Mordanschlag in Passau:Zündstoff für die ganze Stadt

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Nach dem Mordanschlag auf den Passauer Polizeichef fragen sich viele Bürger, ob die Beamten die Gewaltbereitschaft der rechten Terroristen unterschätzt haben.

Max Hägler

Döner hat Imbissverkäufer Kayencu heute nicht im Angebot, auch wenn es auf seinem Auto steht. Was aber nichts mit dem Anschlag vom Samstag auf den Passauer Polizeichef ein paar Straßen weiter zu tun hat, versichert der gut gelaunte Mann in seinem weißen Lastwagen.

Tatort Fürstenzell: Hier klingelte der Täter an der Haustür von Alois Mannichl, dem Leiter der Polizeidirektion Passau, und stach zu. (Foto: Foto: ddp)

Von dem Attentat habe er nicht viel mitbekommen und auch von den Rechten sonst im Ort nichts. "Die kaufen auch ihre Gickerln bei mir ein, wie alle anderen", sagt Kayencu und lacht. "Ich bin seit 1992 hier und dachte sowieso, Fürstenzell ist der letzte Ort, wo so etwas passiert. Mir ist hier noch nie etwas passiert."

Zwei Tage nach dem Mordanschlag auf Alois Mannichl geht das Leben in dem kleinen Ort, zehn Kilometer hinter Passau, seinen gewohnten Gang. Man wisse von nichts, sagen die Leute auf der Straße und wehren ab, wenn man nach rechten Umtrieben fragt. Nur ein Mitarbeiter der Sozialstation beklagt sich, dass man den Rechten so viel Freiraum lasse, beschwert sich, dass die NPD nicht verboten sei. Und ein paar jugendliche Schüler aus dem Maristengymnasium erzählen - sehr zurückhaltend - von einigen rechten Bekannten, die sie hätten. Wobei die aber nicht erkennbar seien, dezent träten sie auf, ohne Springerstiefel.

Richtig sauer ist eigentlich nur der Barkeeper im Eiscafé Rialto. Natürlich kenne er die Rechten. Alle paar Wochen kämen sie nebenan ins alte Café Traudl und würden sich dort versammeln. So etwas fände wohl niemand besonders erfreulich, auch wenn er selbst noch nie Probleme gehabt hätte. "Aber die NPD ist ja nicht verboten, da wird zu wenig gemacht, also können sich die hier treffen", meint er.

Und das tun sie seit einiger Zeit auch, denn in Fürstenzell wohnt eben nicht nur der Polizeichef des Passauer Bezirks. Seine Gegenspieler, die Rechten, haben den Ort seit einiger Zeit zu einem regionalen Zentrum auserkoren. In eben dem Café Traudl, direkt gegenüber des ehemaligen Zisterzienserklosters mit den Zwiebeltürmen der dazugehörigen Barockkirche, trifft sich die Szene aus Niederbayern und auch aus Österreich. An diesem Montag sind die Türen des vergilbten Hauses mit seinen verblassten Dekopalmen im Fenster allerdings verschlossen. Nur der Gestank nach gammligen Putzlappen am Haupteingang deutet darauf hin, dass der Laden wohl ab und an noch geöffnet ist.

Es gab bereits Gegendemonstrationen gegen den allmonatlichen Aufmarsch, aber gefruchtet hat es nichts. Erst vor zwei Wochen versammelte sich eine Handvoll Rechter in dem Haus, meint die zuständige Passauer Polizei und wiegelt ab: "Die treffen sich da. Nicht mehr und nicht weniger."

Vielleicht würde Alois Mannichl anders reden, wenn er gerade im Dienst wäre. Doch damit wird es wohl noch dauern, er liegt weiterhin im Krankhaus. Als ein Symbol des antirechten Kampfes hat ihn der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wenige Stunden nach dem Anschlag bezeichnet, und alles deutet darauf hin, dass der Attentäter genau aus dieser rechten Szene stammt. Mit den Worten "Viele Grüße vom nationalen Widerstand, du linkes Bullenschwein", hatte der Mann den Passauer Polizeichef am frühen Samstagabend beschimpft und ihm dann eine elf Zentimeter lange Klinge in den Bauch gerammt. Unklar ist, ob der Täter Mannichl von Anfang an ermorden wollte. Das Tatmesser habe auf der Gartenseite von Mannichls Haus auf dem Fensterbrett gelegen, sagte Oberstaatsanwalt Walch.

Wer zugestochen hat, ist weiter unklar. Eine heiße Spur hatte die 20-köpfige Sonderkommission am Montag bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe freilich nicht. Am Tag zuvor, am Sonntag, waren zwei Rechtsradikale festgenommen worden, doch die beiden wurden im Lauf des Montags wieder freigelassen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walch erklärte, ein DNS-Vergleich mit den Tatortspuren habe keine Übereinstimmung ergeben, und sie hätten wasserdichte Alibis. Zudem habe Mannichl die beiden Männer auf Fotos nicht wiedererkannt. So suchen die Ermittler derzeit weiter, vor allem in der rechten Szene.

Als "Schlupfwinkel der Rechten" bezeichnet der hiesige Gewerkschaftsfunktionär und Landtagsabgeordnete Bernhard Roos die Dreiflüssestadt. Allerdings weist er - wie aktuell beinahe alle Politiker und aktiven Bürger - im Gegenzug zurück, Passau wäre "brauner" als andere Orte im Land. Gerade die spontane Solidaritätskundgebung am Montag für Alois Mannichl habe gezeigt, wie schnell und sensibel die Menschen in Passau auf rechte Gefahren reagieren würden. Studenten hatten per SMS und Internet eine Demonstration auf die Beine gestellt, an der 300 Menschen teilnahmen, unter ihnen auch der halbe Stadtrat und Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD).

Als "klasse Beamten und ganz treuen Partner gegen rechte Umtriebe" bezeichnet Dupper den verletzten Polizisten. In herausragender Weise habe er sich auch persönlich gegen Neonazis eingesetzt. So war Mannichl etwa selbst zugegen, als die Rechten den Volkstrauertag Mitte November zu einem Heldengedenken auf dem Friedhof nutzen wollten. Durch sein persönliches Auftreten direkt am Ort störte er das ungestörte Feiern der Rechten. Über einschlägige Internetadressen gingen Mannichl wegen solcher Aktionen immer wieder Drohungen aus dem rechten Lager zu.

Aber nicht jedem schien dieses konsequente Auftreten zu gefallen, wie Oberbürgermeister Dupper auch berichtet. "Man hat als Amtsträger zu tun, wenn man gegen rechts vorgeht", sagt der SPD-Mann. Gerade nach den persönlichen Schmähungen gegen Mannichl im Internet habe es ihn gewundert, wieso der Polizeichef nicht ausdrücklich verteidigt wurde "von den staatlichen Ebenen", sondern im Gegenteil Stellungnahmen und Rechtfertigungen abgeben musste.

© SZ vom 16.12.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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