Neonazis in Österreich:Blutrausch im Morgengrauen

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Zwei Neonazis, die einen 19-Jährigen zum Pflegefall prügelten, haben hohe Haftstrafen bekommen. Nicht die Höchststrafe - denn Rache üben sei dem Rechtsstaat fremd, so der Richter.

Die österreichischen Richter sind offenbar dafür bekannt, dass sie gerne kurzen Prozess machen. Es ist an diesem Donnerstag erst der zweite Verhandlungstag, aber schon raunen die Beobachter auf dem Flur des Landesgerichts in Feldkirch (Vorarlberg), Richter Peter Mück werde heute wohl ein Urteil sprechen.

Springerstiefel (Archivbild) (Foto: Foto: ddp)

Vielleicht kann diesem Prozess nichts besseres passieren als ein schnelles Ende. Die meisten, die hier vor dem Saal mit der Nummer 56 stehen und auf Einlass warten, sind sich einig, dass es in diesem Fall wohl keine gerechte Strafe geben könne.

Kann es Gerechtigkeit geben?

Die beiden angeklagten Neonazis Christian W. und Jürgen T. aus Österreich haben den 19 Jahre alten Anlagenelektriker Robert B. aus Lindau zum Pflegefall geprügelt. Richter Mück verhängt dafür Haftstrafen von acht und neun Jahren, doch ist damit der Gerechtigkeit genüge getan?

Eine Frage, die die Zuhörer auch hinterher beschäftigt. Obwohl Robert B. nicht tot ist, habe er sein Leben verloren, sagt Gebhard Heinzle, der Anwalt der Familie B.

In gewisser Weise hat er recht damit, denn Robert B. lebt seit einem Jahr in einer Fachklinik für Hirnverletzte in Wangen im Allgäu. Er kann weder gehen, noch stehen. Manchmal versteht er zwar, was man ihm sagt, oft aber auch nicht.

Robert B. hat sich von den Folgen des brutalen Überfalls durch Christian W. und Jürgen T. vor einem Jahr in Lindau nicht mehr erholt.

Damals, am Morgen des 20.August, haben sie den wehrlos am Boden liegenden Punker solange mit ihren Füßen gegen den Kopf getreten, bis er bewusstlos wurde und ins Koma fiel. Als Robert nach zwei Monaten aus dem Koma aufwachte, war er ein anderer Mensch als vorher.

"Literweise Alkohol"

Als Christian W., 21, und Jürgen T., 24, am Donnerstagmorgen den Gerichtssaal betreten, halten sie die Hände schützend vors Gesicht. Aber es dauert lange, bis das Blitzlichtgewitter der Fotografen abebbt.

Beide tragen das Haar kurz, sie haben trotz der monatelangen Haft athletische Figuren. Vor allem T. macht einen Angst einflößenden Eindruck auf die Beobachter in der ersten Reihe.

Er trägt ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt und jeder kann erkennen, dass jede Faser seines Körpers angespannt ist. Dass er auch eine Hitler-Tätowierung auf seiner Brust trägt, sieht man aber nicht.

Die beiden mehrfach vorbestraften Angeklagten hören geduldig zu, wie der psychiatrische Sachverständige Reinhard Haller versucht, Erklärungen für ein Verbrechen zu liefern, zu dem T. am ersten Verhandlungstag nur einfiel: "Ich war halt so besoffen, hab' einfach nicht nachgedacht."

Haller hat die beiden Angeklagten im April zweimal im Gefängnis besucht. Das Gericht hatte ihn beauftragt, zu klären, ob die beiden Männer zur Tatzeit zurechnungsfähig waren. Sie hatten angegeben, "literweise" Alkohol getrunken zu haben.

"Das, was man Blutrausch bezeichnet"

Als Haller mit T. fertig war, schrieb er in sein Gutachten: "Wie meist bei solchen Aggressionshandlungen ist dann das eingetreten, was man als Blutrausch bezeichnet. Der Täter verliert einen Großteil seiner Selbstkontrolle und steigert sich in narzisstischer Wut und Überheblichkeit in einen von Allmachtsfantasien getragenen Zustand."

Es war eine zufällige, aber für alle Beteiligten verhängnisvolle Begegnung in jener Augustnacht. Christian W. und Jürgen T. wollten in Lindau "in ein paar Lokale gehen und einen drauf machen", wie sie später aus dem Gefängnis der Familie B. in einem Brief schrieben.

Kurz nach vier Uhr morgens trafen sie auf Robert B. Der 19-Jährige war mit Freunden auf der Lindauer Insel unterwegs gewesen und hatte viel getrunken. Er legte sich auf dem Pflaster vor einem Schnellrestaurant zum Schlafen.

Wie ein Baby hatte er dabei den Daumen im Mund. W. und T., beide nach Meinung des Gutachters sehr betrunken, weckten Robert B. auf. Es kam zum Wortgefecht, dann begangen die beiden Neonazis auf Robert B. einzutreten.

Minutenlang ging das so, bis eine Arzthelferin im Haus gegenüber von dem Lärm wach wurde. Sie dachte, jemand spiele Fußball und rief "Geht's noch". Daraufhin flüchteten die beiden Täter.

"Wut auf die Welt"

Psychiater Haller sagt, ihm sei vor allem die Brutalität aufgefallen. Es sei wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich die Gewalt bei T. entladen musste.

"T. ist aufgrund seiner Lebensgeschichte ein leidender Mensch", sagt Haller . Der junge Mann komme aus zerrütteten und einfachen Verhältnissen und habe im Leben nie richtig Fuß gefasst.

T.wuchs beim Vater auf, der nach seiner Scheidung angefangen hatte zu trinken. "In T. hat sich eine Wut auf die Welt aufgebaut." Sein Freund W. sei "eher der Mitläufertyp" und komme aus geordneten Verhältnissen.

In jener Nacht hätten sich beide in diesen Blutrausch hineingesteigert. "Es wurden Kräfte frei, die man sonst wohl zurückhält", sagt Haller. Aber er sagt auch, die beiden Männer hätten noch gewusst, was sie taten.

Rache ist dem Rechtsstaat fremd

Richter Mück hat keine weiteren Fragen. Er liest noch ein Gutachten vor, demzufolge Robert B. nicht wieder gesund wird. Dann geht es sehr schnell.

Die Verteidiger bitten um ein mildes Urteil, weil die beiden Männer geständig und einsichtig seien, die Angeklagten selbst entschuldigen sich. Richter Mück verurteilt T. zu neun Jahren Haft, W. zu acht. Außerdem spricht das Gericht der Familie B. 130000 Euro Schmerzensgeld zu.

Mück bleibt knapp unter der Höchststrafe und sagt, keine noch so hohe Strafe könne Robert das alte Leben zurückbringen - und Rache üben sei dem Rechtsstaat fremd.

© SZ vom 14.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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