Klosterleben:Wissenschaftler auf der Suche nach Weisheit

Lesezeit: 3 min

Das Bendektiner-Kloster St. Ottilien hat drei neue Mönche: allesamt promovierte Wissenschaftler. Auch in ihrem neuen Umfeld fragen sie sich, was die Welt im Innersten zusammenhält. Nur die Antwort ist anders.

Bernd Oswald

Mit seitlich erhobenen Armen stehen die drei ganz in schwarz gewandeten Männer da. Im Mittelpunkt. Heute ist ihr Tag, der Tag, an dem sie ihr Leben feierlich Gott widmen. Gerade haben Sie dem Erzabt des Benediktinerklosters St. Ottilien für drei Jahre Gehorsam und Beständigkeit gelobt und sich zu klösterlicher Lebensweise verpflichtet. Nun heben sie an zum gregorianischen Choral: "Suscipe me domine" - "Nimm mich an, oh Herr".

Singend zu Gott: die drei Novizen bei ihrer Mönchsweihe (Foto: Foto: Bernd Oswald)

Als sie geendet haben, tritt Erzabt Jeremias, der zur Feier des Tages die Pontifikalinsignien Mitra und Abtsstab trägt, auf die drei neuen Mönche zu und legt ihnen die kleine Kukulle über, einen schwarzen ärmellosen Überwurf.

Mit diesem Ritual machen die Benediktiner schon seit 1500 Jahren Novizen zu Mönchen - und doch sind die Brüder Timotheus, Markus und Elias etwas besonders: Alle drei kommen aus der Wissenschaft - und ersuchten innerhalb von zwei Wochen im Herbst 2005 um Aufnahme in die Erzabtei von St. Ottilien.

In einem Alter, in dem viele andere Männer Häuser bauen und Familien gründen, haben sich Teilchenphysiker Stefan Bosch (32), Luft- und Raumfahrt-Ingenieur Holger Weiß (38) und der Geophysiker Max König (35) entschieden, in der Klostergemeinschaft nach Gott zu suchen. Ausgerechnet drei promovierte Männer aus der Naturwissenschaft, die sich mit der katholischen Kirche darüber streitet, ob die Welt per Urknall oder als Schöpfung Gottes entstanden ist.

Bruder Timotheus, der am weltberühmten Kernforschungszentrum CERN promoviert hat, kann seinem Intellekt nicht eintrichtern, dass die Welt an sechs Tagen erschaffen wurde.

Ansonsten sieht er aber keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Religion: "Die theoretische Teilchenphysik fragt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Religion stellt genau die gleiche Frage, nur mit anderen Methoden. Und natürlich ist der Gültigkeitsbereich der Antworten unterschiedlich."

Stefan Bosch gibt viele Antworten wie diese, ein Mann, der die Reflexion perfekt beherrscht. Seinen Ordensnamen Timotheus hat der 32-jährige bayerische Schwabe aus dem 111. Psalm, der mit den Worten endet: "Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang." Timotheus bedeutet: Der Gott Fürchtende. "Nachdem ich im Kloster bin, um heilig und weise zu werden, hoffe ich, dass mein Ordensleben mit diesem Namen unter einem guten Stern steht", sagt Bosch mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Erzabt Jeremias Schröder legt strenge Maßstäbe an, wenn jemand in sein Kloster eintreten will (Foto: Foto: Bernd Oswald)

Auch seine Mitbrüder sehen Verbindungslinien zwischen den beiden Disziplinen. Bruder Elias zitiert im spartanisch eingerichteten Besprechungszimmerchen den Quantenphysiker Werner Heisenberg: "Der erste Schluck aus dem Becher der Wissenschaft führt zum Atheismus, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott."

"Wissenschaft und Religion sind komplementär"

Bruder Markus kommt zu dem Schluss, dass es in Wissenschaft und Religion letzten Endes um Raum, Zeit und Bewusstsein geht. "Damit stoßen wir an unsere Grenzen, und da verschwindet der Widerspruch." Bleibt Bruder Markus - sein weitgehend kahler Kopf schließt eine hagere Statur ab. Er hält sich mehr zurück als seine Mitbrüder. Wenn er spricht, dann tut er das sehr bedächtig, ja fast vergeistigt: "Wissenschaft und Religion sind komplementär: hier eine rationale, dort eine eher emotionale Methode, sich der Realität zu nähern", sagt er leise. Aufmerksamkeit verschafft er sich durch seine Gestik, die an einen Segen spendenden Priester erinnert.

Seit ihrem Klostereintritt stehen statt Elementarteilchen, Luftwiderständen, und Gletscherproben nun Ordensgeschichte, Bibelstudium und vor allem die Regel des Heiligen Benedikt auf dem Lehrplan. Eine Regel, die die Gemeinsamkeit über alles stellt und wenig persönlichen Freiraum lässt: der Tagesablauf ist von 4.50 Uhr bis 21 Uhr minutiös durchgeplant: Gottesdienst, Arbeit, Gottesdienst, Arbeit: "Ora et labora".

Erst danach bleibt noch ein wenig Zeit, um zum Beispiel einen Roman zu lesen. Diesen darf man aber nur mit Zustimmung des Erzabtes besitzen. Der Verzicht beschränkt sich aber nicht auf materielle Güter, sondern auch auf Partnerschaften: Auch der Benediktiner-Orden lebt zölibatär. Insofern ist es keine leichte Entscheidung, mit über 30 Jahren noch ins Kloster zu gehen, so wie es Stefan Bosch, Max König und Holger Weiß getan haben.

Auf der anderen Seite ist es für Erzabt Jeremias Schröder keine leichte Entscheidung, ausgebildete Persönlichkeiten noch zu Mönchen zu machen: Der Erzabt setzt die Grenze bei Mitte 30 an. Novizen nimmt er nur auf, wenn er von ihrer Gemeinschaftsfähigkeit, ihrem Glauben und ihrer psychologischen Reife überzeugt ist.

Als reiner Zufluchtsort kommt sein Kloster nicht in Frage: "Wir sind kein Asyl für Gescheiterte", sagt er entschieden. Und entgegen weitläufiger Vorstellung auch kein Hort für Romantiker: "Leute, die mit übergezogener Kapuze am Weiher in Büchern versinken wollen, können wir hier nicht gebrauchen."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: