Merkel beim CSU-Parteitag in Nürnberg:Moos, aber noch kein Gras

Lesezeit: 3 min

Bemühen um Harmonie: Für Angela Merkels Auftritt beim CSU-Parteitag versuchen beide Seiten, die Konfliktpunkte zwischen den Schwesterparteien weich abzupolstern.

Stefan Braun

Das Wort fällt. Es fällt bei Angela Merkel genau einmal. Aber es ist eingebettet in eine Form des politischen Zuckergusses, wie er süßer nicht sein könnte. Dass Merkel kämpfen kann, war bekannt, aber dass sie eine derart clevere Konditorin sein könnte, wussten sie bisher nicht bei der bayerischen Schwester.

Kanzlerin Angela Merkel eingerahmt von CSU-Parteichef Erwin Huber und Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (Foto: Foto: dpa)

Denn die Kanzlerin beginnt ihre Rede in der Nürnberger Messe nicht mit nüchternen Sätzen, sie umschmeichelt die CSU, wie sie es wohl noch nie tat.

Sie spricht nur noch von den "lieben Freunden", sie widmet sich Franz Josef Strauß, den sie "leider nicht mehr kennengelernt" habe, ohne den sie aber nicht hier sein würde, ohne den es die Wiedervereinigung und womöglich vom Guten auf der Welt insgesamt nichts gegeben hätte.

Ja, die Kanzlerin spricht davon, seit drei Jahren im Geiste von Franz Josef Strauß in Berlin zu regieren. Merkel als Enkelin von Strauß - das hätte sich die CSU vor dem Streit nicht träumen lassen.

Mehr geht eigentlich nicht im Merkelschen Wellnessprogramm für den Partner. Wäre da nicht noch das Lob für Bayerns Regierung. "Bayern ist da, wo der Bund hin will." Es ist in diesem Moment ein hochzufriedenes Funkeln in den Augen der Christsozialen zu sehen. Sie müssen schon aufpassen, ob Merkel die Pendlerpauschale tatsächlich noch anspricht.

Tage voller Telefonate

Sie tut es, aber sie tut es in einer Form, die nicht mehr weh tun kann. Denn die Kanzlerin schnappt sich die versammelte Parteischwester dort, wo ihr Stolz steckt: beim schuldenfreien bayerischen Etat. Anders als Bayern lebe der Bund noch "auf Pump". Genau das müsse endlich beendet werden. Deshalb gebe es zwischen beiden Parteien "eine einzige Ausnahme bei der Pendlerpauschale", ansonsten sei das CSU-Steuerkonzept richtig als Anstoß und in der Richtung.

"Mehr netto vom Brutto - das ist unser Maßstab, dafür wollen wir arbeiten." Was Merkel da zelebriert, ist nicht nur extrem clever, es passt zu dem, was auch Erwin Huber davor mühsam versucht hat: sich kraftvoll zu präsentieren und doch kein Öl mehr ins Feuer zu gießen. Wie man das macht?

Wie Merkel. Man lobt erst die Ehrenamtlichen, dann die Funktionäre und schließlich die Vorgänger von Strauß über Theo Waigel bis Edmund Stoiber. Sollen sie sich hier doch bitte alle sehr wohl fühlen. Nur so können sie sich zurücklehnen, ihm ein bisschen lauschen und müssen nicht so genau hinhören, als er in seiner Rede bei der Pendlerpauschale vorbeikommt.

Auch er lässt das Thema nicht aus, er sagt sogar, die CSU werde weiter für die alte Pauschale "hartnäckig und unmissverständlich" kämpfen. Aber als er sich dem Thema nähert, wirkt er wie ein Demonstrant, der sich ganz, ganz vorsichtig anschleicht, einmal kurz sein Transparent hochhält und dann - froh zum nächsten Thema eilend - wieder einrollt.

Nun hat sich mit all dem der Konflikt, der bei allen nur noch "Dissens" heißt, weil das nach weniger klingt, nicht erledigt. Sehr wohl geändert hat sich der Ton, der diesen "Dissens" umgibt. Die Mauer, die beide in der Frage trennt, ist in den letzten Tagen von einer weichen Schicht Moos überzogen wurden. Gras darf da noch nicht drüberwachsen. So weit kommt's noch. Moos aber darf es schon sein. Das puffert, wenn es allzu laut wird.

Dazu haben in den letzten Tagen auch Telefonate gedient, die mit der Pendlerpauschale nichts zu tun hatten. Merkel und Huber haben, so heißt es von beiden Seiten, sehr gut und sehr oft gesprochen, um das Problem Mindestlohn in der großen Koalition endlich vom Eis zu kriegen. Und die beiden haben mehr als einmal darüber geredet, wie die Gesundheitsreform zur Zufriedenheit beider auf den Weg kommt.

Schaut man genau hin, dann hat die Kanzlerin vor allem bei der Gesundheit Signale ausgesandt, die die Bayern gar nicht zurückweisen konnten. Man sprach und diskutierte wie früher, als Huber - damals Staatskanzleichef von Stoiber - ein enger Gesprächspartner Merkels wurde. So ist leise und verborgen eine kleine Wiederannäherung gelungen.

Als Ingo Friedrich, Tagungsleiter und Parteivize, die Kanzlerin willkommen heißt, begrüßt er nicht nur die Vorsitzende der Schwesterpartei, er begrüßt "die beliebteste Politikerin Deutschlands und die einflussreichste Politikerin Europas". Freundlicher geht es kaum. Und als Merkel nach gut 40 Minuten ihre Rede beendet, gibt es rauschenden Applaus plus standing ovations. So lange, dass Huber, der mit Blumen auf die Bühne eilt, minutenlang warten muss, bis er Gehör findet.

Nur als Merkel anschließend eine Geburtstagstorte geschenkt wird, gibt es eine Sekunde mit unsicherem Ausgang. Auf die Torte hat die CSU "50 plus X" schreiben lassen. Merkels Antwort: "Ich sehe, dass ich zwar noch kein biblisches, aber ein bayerisches Alter erreicht habe." Nett sei auch, dass das X offen bleibe. "Ein Rest bürgerlicher Höflichkeit ist noch übriggeblieben." Das ist die einzige, in Merkelscher Diplomatie wahrlich schallende Ohrfeige für die Angriffe der letzten Tage. Und was machen die Hubers und Becksteins? Sie lachen.

© SZ vom 19.07.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: