Missstände in Altenheim:"Hier läuft etwas verkehrt"

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"Vorbilder für Zivilcourage": Zwei Pflegehelferinnen decken gravierende Missstände in einem fränkischen Altenheim auf. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

D. Mittler

Nichts ist im Leben von Stephanie Flähmig, wie es vorher war: Pausenlos klingelt das Telefon, ein Mann von Bild TV hat ihr einen Exklusivvertrag angeboten, ein Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks hat sie bereits interviewt, und andere Sender wollen es noch tun. Dabei ist die junge Frau aus Dinkelsbühl weder ein Popstar, noch eine gefragte Politikerin - sie ist ganz einfach ein Mensch mit Zivilcourage.

Pflegerin Stephanie Flähmig. (Foto: Foto: oh)

Der 26-jährigen Pflegehelferin und ihrer 24-jährigen Kollegin Katrin Haderlein ist es hauptsächlich zu verdanken, dass die Staatsanwaltschaft Ansbach momentan gegen mehrere Pflegekräfte des diakonischen Alten- und Pflegeheims Stephanus in Dinkelsbühl ermittelt. Ihnen wird vorgeworfen, drei alte Menschen fahrlässig getötet und fünf misshandelt zu haben.

"Die beiden jungen Frauen sind für mich Vorbilder für Zivilcourage", sagt der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek. Sein Büro ist voller Aktenordner, in denen Pflegekräfte über die Vernachlässigung oder gar Misshandlung alter Menschen berichten. "Meist aber anonym", sagt Fussek. Auch Flähmig und Haderlein wussten, dass es mit Ärger verbunden ist, die Vorfälle auf ihrer Station unter Nennung des eigenen Namens zu melden.

Was die zwei - unterstützt von Kolleginnen, die anonym bleiben wollen - akribisch genau festhielten, klingt haarsträubend: In einem der drei Fälle habe die Stationsleiterin einer Bewohnerin Essen eingegeben, obwohl die alte Frau über Unwohlsein klagte - und das offenbar mit fatalen Folgen: "Diese verschluckte sich aufgrund ihres schlechten Zustands, die Bewohnerin verfärbte sich blau und rang nach Luft. Die Stationsleitung untersagte der zuständigen Mitarbeiterin mehrmals, einen Arzt zu informieren. Die Bewohnerin erstickte", heißt es im Bericht der beiden.

Ihre erste Beschwerde hatte Haderlein bereits verfasst, nachdem eine Kollegin eine alte Frau roh gegen das Bettgitter geworfen und dies mit den Worten begründet habe, sie habe "das nicht anders verdient". Lob hatte sich Haderlein von der Pflegedienstleitung für die Meldung nicht erwartet, aber auch nicht das: "Ich wurde gefragt, ob ich wirklich für diesen Beruf geeignet sei", sagt sie. Im Haus sei bekannt gewesen, dass es sich hier um eine Problemstation handelt. "Ich aber war total am Ende, dies alles mitansehen zu müssen", sagt Katrin Haderlein.

"So kann man nicht mit Menschen umgehen"

Auch Flähmig - sie ist gelernte Arzthelferin - bekam rasch mit, dass hier etwas nicht stimmt. "Bereits als ich einen Probetag absolvierte, hatte ich das Gefühl, hier läuft etwas verkehrt", sagt sie. Dennoch nahm sie die neue Arbeitsstelle in Dinkelsbühl an. Als alleinerziehende Mutter wollte sie ihrem gerade erst eingeschulten Sohn nahe sein.

Doch schon bald sagte sie sich: "So kann man doch nicht mit Menschen umgehen." Gemeinsam mit weiteren Kolleginnen begann sie, die mutmaßlichen Übergriffe zu protokollieren. Dabei nahmen sie auch Fälle auf, die mehrere Jahre zurückliegen. Als die Vorgesetzten im Heim auf die Beschwerden ihrer Mitarbeiterinnen offensichtlich nicht entschlossen genug reagierten - was diese verneinen -, informierten Flähmig und Haderlein die AOK Bayern, die Regierung von Mittelfranken, das Diakonische Werk, die Heimaufsicht und den Medizinischen Dienst.

"Das war eine schlimme Zeit, denn kein Mensch reagierte darauf entsprechend. Und das waren Momente, in denen ich nicht mehr weiter wusste", sagt Stephanie Flähmig. So entschlossen sich die Frauen, ihre Berichte an die Medien weiterzuleiten. Doch auch die wollten zunächst von der Geschichte nichts wissen.

Während die Sender die zwei jungen Frauen nun als Heldinnen feiern, sind andere noch unschlüssig, wie sie reagieren sollen: "Wenn ihre Vorwürfe denn zutreffen, dann bin ich den beiden für ihren Mut und ihr Engagement zu großem Dank verpflichtet", sagte Ludwig Markert, der Präsident des Diakonischen Werkes Bayern am Montag. Flähmig und Haderlein sehen ihr Vorgehen indes als völlig normal an.

"Ich hoffe nur, dass unser Beispiel dazu beiträgt, dass andere Kolleginnen künftig eher aufstehen und sagen: Hier stimmt was nicht!", sagt die 24-jährige Katrin Haderlein schließlich. Ihre Liebe zur Pflege hat unter den Vorfällen nicht gelitten. "Das ist mein Traumberuf", sagt sie. Stephanie Flähmig arbeitet bereits wieder in einer anderen Einrichtung: "Und das ist ein gutes Heim", sagt sie, "ein schönes Heim."

© SZ vom 19.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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