Lawinengefahr:Tiefschnee - ein tödliches Vergnügen

Lesezeit: 3 min

In den Alpen sind hohe Lawinenwarnstufen ausgerufen worden. Trotzdem ignorieren viele Skifahrer die Gefahr.

Manfred Hummel

Wegen der anhaltenden kräftigen Schneefälle herrscht in den bayerischen Alpen oberhalb von 1400 Metern Höhe weiterhin akute Lawinengefahr. Von den Allgäuer bis zu den Berchtesgadener Alpen gilt Warnstufe vier, die zweithöchste Stufe.

(Foto: Foto: dpa)

"Eine Lawinenauslösung ist bereits bei geringer Zusatzbelastung, zum Beispiel durch einen einzelnen Skifahrer oder Snowboarder wahrscheinlich. Vereinzelt sind auch Selbstauslösungen von zum Teil großen Lockerschnee- und Schneebrettlawinen möglich", hieß es am Dienstag im Warnbericht.

Unterhalb von 1400 Metern wurde die Warnstufe drei ausgerufen, bei der die Gefährdung erheblich ist. In diesem Bereich droht der Abgang von Nassschneelawinen. Auch nahezu alle lawinengefährdeten Alpenstraßen sind derzeit gesperrt.

In den Wintersportorten herrscht derzeit wegen der Faschingsferien Hochbetrieb. Die Bergwacht richtet die eindringliche Bitte an alle Schneesportler, in diesen kritischen Tagen die präparierten Pisten auf keinen Fall zu verlassen. Bei nahezu allen Lawinenunfällen der vergangenen Tage wurde die Gefahr von den Wintersportlern ignoriert oder zumindest falsch eingeschätzt.

Tückische Schneedecke

"Bei einem schönen Tiefschneehang tritt die Gefahr in den Hintergrund, die meisten erkennen sie auch nicht", stellt der Sportpsychologe Jürgen Beckmann fest. Der Leiter des Lehrstuhls für Sportpsychologie an der TU München macht das mit einem Beispiel deutlich.

Er sei einmal mit Studenten mit der Bahn auf einen Berg gefahren. Unter der Gondel war in der Lifttrasse herrlicher, unberührter Tiefschnee zu sehen. "Da fahr' ich jetzt gleich runter", habe eine Studentin gesagt. "Warum, glauben Sie, sind da noch keine Spuren drin? Die Einheimischen würden doch als Erste hinunterwedeln", fragte Beckmann zurück. Auf das Achselzucken der Studentin hin gab er zur Antwort: "Weil gerade dieser Hang extrem lawinengefährdet ist."

Eigentlich ist es ja ganz normal, dass es im Winter schneit. Die Situation in den Bergen werde aber derzeit durch einen besonders kritischen Aufbau der Schneedecke verschärft, erläutert Bernhard Zenke, Leiter der Lawinenwarnzentrale im bayerischen Landesamt für Umwelt.

So ist die zwei bis drei Meter dicke Schneedecke, die momentan in 1600 bis 1700 Metern Höhe liegt, von mehreren "zuckerartigen" Schichten durchzogen. "Die spielen zurzeit eine entscheidende Rolle", sagt Zenke. Sie verhindern, dass sich die Nachbarschichten verbinden können. Dieser zuckerartige Schnee wirkt wie ein Gleitlager, auf dem die Schneemassen nach unten rauschen. Bereits das Gewicht des Neuschnees oder eines Wintersportlers reicht aus, um die labile Decke ins Rutschen zu bringen.

Fatal wäre es, laut Zenke, wenn es in den nächsten Tagen plötzlich warm würde. "Dann hätten wir die Warnstufe fünf." Dann drohten schwere Schadenslawinen, die bis in die Tallagen abgehen würden, vergleichbar mit den Lawinen in Galtür 1999 und im Winter 2000.

Bleibt es kalt, ändert sich nach Meinung des Experten wenig, die Situation bliebe heikel. Eine nur leichte Erwärmung dürfte dagegen zu einer gewissen Entspannung führen. Ursache für die ergiebigen Schneefälle ist die Nordwest-Strömung, die feuchte Meeresluft über den Atlantik gegen die Alpen treibt, an denen die dicken Schneewolken hängenbleiben.

Am Südrand der Alpen, etwa am Gardasee, herrscht seit 14 Tagen schönes Wetter. Eine entscheidende Rolle spielt auch der Wind, der über die Gipfel fegt und den Schnee verfrachtet beziehungsweise spröde macht. Die Kälte in der Nacht erzeugt auf der Schneedecke Oberflächenreif, der dann als Gleitschicht für den Neuschnee wirkt.

Wer übernimmt die Kosten für eine Bergung - und in welche Gefahr begeben sich die Rettungskräfte, wenn sie verschüttete Skifahrer suchen? Mehr auf Seite 2.

Heftig diskutiert wird nach Lawinenunglücken über die Kosten eines Einsatzes sowie die Gefahr für die Rettungskräfte, die das eigene Leben riskieren. So kostet beispielsweise eine Hubschrauber-Minute zwischen 40 und 90 Euro. Im Fall der Tourengeher im Spitzinggebiet, der sich am Montag ereignete und noch einmal glimpflich abging, soll der Einsatz etwa 100.000 Euro gekostet haben.

"Es ist wie auf der Straße", sagt ein Sprecher der bayerischen Bergwacht, "wenn der Rettungsdienst kommt und Verletzte birgt, ist der Einsatz durch die Krankenkasse gedeckt." Etwa zwei Millionen Euro würden die Kassen jährlich für die Bergung von Lawinenopfern ausgeben.

Retter geben nicht ihr Leben "ohne Sinn und Verstand"

"Das ist verschwindend gering im Vergleich zu den allgemeinen Kosten des Gesundheitssystems", sagt der Bergwacht-Sprecher und wirbt angesichts der vielen positiven Aspekte des Wintersports für eine nüchterne Betrachtungsweise. Viele Wintersportler, die häufiger in die Berge gehen, hätten auch eine Unfallversicherung, die für Bergungskosten aufkommt.

Im Rahmen eines Risikomanagements bildet die Bergwacht ihre eigenen Einsatzkräfte aus. Gemeinsam wägen sie das Risiko ab, ob sie in einen Hang gehen sollen. Es folgt dann eine Gruppenentscheidung, kein Befehl. "Wir geben doch nicht unser Leben ohne Sinn und Verstand", sagt der Bergretter.

Die Entscheidung fällt auch unabhängig von Eigen- oder Fremdverschulden der Lawinenopfer. Dunkelheit ist für die Retter allerdings tabu. In besonders kritischen Situationen wird auch mit kleinen Einheiten operiert, um weniger Leute in Gefahr zu bringen und das Gewicht auf den Schnee zu reduzieren. Eine Rolle spielt schließlich die Erreichbarkeit des Unglücksortes. Auf dem Brauneck sind die Bergretter schneller als etwa in den hochalpinen Regionen des Karwendels.

© SZ vom 25.02.2009/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: