Komiker-Duo Stermann & Grissemann:"Wir sind unrasiert, viel zu alt und trinken"

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"Es kann halt nicht jeder Markus Lanz sein" - sagen die beiden Komiker Stermann & Grissemann über ihren Stil. Mit groteskem und bisweilen brachialem Humor treibt das deutsch-österreichische Duo seit Jahren die Quoten des ORF in die Höhe. Auch hierzulande werden sie sehr vereehrt.

Anja Reiter

Humor zu beschreiben, ist eine brenzlige Angelegenheit. Den Humor des deutsch-österreichischen Kabarettistenduos Stermann & Grissemann zu beschreiben, ist besonders schwierig. Das Duo speist seine Pointen meist aus einem dahinplätschernden Gespräch, das urplötzlich ins Groteske kippt. Manchmal sind es aber auch politische Unkorrektheiten auf Beisel-Niveau, die erst im Schlagabtausch an Schmähtiefe gewinnen. Oder im schlimmsten Fall - was soll's - ins Bodenlose stürzen.

Gerne uncool und zwider: Stermann & Grissemann. (Foto: Udo Leitner / oh)

Den österreichischen Politikern haben die Satiriker in ihrer ORF-Late-Night-Show "Willkommen Österreich" jedenfalls schon dermaßen gegen die Schienbeine getreten, dass es mitunter Gerichte beschäftigte. In Kärnten mussten die beiden einen Auftritt absagen, weil sie sich im ORF über Jörg Haiders groß inszeniertes Begräbnis lustig gemacht hatten und deshalb von beleidigten Bürgern bedroht wurden.

Genauso rücksichts- und tabulos wie die Late-Night-Show ist ihr Bühnenprogramm, das sie des Öfteren auch schon nach Bayern führte. Kostprobe? Auf der Bühne stammt die Ausstattung der Moderatoren schon einmal von "NS und Mauritz", und in der "Deutschen Kochshow 3.0" wird nach dem "totalen Sieb" verlangt. "Jawoll, mein Rrrrührer!"

Findet ihr Kabarettprogramm hierzulande gleichermaßen Gefallen - oder bleibt den Bayern das Lachen eher im Halse stecken? Dirk Stermann, 46, der "Quoten-Piefke" des Duos, konnte bei den Touren durch den Freistaat durchaus Parallelen zwischen der Lachbereitschaft Bayerns und Österreichs ziehen, wie er beim Gespräch im Wiener Theater "akzent" erzählt: Je weiter man nach Norden komme, desto komplizierter werde es aber. "München oder Aschaffenburg - das macht schon einen Unterschied", erzählt er.

Stermann, der vor mehr als 20 Jahren als Numerus-Clausus-Flüchtling die Duisburger Heimat verließ, um in Wien sein Glück und seinen Tiroler Kabarett-Partner Christoph Grissemann, 45, zu finden, wurde von beiden Ländern humoristisch geprägt, wie er erzählt: Robert Gernhardt, Helmut Qualtinger, Gerhard Polt - die Einflüsse sind so vielfältig wie das Kabarett-Programm von Stermann & Grissemann.

"Tüte? Sackerl heißt das!"

Das Selbstverständnis österreichischer Künstler, deren melancholische und morbide Ader, schätzt Stermann jedoch mehr als die Strahlemänner des deutschen Comedy-Business: "Ich finde es als Künstler sehr reizvoll, sich selbst als uncool und zwider darzustellen."

Der Erfolg von Stermann & Grissemann spricht für sich: Seit 1991 moderieren die beiden im ORF-Radio FM4 die Sendung "Salon Helga", seit 2007 haben sie mit "Willkommen Österreich" eine Fernsehshow im ORF-Hauptabendprogramm. Ihre Lesungen und Kabarettprogramme sind stets ausverkauft, das öffentliche Interesse ungebremst. "Akzeptanz durch Penetranz", nennt Stermann das Konzept.

Der ORF lässt seinen Quotenbringern viele Freiheiten für größere und kleinere Gemeinheiten, selbst wenn diese auf Kosten des Arbeitgebers gehen und das ORF-Programm durch den Kakao ziehen: "Wir wollen ein Gegenentwurf zur strahlenden Fernsehwelt sein. Wir sind unrasiert, viel zu alt und trinken während der Sendung. Es kann halt nicht jeder Markus Lanz sein."

Warum der ORF in Bayern so verehrt wird, kann sich Stermann nicht erklären. Nur die Sportübertragungen fänden viele seiner deutschen Bekannten lustiger: "Weil sie so wahnsinnig nationalistisch und patriotisch sind", sagt er. "Die Deutschen haben durch den Zweiten Weltkrieg noch immer das Gefühl, sie dürften das Deutschsein nicht so vor sich hertragen."

Dirk Stermann, der Duisburger, fühlt sich nach inzwischen 20 Jahren in Österreich jedenfalls vollkommen "entpiefkenisiert". Das schreibt er auch in seinem Roman "6 Österreicher unter den ersten 5", in dem er seine eigene Integrationsgeschichte samt anfänglicher Sprachprobleme ("Tüte? Sackerl heißt das!") verarbeitet.

Im Roman bringt ein angetrunkener Österreicher in einem fiktiven Kneipengespräch die seltsame Mischung aus Stolz und Minderwertigkeitskomplex der Österreicher besonders schön auf den Punkt: "Von mir gibt's in Deutschland zehn, und ich muss hier alles allein machen."

© SZ vom 14.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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