Kritik an Hochschulreform:Zu starr und zu verschult

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Nach der Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse: Professoren und Studenten der Universität Erlangen kritisieren das neue Studiensystem.

Christine Burtscheidt

Christian Elting ahnt, was das nächste Semester bringt, das am heutigen Montag beginnt. Denn es wird sich nicht vom vergangenen unterscheiden. Sechs Klausuren, drei Hausarbeiten, zwei Berichte über Praktika und jede Menge Referate, zählt der 25-jährige Student der Erlanger Universität auf und stöhnt: "Der Prüfungsdruck ist ein Riesenproblem."

Kritik an der Hochschulrefomr: "Wer in der Regelstudienzeit fertig werden will, hat keine Zeit für etwas anderes", sagt Jens Kulenkampff. (Foto: Foto: dpa)

Elting studiert im vierten Semester an der Universität, will Grundschullehrer werden. Zugleich ist er Sprecher der studentischen Fachschaft. Dort klagen viele Studenten ihr Leid, seit die Uni im Herbst 2007 auf die angelsächsischen Abschlüsse Bachelor und Master umgestellt und Magister und Diplom abgeschafft hat.

Nicht nur die Erlanger Universität, jede deutsche Hochschule baut gegenwärtig ihr Studiensystem um. Die Reform geht auf einen Beschluss der europäischen Kultusminister von 1999 in Bologna zurück. Deren Ziel ist es, bis 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen und die Mobilität der Studenten zu erleichtern. Zugleich soll das Studium praxisnäher, kürzer und die Abbrecherquote geringer werden. Doch bislang hat sich keine der Erwartungen erfüllt.

"Humboldt, das war einmal!"

"Ist halt so", sagt Jens Kulenkampff lakonisch. Kulenkampff ist Dekan der philosophischen Fakultät der Erlanger Universität. Er residiert in der Hindenburgstraße 34, einem Haus aus den Gründerjahren. Ein repräsentativer Säulenaufgang erinnert an die guten alten Zeiten, als die Freiheit im Studium noch oberste Maxime war. Ganz so wie es der preußische Sektionschef für Kultus, Wilhelm von Humboldt, den deutschen Hochschulen vor 200 Jahren zum Auftrag gemacht hatte, damit den Studenten ausreichend Zeit für die Selbstbildung bleibt.

Doch Kulenkampff sagt: "Humboldt, das war einmal!" Das Studium sei heute vollgepackt. "Wer in der Regelstudienzeit fertig werden will, hat keine Zeit für etwas anderes." Der Dekan ist kein Reformgegner. Er kann dem neuen Studiensystem durchaus Positives abgewinnen. Das traditionelle Magister-Studium in den Geisteswissenschaften habe nicht immer die gewünschte Qualität gehabt. Die Freiheit der Professoren, Schwerpunkte selbst festzulegen, führte oft zur Beliebigkeit. Studenten wiederum ließen es an Disziplin mangeln. "Von Januar an waren unsere treuesten Zuhörer die Senioren", berichtet Kuhlenkampff.

Doch nun habe es die Politik mit der Verschulung übertrieben. "Jetzt ist alles festgezurrt", kritisiert der Dekan. Sechs Semester sind bis zum Bachelor vorgeschrieben, darauf aufbauend vier weitere bis zum Master. Das Studium selbst gliedert sich in Module, auf die es Leistungspunkte gibt, die in die Abschlussnote einfließen.

"Es gibt keine Schonphase mehr. Vom ersten Tag an ist es ernst", sagt Elting. Der Leistungsdruck ist auch deshalb groß, weil nun in sechs Semestern der gleiche Stoff gepaukt werden muss wie zuvor in acht. "Es ist wie am achtjährigen Gymnasium", sagt Elting. "Jedes Fach will so viel Inhalt wie möglich in gestraffter Unterrichtszeit unterbringen." Viele Studenten halten dem Druck nicht stand und werfen schnell hin.

Kulenkampff sagt, es sei nicht gelungen, die hohen Abbrecherquoten von bis zu 40 Prozent in den Geisteswissenschaften zu senken. Die anhaltend schlechten Betreuungsverhältnisse in der Lehre spielen eine große Rolle. Weder die Bundes- noch die Landesregierung haben zusätzliche Stellen geschaffen, obgleich sie diese mit der Umstellung in Aussicht gestellt hatten: "Arbeiten in kleinen Gruppen, das gibt es doch gar nicht. In vielen Seminaren sitzen 80 Teilnehmer", klagt Kulenkampff.

Wie das erst im "Horrorjahr 2011" wird, wenn zwei Abiturjahrgänge an die Hochschulen drängen, darüber will er gar nicht nachdenken. "Irgendwann referieren wir wie in der Schule nur Lehrbücher, mit Wissenschaft hat das dann nichts mehr zu tun."

Kritik am "starren Konzept" übt auch Bernhard Schmauss, Studiendekan der Technischen Fakultät in Erlangen. Studiengänge wie Maschinenbau oder Informatik sind zwar seit jeher verschult, doch geht auch hier die Sorge um, in sechs Semestern bis zum Bachelor ließe sich wissenschaftliche Qualität nicht vermitteln. "Das wird ein Abschluss mit schmalen Grundlagen. Wir müssen Abstriche machen", sagt Schmauss.

Wenig Chancen gibt er Bachelor-Absolventen auf dem Arbeitsmarkt. Firmen müssten auf jeden Fall Weiterbildungsmaßnahmen anbieten. Die meisten Studenten lassen sich auf diese Unsicherheit erst gar nicht ein. Sie streben gleich einen Master an, womit sich der Leistungsdruck nochmals erhöht. Denn dafür benötigen sie beim Bachelor einen Schnitt von 2,5.

Diplom ist anerkannter Titel

So wie das sechssemestrige Kurzstudium konzipiert ist, wird es boykottiert. "Der Master ist für uns der Regelabschluss", sagt Schmauss. Am besten, es bliebe gleich beim Diplom, findet er. "Das ist ein anerkannt guter Titel." Der Wunsch der Politik, Studenten früher in den Job zu bringen, scheint nicht aufgegangen zu sein.

Die Staatsregierung ist daran nicht unschuldig, weil sie die Staatsexamensfächern wie Medizin, Pharmazie oder Jura von Beginn an ausklammerte. Schwer wiegt auch, dass Studenten keine Zeit mehr zum Jobben haben. Dabei sind sie laut Deutschem Studentenwerk seit Einführung der Studiengebühren mehr denn je darauf angewiesen.

Auch ein Auslandsaufenthalt - das zentrale Ziel der Reform - passt nicht mehr ins Kalkül. "Die Mobilität ist gleich Null, das klappt schon in Deutschland nicht", sagt Dekan Kulenkampff. Der Traum von Bologna scheint sich in Bayern nicht zu erfüllen. "Das Studium ist starrer, selektiver und unsozialer geworden", sagt Student Elting.

© SZ vom 20.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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