Lehrermangel:"Es darf keine krank oder schwanger werden"

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Noftallplan: An Bayerns Schulen unterrichten nun Ingenieure, Pensionäre, Biologinnen und sogar ein Silberschmied.

C. Burtscheidt und M. Hummel

Sie haben Ingenieure angeheuert, Pensionäre aus dem Ruhestand zurückgeholt, sie haben Mütter überredet, am Gymnasium ihrer Kinder Stunden zu geben: Bayerns Schulleiter haben eine logistische Meisterleistung versucht: Sie wollen in diesem Schuljahr den Unterricht garantieren, obwohl überall Lehrermangel herrscht. "Das wird das schwierigste Jahr in der Geschichte unserer Schule", sagte der Direktor Josef Kraus vom Vilsbiburger Montgelas-Gymnasium am Montag seinen Kollegen - am Tag bevor alles funktionieren soll.

Was die Schüler freut, bringt die Eltern zur Verzweiflung: wenn wegen des Lehrermangels Stunden ausfallen. Vor allem die Gymnasien sind davon betroffen, in den anderen Schularten ist die Lage etwas entspannter. (Foto: Foto: iStock)

Besonders in Latein, Mathematik und Physik mangelt es an ausgebildeten Lehrern. Zwar ist, wie Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) betont, die Unterrichtsversorgung gesichert. Doch nur, weil die Schulen mehr denn je auf nicht qualifizierte Kräfte zurückgreifen. Mal sind es drei, mal 20 Aushilfslehrer, die nun je Schule einspringen müssen - von Bezirk zu Bezirk ganz unterschiedlich.

"Flaschen" am Lehrerpult

Oberpfalz: Auf so viele Aushilfskräfte musste Michael Mahr noch nie zurückgreifen. Von seinen 80 Lehrern sind in diesem Schuljahr 20 "Nebenberufler", wie der Direktor am Weidener Augustinus-Gymnasium sagt.

Über die Qualität der Aushilfskräfte, sagt er, dürfe man nicht reden. Gelegentlich seien schon "Flaschen" darunter gewesen. Doch nur so könne er der Vorgabe des Kultusministeriums entsprechen und den Unterricht sicherstellen. Wenig hält der Direktor vom jüngsten Plan, Grundschullehrer in den unteren Gymnasialklassen einzusetzen: "Die haben doch keine Ahnung von den Fächern." Besser schaut es am Regensburger Werner-von-Siemens-Gymnasium aus. Hier kommt Schulleiter Richard Sparrer zurzeit mit drei Aushilfskräften aus. Das liegt jedoch vor allem daran, dass das Gymnasium Seminarschule ist. Dort werden Referendare ausgebildet, die wegen des Lehrermangels seit Februar 2007 statt 16 nun 17 Stunden wöchentlich unterrichten müssen.

Unterfranken: Ein Doktorand, ein Steuerberater, ein Rechtsanwalt und eine selbständige Musiklehrerin sind zurzeit am Aschaffenburger Kronberg-Gymnasium als Aushilfskräfte beschäftigt. Das Mangelfach schlechthin ist jedoch Latein. Schon lange hätten sich nicht mehr so viele Fünftklässler entschieden, mit der alten Sprache zu beginnen, berichtet Schulleiter Wolfram Paulus. Parallel fiel ihm dann noch eine Lateinlehrerin aus, weil sie schwanger wurde. So hat er nun die Intensivierungstunden zur individuellen Förderung gekürzt.

Mittelfranken: Am Nürnberger Melanchthon-Gymnasium kann Direktor Otto Beyerlein sein Glück noch gar nicht fassen. Acht Stellen waren vor wenigen Wochen noch offen. Jetzt hat er alle mit Pensionären besetzt, die bereit sind, für wenig Geld an die Schule zurückzukehren. "Das liegt an dem Geist, der hier weht", sagt er. Das humanistische Gymnasium zählt zu den traditionsreichsten Schulen in Mittelfranken. Allerdings ist der Stundenplan auf Kante genäht: "Es darf keine krank oder schwanger werden, sonst wird es eng", sagt Beyerlein. Dann muss er seinen Lehrern Mehrarbeit verordnen, denn eine mobile Reserve gibt es nicht.

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Oberbayern: "Es war zwar sehr aufwendig und erforderte viel Kreativität, aber wir können mit Ausnahme von drei differenzierten Sportstunden alles abdecken", berichtet Direktorin Helma Wenzl vom Anne-Frank-Gymnasium in Erding. So unterrichte beispielsweise eine promovierte Diplombiologin, die von der Universität kommt und selbst Kinder an der Schule hat. Deshalb wisse sie, was im Unterricht erforderlich sei. In Erding wurden elf Ersatz-Lehrer zusätzlich eingestellt. "Es war sehr schwierig, Kräfte zu finden", berichtet Wenzl. Der Lehrermangel wirkt sich auch auf die Klassenstärke aus: Es gibt nun einige Klassen mit bis zu 33 Schülern.

Schwaben: Die vom Kultusministerium vorgegebene Höchstgrenze von 33 Schülern pro Klasse wird womöglich auch am Rudolf-Diesel-Gymnasium in Augsburg erreicht, wenn noch die Kinder dazu kommen, die Nachprüfungen bestanden haben, sagt Direktor Jakob Gaßner. Etwa drei Prozent der Unterrichtsstunden bewältigen die Schwaben mit frei "zugekauften" Lehrkräften in den Fächern Mathematik, Physik, Biologie und Latein. Physik unterrichtet ein promovierter Physiker.

Oberfranken: "Es ist nicht ganz das, was wir uns wünschen, aber die Pflicht- und Wahlfächer sind alle abgedeckt", sagt Lothar Braun, der das Gymnasium Naila mit 740 Schülern leitet. Weil es in Mathematik und Physik einen Engpass gebe, biete man nun eher Wahlunterricht in Fremdsprachen.

Niederbayern: Der Aufruf in der Lokalzeitung hat sich gelohnt. Gleich 20 Leute meldeten sich bei Josef Kraus, dem Direktor des Vilsbiburger Gymnasiums. Jetzt unterrichten 15 Nebenberufler 70Stunden die Woche, darunter Ärzte, Ingenieure und sogar ein Silberschmied. Dem Ministerium kann Kraus melden: "Unterricht zu 99 Prozent abgedeckt". Dennoch hat er kein gutes Gefühl dabei. Die Lehrer erlernten ihren verantwortungsvollen Beruf ja nicht umsonst.

© SZ vom 16.09.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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