Häusliche Gewalt:Martyrium einer 74-Jährigen

Lesezeit: 3 min

In Schweinfurt wurde eine Rentnerin offenkundig misshandelt. Trotz Hinweisen schritten Ämter und Polizei nicht ein - die Frau starb.

Dietrich Mittler

Niemand nahm vor gut zwei Jahren groß Notiz vom Tod einer 74-jährigen Rentnerin aus Schweinfurt. Mit Sicherheit hätte die Öffentlichkeit auch nie von den Misshandlungen erfahren, denen die pflegebedürftige Frau offenbar ausgesetzt war - wäre nicht ein Zechbruder ihres Sohnes unter ungeklärten Umständen in der Wohnung der Familie verblutet.

Trotz Pflegedienst wurde eine Rentnerin in Schweinfurt Opfer von häuslicher Gewalt. (Foto: Foto: AP)

Beim anschließenden Verfahren wegen des Verdachts auf Totschlag vor dem Landgericht Schweinfurt wurde eine Kette des Versagens offenbar: Als Tatzeugen wurden auch Pflegerinnen der Caritas-Sozialstation St.Elisabeth verhört, die am Tag des tödlichen Zwischenfalls die Mutter des Angeklagten versorgt hatten.

Zum Tod des Zechbruders konnten sie nichts sagen, dafür aber umso mehr über den erbärmlichen Zustand der alten Frau: Mehrmals seien bei ihr blaue Flecken im Genitalbereich und weitere Spuren möglicher Misshandlungen gefunden worden. Auch habe ein Kollege bei einer Dienstbesprechung gesagt, der Ehemann der alten Frau habe ihn gefragt, ob man sie "nicht zum Schweigen bringen" könne.

Am 26. Januar 2005 nahm Gregor Stacha, der Leiter der Pflegestation, Kontakt mit dem Schweinfurter Gesundheitsamt auf. "Er bekam zur Antwort, dass er sich an die Polizei wenden müsse", sagt Ludger Heuer, der Pressesprecher des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg.

Heuer sieht sich zu dieser Äußerung genötigt, weil im Prozessbericht der Schweinfurter Volkszeitung mitschwang, die Pflegekräfte hätten sich nicht energisch genug für die alte Frau eingesetzt. Das streitet Heuer ab. Vielmehr habe Stationschef Stacha mehreren Mitgliedern der Familie "unmissverständlich klargemacht, dass die Sozialstation das Pflegeverhältnis bei weiteren aggressiven Übergriffen lösen werde".

Offensichtlich nahm Stacha auch Kontakt mit der Polizei auf. "Dort erhielt er die Auskunft, dass die nur tätig werden könne, wenn die pflegebedürftige Frau selbst Anzeige erstatte oder die Pflegekräfte solche Misshandlungen mitbekommen", sagt Heuer. Olaf Schreiner, Chef der Polizeiinspektion Schweinfurt, sieht seine Leute im Recht: "Es gab zwar einen Anruf des Herrn Stacha bei der Polizei, da ging es aber darum, dass eine Mitarbeiterin der Caritas selbst Angst hatte."

Aggressiver Sohn

Der Sohn der Pflegebedürftigen sei aggressiv, wenn er getrunken habe. "Es war sogar eine Streife dort, hat aber den Sohn nicht angetroffen", so Schreiner weiter. Bei diesem Einsatz wurden die Beamten auch über die Blutergüsse am Körper der alten Frau informiert.

Doch sie hielten es offensichtlich nicht für angebracht, mit der Betroffenen selbst zu reden. "Weil der angebliche Schädiger nicht im Haus war, musste nicht eingeschritten werden", sagt Schreiner. Es habe ja keine akute Situation der Gefahrenabwehr bestanden. "So sieht es wohl auch der Staatsanwalt, sonst hätte er nach dem Bericht der Volkszeitung wohl Ermittlungen eingeleitet", glaubt der Schweinfurter Polizeichef.

Sozialministerin Christa Stewens betont indes: "Das Problem ist, dass alte Menschen bei Fällen häuslicher Gewalt oft nicht ernst genommen werden." Oft erklärten die alten Menschen aber auch, es gehe ihnen gut, obwohl dies nicht stimme. "Wir müssen Polizei und Staatsanwaltschaft in Fort- und Weiterbildungen mehr darin schulen, dass sie die Aussagen älterer Menschen besser beurteilen können und nicht einfach sagen: Ok, da ist nichts passiert", sagt die Ministerin.

Unterdessen sieht sich auch das Schweinfurter Gesundheitsamt nicht verantwortlich dafür, dass die alte Frau in ihrem katastrophalen Umfeld blieb. Amtsleiter Werner Arnholdt sagt: "Die Hinweise der Caritas waren ganz allgemein gehalten. Uns wurde nicht einmal der Name der Betroffenen mitgeteilt."

Auch der für den Fall zuständige Richter der Schwurkammer sieht die Pflegekräfte in der Haftung. Telefonisch teilte der Richter der Caritas mit, ihre Mitarbeiter hätten Glück gehabt, dass die Frau eines natürlichen Todes gestorben sei. Wäre sie aufgrund der Misshandlungen verschieden, hätten die Pflegekräfte eine Anzeige wegen Totschlags durch Unterlassung bekommen.

Der Münchner Sozialarbeiter und Pflegeexperte Claus Fussek äußerte Verständnis für die Haltung des Richters: "Ich frage mich, warum die Mitarbeiter der Sozialstation nicht hartnäckiger auf einem Eingreifen der Behörden bestanden haben."

Der Sohn der alten Frau wurde jetzt freigesprochen. Wie es im Landgericht hinter vorgehaltener Hand hieß, sei die Spurensicherung zu mangelhaft gewesen, um dem Mann etwas nachweisen zu können.

© SZ vom 30.07.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: