Jagdszenen aus Oberbayern:"Narrische sind fehl am Platz"

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Obwohl er dafür viel Kritik einstecken muss, steht Förster Harald Loher fest zur Drückjagd. Seine Gäste zahlen 1600 Euro und mehr für einen Hirschen.

Christian Sebald

Harald Loher hat das Knacken gehört, da links hinten im Jungholz. Sofort greift er nach seinem schwarz schimmernden Gewehr. Es knackt erneut, aus dem Dickicht tritt ein Reh - gemächlich, immer wieder verdeckt von mannshohen Fichten.

Am Ende des Jagdtages kommt der Metzger (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Ein Knall, das Reh stürzt. "Das liegt", flüstert Loher und blickt die Brüstung des Hochstands hinab.

Der Chef des Staatsforstbetriebs in Wasserburg ist ein Jagdprofi, wie es nur wenige in Bayern gibt. Es war sein zweiter Schuss auf der Drückjagd, die unter seiner Leitung im Ebersberger Forst stattfindet. Und es ist das zweite Reh, das er erlegt hat.

Harald Loher, den in Forstkreisen alle Harry rufen, ist sehr zufrieden. Auch am Abend wird er sehr zufrieden sein, nachdem 85 Jäger neun Stück Rotwild, 24 Wildschweine und 13 Rehe zur Strecke gebracht haben.

"Hirsch tot", "Sau tot", "Reh tot"

Die Drückjagden im Ebersberger Forst sind die größten Jagden der Bayerischen Staatsforsten. Und viele sagen, sie sind die bestorganisierten weit und breit. "Ich bin als Jäger schon viel herumgekommen", sagt Sven Kado, "aber ich habe solch gut organisierte Jagden sonst nirgends erlebt."

Der Rechtsanwalt und passionierte Jäger will heute unbedingt einen Hirschen schießen, möglichst einen mit mächtigem Geweih, koste es, was es wolle. Kado ist ein Jäger alten Schlags, einer der sich morgens freut, dass abends die Strecke aus den toten Tieren gelegt wird und die Jagdbläser im Feuerschein "Hirsch tot", "Sau tot", "Reh tot" blasen. Um so erstaunlicher, dass Kado Loher so lobt.

Der Forstmann Loher, 62, ist kein traditionalistischer Jäger. Für ihn hat die Jagd nur eine Legitimation: "Wir müssen die Wildbestände in unseren Wäldern so absenken, dass junge Tannen, Buchen und Ahornbäume nicht völlig zusammengebissen werden, sondern natürlich nachwachsen können", sagt er. "Das gilt für Rehe wie für Hirsche und in den Bergen auch für Gamsen."

Drückjagden sind mehr als Brimborium

Dass die Tiere bei der Jagd so wenig wie möglich leiden dürfen, ist für Loher eine Selbstverständlichkeit. Alles andere - die Waidgerechtigkeit zum Beispiel ebenso wie die Hege, die für viele Jäger so wichtig sind - nennt der Forstmann "Brimborium", mit dem er möglichst wenig zu tun haben will.

Jahrzehntelang ist Loher in der Jägerszene angefeindet und beschimpft worden. Aber das hat ihn keinen Millimeter von seinem Credo abgebracht.

"Drückjagden sind auch für das Wild am besten", sagt er. "Wenn wir einmal intensiv jagen, hat es danach umso länger seine Ruhe." Bei der Einzeljagd hingegen, bei der ein Jäger beständig im Revier unterwegs ist, ist das Wild im Dauerstress.

Es ist nicht verwunderlich, dass Loher auch äußerlich nicht ins Jägerklischee passt, mit der Militärhose, der orangen Sicherheitsjacke und der roten Mütze, die er statt dem üblichen Loden trägt.

Der Ebersberger Forst östlich von München - dort wo die Schotterebene in sanftes Hügelland übergeht - ist mit 90 Quadratkilometern Fläche einer der größten Forste Deutschlands. Über Jahrhunderte war er Jagdrevier der Wittelsbacher, bis in die frühen 1990er Jahre fanden hier Staatsjagden statt.

Seit dem 19. Jahrhundert ist der 5000 Hektar große Westteil ein eingezäunter Wildpark. Dort wurden außer Rehwild Hirsche, Wildsauen und Muffelwild herangezüchtet, auf dass die Jagdprominenz ausreichend Beute hatte. Das ist ein für alle Mal vorbei, nun ist der Ebersberger Forst ein beliebtes Naherholungsgebiet - auch weil es hier viel Wild gibt, das man gut beobachten kann.

Doch was die Besucher freut, ist für die Forstleute ein großes Problem. "Allein bei den Hirschen gehen die Schätzungen bis 450 Stück", sagt Loher, "für den Wald wären um 100 verträglich."

Auch Rehe und Wildschweine gibt es deutlich mehr, als der Forst verkraftet. Die Stückzahlen dürften noch höher liegen. Rehe und Wildsauen kann man nicht schätzen. Die unzähligen verbissenen Laubbäumchen und umgepflügten Wiesensäume sprechen aber für sich. "Ohne scharfe Jagd können die jungen Bäume hier nicht nachwachsen", sagt Loher.

Drückjagden sind die effizienteste Jagdmethode. Loher und seine Jäger nehmen sich immer zwei jeweils 400 Hektar große Bezirke vor - einen vormittags, einen nachmittags. Nach einem festgelegten Schema werden die 85 Jäger auf Hochsitze verteilt, dann bringen Hundeführer mit etwa 30 Terriern und Bracken das Wild in Bewegung. Bald erfüllt munteres Gebell den Forst, mal ganz nahe, mal in der Ferne, je nachdem wie das Wild zieht.

Bei einer guten Drückjagd geraten Hirsche, Rehe und Wildschweine nicht in Panik. Sie hören die Hunde von Weitem und weichen großräumig aus. So zieht einmal am Waldrand gegenüber Lohers Hochsitz ein starker Keiler vorbei. Erst Minuten später folgt ihm ein Hund.

Doch natürlich sind die Drückjagden ein blutiges Geschäft, auch die von Harald Loher. Und das nicht nur, weil der eine oder andere Schütze mehrere Schüsse braucht, bis er sein Wild erlegt hat.

An diesem Vormittag verzieht sich eine getroffene Wildsau ins Unterholz. Sie kreischt laut, bis sie stirbt.

"Narrische sind fehl am Platz"

Die meisten Schüsse fallen in der ersten Stunde der Drückjagd - danach hat sich das Wild aus dem Jagdbezirk verzogen. Erst kurz vor Ende des Vormittagstriebs kehren die ersten Tiere zurück - die Jagd flammt dann noch einmal auf.

Eine Drückjagd mit so vielen Jägern und Hunden braucht ein hohes Maß an Disziplin. Das fängt damit an, dass jeder Teilnehmer eine orangefarbene Sicherheitsweste tragen muss, und hört bei strikten Vorgaben, wann geschossen werden darf, längst nicht auf.

"Narrische sind fehl am Platz", sagt Loher. "Wer zum Beispiel schießt, obwohl ein Hund am Wild ist, war das letzte Mal dabei."

Auch die Logistik ist gewaltig. Das erlegte Wild wird in einer Kiesgrube im Wald gesammelt. Wie am Fließband nimmt ein Metzger die Tiere aus. Dann wird das Fleisch auf Radioaktivität getestet. Vor allem bei Wildsauen ist das wichtig.

"Auch 21 Jahre nach Tschernobyl finden wir in einem Drittel der Sauen so viel Radioaktivität, dass man sie wegwerfen muss", sagt Loher.

Strahlende Säue

Bei so viel Professionalität ist wenig Platz für jagerische Traditionen. Natürlich gibt es am morgendlichen Treffpunkt ein kurzes Jagdhornblasen zur Begrüßung.

Aber schon Lohers Ansprache ist betont nüchtern. Und beim abendlichen Streckelegen hat sich die Hälfte der Jäger bereits verdrückt, weil der Tag lange und anstrengend war.

Gleichwohl werden Lohers Drückjagden auch bei traditionsverbundenen Jägern immer beliebter. Inzwischen melden sich regelmäßig um die 30 Jagdgäste an - wie Anwalt Kado. Dem Forstbetrieb bringt das zusätzliche Einnahmen. Allein die vier Stunden auf dem Hochsitz sind jedem Gast 300 Euro wert.

Wer auf eine Trophäe aus ist, muss extra zahlen - 1600 Euro aufwärts für einen Hirsch mit einem starken Geweih, 800 Euro und mehr für einen Keiler mit entsprechend mächtigen Eckzähnen.

Die Ebersberger Jagden haben einen so guten Ruf, dass einzelne Gäste bis aus Südtirol anreisen. Die meisten aber sind Einheimische - Anwälte, Ärzte, Bauunternehmer, der eine oder andere Adlige aus der Region, aber auch Bauern, bei denen das Jagen Familientradition ist. Auch der Landrat kommt gerne, ebenso der Kreisvorsitzende des Jagdverbandes.

Nur der Jägerpräsident und CSU-Landtagsabgeordnete Jürgen Vocke, der in Ebersberg lebt, sagt regelmäßig ab. Spötter behaupten, er könne es sich nicht leisten, durch sein Kommen Lohers Kompetenz anzuerkennen, wo doch der Jagdverband den Forstmann jahrzehntelang aufs Schärfste attackiert hat.

Anwalt Kados Hoffnung geht bald in Erfüllung. Vormittags erlegt er einen kapitalen Hirsch. Im Jagdeifer fällt Kado sogar vom Hochsitz, wie er später erzählt, als er gutgelaunt am Lagerfeuer den nassen Hosenboden aufwärmt.

Da weiß Kado schon, wo er die Trophäe aufhängt: Auf dem Balkon, wo das Geweih seines ersten Hirsches hängt. Den hat er vor einem Jahr erlegt - bei einer Drückjagd von Harald Loher.

© SZ vom 12.11.2007/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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