Leseschwächen:Lesen - verstehen - lernen

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Das Kultusministerium fördert ein erfolgreiches Volksschul-Projekt zur Förderung von Migrantenkindern. Leseschwächen werden dabei als das größte Handikap der Kinder gesehen.

Peter Schmitt

Genau 13 Zeilen umfasst die kurze Textpassage aus dem Leben der Wuschels. Eigentlich eine einfache Sache, leicht begreifbar auch für Kinder im Grund- und Volksschulalter.

Ein Schüler einer Grundschule bei Düsseldorf schreibt einen Text ab. (Foto: Foto: dpa)

Weit gefehlt, sagt Richard Sigel. Er betreibt an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Schul- und Unterrichtsforschung und entdeckte in dem Kurztext mindestens 35 Stellen, die Kindern mit wenig Leseerfahrung ins Stolpern bringen können. Verstehensleistungen nennt er das, was dem jungen Lesepublikum in solchen Fällen abverlangt wird.

Was heißt "höhnisches Grinsen"?

Das fange bei der Zuordnung der Präpositionen an und hört bei Begriffen wie ,,höhnisches Grinsen'' oder ,,kläffen'' auf. ,,Was kann ein Mädchen aus Afghanistan mit solchen Wörtern anfangen?'', fragt Sigel.

Leseschwächen von Hauptschülern, vor allem wenn sie einen Migrationshintergrund haben und zu Hause kaum ein Wort deutsch gesprochen wird, hält Sigel für das größte Handikap dieser Schulkinder. Zwei Schuljahre lang erprobte das Kultusministerium an jeweils drei Hauptschulen in München und Nürnberg ein neues Lernmodul, das genau diese Problematik im Blick hat.

Die Ergebnisse fielen so gut aus, dass Kultusstaatssekretär Karl Freller das Modell gern an möglichst vielen bayerischen Hauptschulen einführen würde, zumindest an Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus Zuwandererfamilien.

Wie die zusätzlich benötigten Lehrerplanstellen finanziert werden sollen, vermag er nicht zu sagen. Freller ist jedoch überzeugt, ,,dass die Erfolge des Modellversuchs in den Gremien des Landtags eine gute Argumentationshilfe leisten werden''. Schließlich sei die Fähigkeit zum verständnisvollen Lesen entscheidend für die Entwicklung des Menschen.

Die drei in Nürnberg in das Projekt einbezogenen Volksschulen liegen in sozialen Brennpunkten. Siglinde Schweizer, Leiterin der Dr.-Schöller-Schule in Schniegling, will an dem einmal begonnenen Experiment auf Dauer festhalten, auch wenn es zusätzliche Zeit kostet.

Ein Handbuch zur Leseanleitung

Der Leseunterricht richtet sich zunächst an Fünft- und Sechstklässler. Vier Stunden in der Woche kommen sie in kleinen Gruppen von acht bis 15 Schülern zusammen, um sich durch die Lektüre zu ackern. In den siebten Klassen wird der Stundenaufwand halbiert. Sigel ist davon überzeugt, dass Lern- und Intelligenzleistung durch das Training steigen. Dabei geht es weniger darum, dass die Schüler Texte gut vorlesen können. Sie sollen vielmehr die Inhalte richtig verstehen.

Auch bei lernschwachen Kindern aus Zuwandererfamilien lasse sich der Intelligenzquotient auf einen guten Durchschnittswert steigern. ,,Manchmal liegt es an einem nicht verstandenen Wort, wenn ein Schüler eine Mathematikaufgabe nicht lösen kann'', sagt Heidrun Jäger, Konrektorin der Ledebour-Schule in der Trabantenstadt Langwasser.

Das Kultusministerium will das von Sigel erarbeitete Handbuch zur Leseanleitung an alle 1400 Hauptschulen im Freistaat verteilen. Noch besser wäre es, wie Freller einräumte, wenn über die bereits für das laufende Schuljahr bewilligten zusätzlichen 313 Lehrerplanstellen für die individuelle Förderung hinaus weitere Stellen geschaffen werden könnten. Denn der Rückgang der Schülerzahlen an den Hauptschulen sei am ehesten mit mehr Lehrern zu stoppen.

© SZ vom 10.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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