Lawinenunglücke in den Alpen:"Die brauchen den Kick"

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Lawinenunglücke in den Alpen: Der Psychologe Jürgen Beckmann erklärt, warum auch erfahrene Wintersportler die Lawinengefahr unterschätzen.

Manfred Hummel

Die jüngsten tödlichen Lawinenunfälle werfen die Frage auf, warum sich Skifahrer trotz aller Warnungen in Gefahr begeben. Dazu äußert sich Jürgen Beckmann, Leiter des Lehrstuhls für Sportpsychologie der TU München und Direktor des Sportpsychologischen Zentrums.

Beckmann: "Die Amerikaner stecken Personen ins Gefängnis, die eine Lawine auslösen, bei der etwas passiert." (Foto: Foto: dpa)

SZ: Was bringt Menschen dazu, abseits der Piste im Tiefschnee Kopf und Kragen zu riskieren?

Jürgen Beckmann: Das eine ist die "No-risk-no-fun-Mentalität". Es gibt Menschen, die maximale Anregung erfahren wollen. Um auf ihr Wohlfühlniveau zu kommen, brauchen die wesentlich mehr Kick. Zum anderen sehen wir den wunderschönen Tiefschneehang und denken: Super, da muss ich jetzt rein! Die Gefahr tritt in den Hintergrund. Die meisten erkennen sie auch nicht.

SZ: Wer begibt sich in Gefahr, erfahrene Skifahrer oder Angeber, die sich nicht auskennen, oder beide Gruppen?

Beckmann: Eher der erfahrene Skifahrer, der das Risiko unterschätzt. Der sagt, ein vielbefahrener Hang, ist nicht so gefährlich, den bin ich schon tausendmal gefahren.

SZ: Tritt ein Nachahmeffekt ein?

Beckmann: Auf jeden Fall. Das Vorbild-Lernen ist ein ganz starker Faktor. Das ist, wie wenn man bei Rot über die Ampel geht. Da gehen die anderen hinterher. Dasselbe passiert hier auch.

SZ: Unterschätzt der Mensch generell die Gefahren der Natur, verlässt er sich zu sehr auf seine vermeintlich sichere Ausrüstung?

Beckmann: Ja. Bei den meisten Schneesportlern ist ein Informationsdefizit da. Die wissen nicht, was Lawinenwarnstufe 4 heißt. Die schauen sich in der Früh unten an der Bergbahn auch nicht den Lawinenlagebericht an. Mit diesem Unwissen sehen sie nur den Superhang und fahren hinein. Dazu kommen die technischen Raffinessen der Ausrüstung, die zu der Annahme verleitet: Mir kann ja eigentlich nichts passieren.

SZ: Die Warnungen vor Lawinengefahr werden stets gebetsmühlenartig wiederholt. Geht das nicht schon an Augen und Ohren vorbei?

Beckmann: Wiederholte Information wird mit der Zeit blass, man gewöhnt sich daran. Auch Statistiken vermögen nichts auszurichten. Entscheidend sind emotionsnahe Informationen - jemandem das Gefühl zu vermitteln: Hier sind die Skifahrer von der Lawine erfasst worden, und dort stehen die Kreuze, da sind sie tot aufgefunden worden. Diese Botschaft: Pass auf, das kannst du sein oder dein bester Freund, kommt stark an. An den Autobahnen versucht man ja auch, konkrete Menschen abzubilden, die wegen überhöhter Geschwindigkeit zu Tode gekommen sind.

SZ: Was halten Sie von schärferen Sanktionen?

Beckmann: Das ist schwierig. Wir haben ja jugendliche Subkulturen, die reizt es, Grenzen zu überschreiten, etwa die Snowboarder. Da helfen Verbote wenig. Die Amerikaner stecken Personen ins Gefängnis, die eine Lawine auslösen, bei der etwas passiert. Geht es gut ab, werden sie zur Strafe im Schnee vergraben und dann vom Lawinenhund gefunden. Das ist zwar sehr emotionsnah, für mein Gefühl aber dann doch zu drastisch.

© SZ vom 20.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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