Kurz vor dem Milchgipfel in Berlin:Bauernpräsident im Kreuzfeuer

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Problematische Doppelfunktion: Gerd Sonnleitner vollbringt einen Spagat zwischen bayerischen Milch- und norddeutschen Großbauern.

Christian Sebald

Hans Rieger zum Beispiel. 18 Jahre hat sich der hochgewachsene Milchbauer aus Oberndorf im Bayerischen Bauernverband engagiert. Diese Woche ist er mit 36 Kollegen vor die Geschäftsstelle in Ebersberg gezogen. Zusammen haben sie dort einem verdutzten Hauptamtlichen ihre Kündigungsschreiben überreicht.

Die Furchen erscheinen tief: Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. (Foto: Foto: dpa)

"Wir haben gerackert, wir haben demonstriert, wir haben geredet, wir haben verhandelt", sagt Rieger. "Was ist herausgekommen? In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Millibauern fast halbiert. Und unser Präsident Sonnleitner vertritt etwas anderes als wir an der Basis. Des derf' nicht sein. Jetzt is Schluss!"

Vor dem Milchgipfel am Dienstag bei Bundesagrarminister Horst Seehofer ist kein Landwirtschaftsfunktionär in Bayern so umstritten wie der Präsident des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner. Der Mann muss einen ständigen Spagat bewältigen - zwischen den Bauern im Bund und denen in Bayern. Er ist gleichzeitig Chef des bayerischen und des deutschen Bauernverbandes.

Für seine Kritiker ist Sonnleitner nur noch eine Reizfigur. Einzelne Bauern können da sehr drastisch werden. Bei einer Kundgebung hatte kürzlich einer eine Strohpuppe an seinen Traktor gehängt, die Sonnleitner als Henker des Bauernstandes vorführen sollte.

"Ohne Sonnleitner wär' die Situation noch viel schwieriger"

Für seine Anhänger hingegen bleibt Sonnleitner der Garant dafür, dass die Belange der bayerischen Bauern in Deutschland wie in Europa Gehör finden. "Ohne Sonnleitner", da ist sich zum Beispiel Peter Seidl, Bauernsverbands-Kreisobmann im Landkreis München, sicher, "ohne Sonnleitner wäre gerade die Situation der Milchbauern hier in Bayern noch sehr viel schwieriger, als sie es eh' ist."

Sonnleitners Doppelfunktion ist so problematisch, weil die Landwirte in Deutschland völlig unterschiedliche Interessen haben. Die bayerischen Milchbauern fordern eine grundsätzlich andere Agrarpolitik als die meisten ihrer Kollegen in Niedersachsen und in den anderen nördlichen Bundesländern, aber auch in der EU.

Die Bauern aus dem Norden setzen mit ihren Großbetrieben seit langem auf Expansion und das freie Spiel der Marktkräfte. Ginge es nach ihnen, könnte der Milchmarkt schon rasch freigegeben werden - inklusive der Abschaffung der bisherigen Quotenregelung, die den Bauern bis zum Jahr 2015 ein Mindestmaß an Schutz und Preisstabilität garantieren soll.

Die bayerischen Milchbauern hingegen fürchten nichts mehr als genau diese Liberalisierung. Dann nämlich, so ihre Überzeugung, hätten sie mit ihren kleinen Kuhherden von im Schnitt gerade mal 26 Tieren überhaupt keine Zukunftsperspektiven gegen die nord- und ostdeutschen Großbetriebe mehr.

Der zerfurchte Präsident

Deshalb sind die Forderungen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) nach einem kostendeckenden Milchpreis und einer neuen Marktregulierung in Bayern so populär wie nirgends sonst in der Bundesrepublik. Und deshalb fordern nun viele Milchbauern bis weit in den Bauernverband hinein, dass Gerd Sonnleitner nur dann zu Seehofers Milchgipfel erscheinen soll, wenn er die Forderungen des BDM übernimmt.

Sonnleitner selbst, der einen Tag nach dem Milchgipfel seinen 60.Geburtstag feiert, sieht mitgenommen aus in diesen Tagen. Er wirkt schmaler und blasser als sonst, die Furchen in seinem Gesicht mit dem markanten Schnauzbart erscheinen tief. Seit 1991 steht der Niederbayer, dessen Frau den Familienhof in Ruhstorf an der Rott bewirtschaftet, an der Spitze des Bayerischen Bauernverbands, seit 1997 ist er auch Präsident des Deutschen Bauernverbands.

Er hat die BSE-Krise 2000/2001 ebenso überstanden wie zahlreiche EU-Reformen. Seine agrarpolitische Kompetenz ist so unumstritten wie seine Hartnäckigkeit in schwierigen Gesprächen. Er verhandelt an einem Tag in München mit Ministerpräsident Günther Beckstein, am nächsten in Brüssel mit der EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel, und wieder ein paar Tage später sitzt er in einer internationalen Handelsrunde in der Schweiz. Von 2001 bis 2003 war Sonnleitner Präsident des europäischen Bauernverbandes Copa, seit 2007 ist er erneut dessen Vizepräsident.

Auch wenn viele ihm inzwischen vorwerfen, er habe über all seine Ämter und Posten längst die Bodenhaftung verloren, hat sich Sonnleitner einen listigen niederbayerischen Charme bewahrt. Nach wie vor kann er aus dem Stand heraus Versammlungen von Hunderten von Landwirten zu tosendem Beifall hinreißen.

In diesen Tagen wirkt Sonnleitner allerdings misstrauisch. "Wenn du von allen Seiten Prügel kriegst, ist das überhaupt nicht lustig", verteidigt ihn Kreisobmann Seidl, "da kannst du noch so ein Politprofi sein, da machst du dir schon so deine Gedanken, gerade wenn dein 60.Geburtstag bevorsteht."

So reagieren Sonnleitners Gefolgsleute in diesen Tagen umso härter. In scharfen Worten haben die Kreisobleute dem BDM vorgeworfen, gezielt zu Austritten aus dem Bauernverband aufzurufen und dafür sogar vorformulierte Schreiben zu verschicken. Damit wolle der BDM samt seinem Chef Romuald Schaber nur vom Scheitern seiner milchpolitischen Ziele ablenken.

Anzug versus Stallgewand

Zugleich haben die Kreisobleute freilich ein Grundsatzpapier zur Milchpolitik verabschiedet, in dem bis auf winzige Details fast alle Forderungen des BDM enthalten sind. "Das ist das eigentlich Tragische an dem Konflikt", sagen denn auch Bauernverbandsleute wie Seidl, "dass wir hier in Bayern in der Sache ja so nahe beieinander sind."

Umso deutlicher wird nun, dass es in dem Streit um die Milchpolitik auch um etwas sehr Persönliches zwischen dem BDM-Chef Schaber und dem Bauernverbands-Präsidenten Sonnleitner geht.

Anders als der weltläufige, machtbewusste und stets fein gekleidete Berufslobbyist Sonnleitner ist Schaber bei aller Bekanntheit, die er inzwischen genießt, ein einfacher Bauer aus dem Allgäu geblieben, der in einem abgewetzten Jacket und einem rostigen Kombi quer durch Deutschland reist.

Und wenn Schaber einmal einen Tag daheim auf seinem Bauernhof in Petersthal ist, dann schlüpft er selbstverständlich in das Stallgewand und mistet aus. Bei dem machtbewussten Sonnleitner wäre so etwas nur schwer vorstellbar, ganz abgesehen davon, dass auf seinem Hof längst keine Rinder mehr stehen.

© SZ vom 26.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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