Integrationskurse in Bayern:Wem die Deutschstunde schlägt

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Warum es nicht "Gipstdu Zucker" heißt: Manche Migranten sprechen "fließend falsch Deutsch", weiß Lehrerin Ulrike Stadler. Doch das ist nicht die einzige Herausforderung in Integrationskursen.

Susanne Klaiber

Fauzi Jamil sieht fröhlich aus. "Ich habe braune Schuhe an", hat er gerade gesagt. Es ist ein kleiner Erfolg für den Iraker, die Grammatik stimmt. Anna Nekrasova guckt dagegen ein wenig genervt. "Ich habe Jura studiert und dann in einer Bank gearbeitet. In der Außenhandelsfinanzierung", hat die Russin gerade gesagt und ist nur einmal kurz steckengeblieben bei dem Wort "Außenhandelsfinanzierung". So was ärgert sie. Die Russin lebt seit zehn Monaten in Deutschland. Der Iraker Fauzi Jamil seit zehn Jahren.

Ausländer im Sprachkurs: Mancher mogelt sich jahrelang ohne richtiges Deutsch durch, andere sind schon mit sich unzufrieden, wenn man den Akzent noch hört. (Foto: Robert Haas)

Beide besuchen Integrationskurse an der Münchner Sprachschule Klartext. In ganz Bayern haben sich im vergangenen Jahr 15.000 neue Teilnehmer angemeldet. Wer so viel Deutsch gelernt hat, dass er im Alltag klarkommt wie die 31-jährige Anna Nekrasova, bekommt noch Unterricht in Landeskunde.

Lehrerin Ulrike Stadler, 33, schaltet den CD-Player an. Die Nationalhymne. Yuliana Kovaleva aus Russland steht schnell auf. "Das musst du nicht, aber du kannst natürlich gern", sagt Stadler. Also lauscht der Kurs im Sitzen - und versteht wohl kaum mehr als "Einigkeit und Recht und Freiheit". Aber das macht nichts, denn im Multiple-Choice-Abschlusstest wird nur der Anfang der Hymne abgefragt und der Verfasser des Textes. "Heinrich Hoffmann von Fallersleben." Ein gemeiner Name, unaussprechlich, wenn man erst Deutsch lernt. "Merkt euch einfach: Der längste Name ist der richtige", sagt Stadler.

"Die Teilnehmer sind wahnsinnig tapfer", sagt Lehrerin Stadler nach der Stunde. Weil sie so viel lernen, was zwar wichtig ist, aber trocken und abstrakt. Deswegen hat Stadler ihren Schülern zwar erzählt, was Staat und Bürger hier für Rechte und Pflichten haben. Aber dann hat sie viel Zeit auf die weniger staatstragenden Fragen ihrer Teilnehmer verwendet: ab wann man auf der Straße leise sein muss und wie oft man in Deutschland grillen darf.

Wenn Ulrike Stadler erklärt, spricht sie so deutlich, so betont, wie man es Kindern gegenüber oft tut. Es ist eine Gratwanderung. Sie muss aufpassen, dass sie Uniabsolventen wie Anna Nekrasova nicht langweilt und Langsamere wie Fauzi Jamil nicht überfordert. Denn für die 45 Stunden Landeskunde werden die Teilnehmer nicht getrennt - im Sprachunterricht ist das anders: Normale Lerner belegen Deutschkurse über 600 Stunden. Daneben gibt es Spezialkurse, etwa für Schnell-Lerner, Analphabeten, Frauen und Jugendliche - zumindest in Städten wie München, Augsburg oder Nürnberg. Auf dem Land sieht das anders aus.

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Zuwanderer wie Fauzi Jamil, die schon vor dem Jahr 2005 nach Deutschland gekommen sind, können Förderkurse mit 900 Stunden belegen. "Viele von ihnen sprechen fließend falsch Deutsch", sagt Ulrike Stadler. Manchen sagt sie zehnmal, dass es nicht "Gipstdu Zucker" heißt, sondern "Gib mir den Zucker". Sie lacht hilflos. "Aber warum sollen sie es mir glauben, wenn sie es in ihrer Gegend, in der kaum Deutsche wohnen, immer anders hören?"

In den Kursen sind die Schüler zwar nach ihrer Leistungsfähigkeit getrennt, aber die Kulturen sind gemischt - eine Herausforderung für die Lehrer. Bei Klartext sollen sie zum Beispiel nicht so streng sein, wenn Muslime im Fastenmonat Ramadan nicht gut drauf sind. Allerdings müssen sie auch aufpassen, dass die Teilnehmer sich nicht in die Haare geraten wegen politischer oder religiöser Konflikte in der Heimat oder unterschiedlicher Gepflogenheiten: Geschäftsführerin Sabine Kühn erzählt, dass in einem Jugendkurs ein Araber auf einen Afrikaner losgehen wollte, weil der ihn immer beim Reden anfasste. "Der Araber fühlte sich angegriffen", sagt Kühn. In solchen Fällen werden die Kontrahenten ins Büro zitiert, wo die Leiterinnen schlichten - und klarstellen, was hier gilt: "Wir verlangen Respekt für unsere Lehrer und Schüler, außerdem Sauberkeit und Ordnung", sagt Kühn. Jeder Neuling bekommt erst mal ein Blatt mit den Schulregeln in die Hand gedrückt, mit kurzen Texten und Piktogrammen. "Ich halte die Schule sauber", steht da, und "Ich tue keinem weh", "Ich beleidige und bedrohe niemanden". Kühn weiß, dass das kindlich klingt, kindisch vielleicht sogar. Aber anders geht es nicht.

Jamil Fauzis Lehrerin Diana Gehring, 26, sagt, in ihrem Kurs habe es noch nie richtig Ärger gegeben. Auch mit der Motivation der Teilnehmer sei sie sehr zufrieden. "Die Erwachsenen haben alle Ziele." Fauzi Jamil, der wegen der politischen Verhältnisse seine Heimat verlassen hat, will zum Beispiel endlich die Briefe lesen können, die er geschickt bekommt, von den Ämtern und der Schule seiner Kinder. Trotzdem gibt es beim Interesse Abstufungen im Kurs. Der ehemalige Goldverkäufer Jamil zum Beispiel ist nicht nur fröhlich, weil er seine Kleidung richtig beschrieben hat, sondern auch, weil er weniger Teile anhat als seine Nachbarin - und deshalb weniger Sätze bilden muss. Dann ist da die stille Mathelehrerin aus Tadschikistan, die Kursbeste in Grammatik, da ist ein Landsmann von Jamil, der den Klassenclown gibt, und ein ernster afghanischer Ingenieur, der schnell ungeduldig wird, wenn jemand lange nachdenken muss.

Anna Nekrasova hat allerdings von Klassen gehört, in denen richtig Faule saßen. Sie selbst besucht gerade noch einen weiterführenden Kurs an einer anderen Schule, da gebe es auch welche, die nur wenig dazulernten, keine Hausaufgaben machten. So was ärgert sie, weil solche Teilnehmer die anderen ausbremsen. Sie vermutet, dass das Desinteresse daher kommt, dass man so leicht Arbeitslosengeld bekomme und Kurse "für nichts kriegt".

In der Regel müssen die Teilnehmer einen Euro pro Unterrichtsstunde zahlen, die restlichen 1,35 Euro, die die Träger dafür bekommen, zahlt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Entsprechend niedrig sind auch die Löhne: 22 Euro pro Unterrichtsstunde inklusive der Vor- und Nachbereitung zahlt Klartext seinen Lehrern, die alle studiert haben. Das ist mehr als im Bundesdurchschnitt - und doch wenig. Ulrike Stadler, die von Zwölfstundentagen und Jahren mit nur einer Woche Urlaub erzählt, hat Angst davor, krank zu werden - sie könnte es sich nicht leisten.

Der Staat gibt indes in diesem Jahr mehr für die Kurse aus als je zuvor: 233 Millionen Euro. "In keinem mir bekannten Staat wird mehr gemacht. Und die Investition ist ihr Geld wert", sagt Jörg Roche, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität München. So würden die Folgekosten mangelnder Integration vermieden, und die Wirtschaft brauche mehrsprachige Mitarbeiter.

Anna Nekrasova würde sehr gerne wieder in einer Bank arbeiten, sie hat Heimat und Job nur aufgegeben, weil ihr Mann in Deutschland arbeitet. "Ich kann nicht zu Hause bleiben", sagt sie. Aber sie hat Angst, dass sie nicht gut genug Deutsch spricht, dass man ihren Akzent nicht akzeptiert. Dass alle Ausländer pauschal als faul abgestempelt werden.

Zumal nach den Statistiken des Bundesamts für Migration die Hälfte aller Kursteilnehmer die Sprachprüfung erst gar nicht antreten oder nicht bestehen. Matthias Makowski, Leiter der Sprachabteilung des Goethe-Instituts, sagt, an den Kursen nähmen auch Leute teil, die wegen ihrer Familie wenig Zeit zum Lernen hätten oder "Bildungsdefizite" aus ihrer Heimat mitbrächten. Was "Bildungsdefizit" in der Praxis heißt, erzählt Ulrike Stadler: Vor ihr sitzen oft Menschen, die auch nach vielem Erklären Bildern keine Wörter zuordnen können.

"Die Kurse sind ein gewaltiger Schritt", sagt Makowski. Schließlich habe man vor 2005 jede Förderung verschlafen - und muss jetzt viel nachholen. Wie Fauzi Jamil, der sich bisher einfach irgendwie durchgewurstelt hat, als Küchenhelfer zum Beispiel, ohne richtig Deutsch lesen und schreiben zu können. "Ich habe beraune Schua an", hat Jamil auf seinem Übungsblatt notiert. Für ihn ist es ein Fortschritt. Die Grammatik immerhin stimmt.

© SZ vom 07.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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