verbot abgelehnt wurden. Diese Vorgaben lauten: Zum einen müssen die staatlichen Stellen ihre V-Leute vor einem Verbotsantrag aus den Führungsgremien der Partei abziehen, die verboten werden soll.

Denn es geht nicht an, dass der Staat im Parteiverbotsverfahren Antragsteller ist und gleichzeitig auf Seiten des Antragsgegners verdeckt mitwirkt. Zum anderen sind die Quellen offenzulegen, damit das Gericht die Beweismittel, die den Verbotsantrag stützen, auch einschätzen kann.

Nicht entschieden hat das Gericht bislang, ob das Erfordernis des Staatsschutzes, der auch Verfassungsrang hat, den Weg eröffnen kann, brisante Quellen nur dem Gericht, aber nicht dem Antragsgegner und der Öffentlichkeit zu offenbaren. Das diesbezügliche Risiko trägt allein der Antragsteller. Er kann auch nicht vorhersehen, ob ein inzwischen teilweise neu besetzter Senat die Vorgaben der Entscheidung von 2003 bestätigt oder modifiziert. Im Parteiverbotsverfahren, einer Verfahrensart, die nur alle paar Jahrzehnte ansteht, kann es keine gefestigte Rechtsprechung geben.

In diesem Zusammenhang fällt übrigens auf, dass die Bereitschaft, die Quellen der Belege für verfassungsfeindliches Verhalten der NPD offenzulegen, gerade bei den Fachleuten der Verfassungsschutzämter besonders gering ausgeprägt ist. Sie wollen offenbar ihr Pulver trocken halten und nicht vorschnell verschießen.

Viele Risiken

Dafür können sie ins Feld führen, dass sie das verfassungsfeindliche Treiben weiterhin beobachten müssen - zum Schutze des Staates. Man wird jedoch den Verdacht nicht los, dass sie die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die NPD nicht so hoch einschätzen, als dass sie das Pulver verschießen sollen, das sie angesammelt haben. Die Politik sollte angesichts der Risiken eines Verbotsverfahrens nicht leichtfertig an dieser Einschätzung ihrer Fachleute vorbei gehen.

Zu diesen Hürden kämen weitere Risiken hinzu. Die Kriterien aus den einzigen Parteiverbotsverfahren, die zwischen 1951 und 1956 gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) erfolgreich geführt wurden, können nicht unbesehen übernommen werden. Sie müssen im Lichte der sechzigjährigen Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes gelesen werden.

Damals, kurz nach der Nazi-Diktatur, hatten sich in der SRP Anhänger dieses gestürzten Systems versammelt. Die KPD war der verlängerte Arm einer Weltmacht, die die neu begründete Bundesrepublik bedrohte. Die Gefahrenlage für die freiheitlich-demokratische Grundordnung war also eine ganz andere, als sie der Rechtsextremismus unserer Tage bewirkt. Und diese Feststellung gilt - auch wenn man weit davon entfernt ist, das Treiben der Rechtsextremisten zu verharmlosen.

Hans-Joachim Jentsch, 71, gehörte von 1996 bis 2005 dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts an. In dem NPD-Verbotsverfahren, das 2003 scheiterte, war er Berichterstatter des Senats. Foto: dpa

© SZ vom 20.12.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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