"Nähen, kleben, Stoffe verschweißen - davon verstehen wir was":Ende der Luftfahrt

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Die Ballonfabrik machte Augsburg zum Zentrum der Aeronauten - jetzt stellt sie Kleidung für U-Bootfahrer her.

Von Mike Szymanski

So viel steht fest: Die Zukunft wird gelb, irgendwo zwischen sehr grellen und ziemlich dunklen Tönen. Gerade hat der Mann von der Malerfirma Rainer Haßold die Farbmuster gezeigt. Haßold, ein drahtiger Mann mit stechendem Blick, schaute kurz auf zu dem eingerüsteten Werksgebäude, dann auf die Muster, die ihm der Mann hinhielt, und tippte eine der Karten an.

Die neue Fassadenfarbe - das war noch eine vergleichsweise leichte Entscheidung für den Chef der Ballonfabrik Augsburg, die am Stadtrand ihre Werkshallen hat. Weit schwieriger muss es ihm gefallen sein, sich vom Geschäft, das diese Firma einmal berühmt gemacht hat, zu trennen.

Demnächst werden die Maler das alte blaue Logo an der Fassade, den Ballon, überpinseln. Haßold stellt jetzt Rettungsanzüge für U-Bootfahrer her. "Irgendwann hat alles seine Zeit", sagt der 47 Jahre alte Chef des Familienunternehmens. Diese Worte klingen abgeklärt für einen, der nicht nur Gasballone baute, sondern sie auch selbst so erfolgreich fuhr, dass er zweimal Weltmeister wurde. Haßold und seine Ballonfabrik stehen für ein Kapitel Augsburger Geschichte, das viel von Träumen, Pioniergeist und Abenteuerlust erzählt.

Ein Kapitel, dass wohl bald endgültig zugeschlagen wird, wenn nun auch noch das Logo verschwindet. Vor 110 Jahren hatte Kommerzienrat August Riedinger auf diesem Gelände am Rande der Stadt die Augsburger Ballonfabrik gegründet. Riedinger war beseelt von dem Gedanken, sich von Gasballonen in die Luft heben zu lassen - wie schon andere Augsburger vor ihm.

1786 hatte Maximilian Freiherr von Lütgendorf am anderen Ende der Stadt, im Siebentischwald, als erster Deutscher versucht, vom Boden abzuheben. Auch wenn der erste Ballonstart im Siebentischwald kläglich misslang, woraufhin die erzürnte Menge den Piloten damals aus der Stadt jagte, galt Augsburg späteren Generationen als Zentrum mutiger Aeronauten.

Die Augsburger Ballonfabrik brachte es bis in die Zeit zum Ersten Weltkrieg immerhin zum Weltmarktführer im Ballonbau, was auch daran lag, dass man sich von Rückschlägen nicht einschüchtern ließ. Und solange das Militär Interesse an den Ballonen zeigte, liefen die Geschäfte auch gut.

Am 27. Mai 1931 wurde auf dem Werksgelände sogar Luftfahrtgeschichte geschrieben. Der Schweizer Physiker Auguste Piccard startete mit einem Stratosphärenballon der Ballonfabrik in bis dahin nicht gekannte Höhen. 15 781 Meter notierte man später. Nach 17 Stunden landete Piccard wieder auf einem Gletscher im Tiroler Ötztal.

Dieses waghalsige Projekt hatte einen anderen Augsburger so sehr fasziniert, dass er später selbst in die Geschichte eingehen sollte: Alfred Eckert. Als einer der ersten nach dem Krieg hat er mit einem Ballon die Alpen überquert und mehr als 1000 Ballonfahrten absolviert.

Bis in die 70er Jahre boomte die Ballonfahrt in Augsburg. An die 400 Ballone stiegen in den besten Jahren empor - davon erzählt das europaweit einzigartige Ballonmuseum im benachbarten Gersthofen, in dem Alfred Eckert später seine umfangreiche private Sammlung ausgestellt hat. Ein Nachbau der Kugel, mit der Auguste Piccard in die Stratosphäre aufstieg, ist im Ballonmuseum ausgestellt.

Man könnte all dies als schweres Erbe bezeichnen, das auch Rainer Haßold mit zu verwalten hat. Vielleicht würde seine Ballonfabrik heute auch noch Ballone bauen, wenn sie sich vor allem für militärische Zwecke durchgesetzt hätten.

So aber blieb die Produktion in den Nachkriegsjahren ein Nischengeschäft. Wenn Haßold heute durch die großen Hallen führt, in denen früher die Ballone gefertigt wurden, sieht man immer noch Mitarbeiter nähen und kleben - nur eben anderes als Ballone. Den letzten warteten sie hier 1997 - zum 100-jährigen Firmenjubiläum. Dann zog Haßold einen Schlussstrich und konzentrierte sich voll auf das Geschäft mit Spezialkleidung für Soldaten, das im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Raum eingenommen hatte. "Nähen, kleben, Stoffe verschweißen - davon verstehen wir was", sagt Haßold. Knapp 90 Mitarbeiter beschäftigt er.

An Aufträgen mangelt es der Firma nicht: Gerade hat das britische Verteidigungsministerium für drei Millionen Euro 3500 Rettungsanzüge für U-Bootfahrer bestellt. Es ist der größte Auftrag in der Geschichte des Unternehmens und Haßold sagt: "Wir verdienen jetzt richtig Geld." Auf den Prospekten steht als Firmenname die Abkürzung "bfa" - bald werden nur noch Aeronauten wissen, was sich hinter den Buchstaben verbirgt.

© SZ vom 1.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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