Grafenwöhr:Amerikas jüngste Stadt

Lesezeit: 3 min

In der Siedlung am Truppenübungsplatz Grafenwöhr wurde eine Milliarde Euro verbaut. Doch der große Wirtschaftsboom in der Oberpfalz blieb bislang aus.

Max Hägler

Großer Parkplatz, große Autos, große Plastiktüten: Wer in diesen Tagen nach Netzaberg in der Oberpfalz kommt und durch die Sicherheitskontrollen den Weg findet zur Main Street Mall, vorbei an Burger King und an der Tankstelle mit 24 Zapfsäulen, der wähnt sich in den USA. Und ganz falsch ist die Einschätzung ja auch nicht.

Grafenwöhr war bislang ein Trainingsplatz für Nato-Truppen, nun wird die Region Stützpunkt für 3500 Soldaten. (Foto: Foto: dpa)

Netzaberg ist so etwas wie die jüngste Gemeinde der Amerikaner, gelegen am Rande des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr, nahe der gleichnamigen Stadt. In diesen Tagen werden die letzten von insgesamt 830 Häusern an die US-Armee übergeben. Damit nimmt eines der größten Bauprojekte Bayerns Gestalt an: Die Unterkunft für die 172. Infanteriebrigade der US-Armee, die bis Ende 2010 komplett von Schweinfurt nach Grafenwöhr verlegt wird.

War Grafenwöhr bislang vor allem ein europaweit bedeutender Trainingsplatz für Nato-Truppen, wird die Region jetzt zu einem dauerhaften Stützpunkt für 3500 Soldaten und ihre Familienangehörigen. Von einem "idealen" Übungsgelände sprechen die Militärs dabei, aber auch die deutschen Anwohner hofften lange, dass ihre neuen Nachbarn Schwung bringen ins strukturschwache Ostbayern - war doch eine Zeitlang der Standort in Gefahr.

"Das ist wie Weihnachten mitten im Sommer", sagte Grafenwöhrs Bürgermeister Helmuth Wächter (SPD) entsprechend begeistert im Jahr 2001, als aus dem Pentagon die Nachricht durchsickerte, dass Grafenwöhr nicht geschlossen, sondern im Gegenteil zu einem zentralen Stützpunkt der US-Armee ausgebaut wird. Damit werde die nördliche Oberpfalz "endgültig zur Boomregion", jubelte damals der Bürgermeister.

2000 Zivilbedienstete

Ein wenig zurückhaltender, aber nicht unzufrieden klingt Wilhelm Keck, Wirtschaftsleiter der Stadt Grafenwöhr, heute, nachdem etwa die Hälfte der Schweinfurter Brigade umgezogen ist. "Es läuft gut an." Gerade die Gastronomie und Freizeiteinrichtungen würden einen Aufschwung spüren. Und auch die ehemalige Tennishalle, die vor kurzem noch begehrtes Objekt der NPD war, sei durch die stationierten Amerikaner und ihre Familien gut genutzt:

Megaplay heißt die Halle inzwischen und ist eine Art überdimensionierter Kinderspielplatz, betrieben von einem Privatinvestor. "Das kommt sehr sehr gut an", sagt Keck. Auch Kfz-Händler würden sich neu ansiedeln, so wie das Geschäft, das ganz nah vor Tor 3 seine US-Cars mit offenen Motorhauben präsentiert: Mächtiger Hubraum und viel Chrom sind hier noch gefragt, auch wenn es oft nur die paar Kilometer vom Tor zum Burger King und der eigenen Shopping Mall geht.

Es ist wohl Ablenkung vom Beruf, der hier immer wieder auch seine Opfer fordert. Die 172. Infanteriebrigade am Netzaberg ist genauso wie die Kameraden vom 2. Stryker Cavalry Regiment einige Kilometer weiter südlich auf dem Gelände ständig im Kampfeinsatz, derzeit im Irak. Wer zuhause bleibt, in Grafenwöhr, spielt Basketball im 15 Millionen Euro teuren Physical Fitness Center, läuft auf der Tartanbahn seine Runden - natürlich in Meilen, oder belegt als Familienangehörige einen Sechs-Wochen-Kurs in "geburtsvorbereitendem Yoga" - natürlich zahlbar in Dollar (22,50).

Es ist eine eigene Welt, die hinter den Toren wächst. Und unter die vielen Militärangehörigen, die in Flecktarn die Straßen ihrer New Town bevölkern, sind auch zahlreiche Deutsche. Rund 2000 Zivilbedienstete tun ihren Dienst auf dem Gelände. Damit ist die US-Armee mit Abstand der größte Arbeitgeber in der Region und man hoffte, dass die dauerhafte Stationierung von regulären Truppen auch hier weiteren Aufschwung bringen würde.

Doch das ist nicht der Fall, wie Verdi-Mann Karlheinz Winter aus Weiden feststellt. Wenn man ihn nach den Folgen von Netzaberg fragt, sagt er einen freundlichen Einleitungssatz, redet von amerikanischen Freunden in der Region. Doch schnell kommt die Enttäuschung durch. "Wir haben bei den Arbeitsplätzen Status Quo und wir haben sogar in vielen Einheiten inzwischen nur befristete Beschäftigungsverhältnisse, die teilweise auch nicht nach dem vereinbarten Tarif entlohnt werden." Natürlich sei der Standort enorm wichtig, aber den wirtschaftlichen Aufschwung, den die Politik versprochen hatte, den gebe es nicht. "Das ist nachweisbar."

Ernüchterter Minister

Erst in diesen Tagen hat Winter die neuen Arbeitsmarktdaten für seinen Bezirk Weiden auf den Tisch bekommen. "300 Ein-Euro-Jobber sind dazu gekommen, von 500 auf 800 ist das gestiegen in einem Jahr." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist jemand, der gern von den positiven Auswirkungen spricht.

An diesem Donnerstag steht er selbst in Netzaberg, um die Fortschritte zu begutachten. Gerade hat er Haus Nummer 5 in Grünhundstraße besichtigt, eines der größeren Modelle. Minnesota heißt es, 175 Quadratmeter ist es groß, ausgestattet mit riesigen Backöfen, in denen Truthähne Platz finden und mit Steckdosen, aus denen je nach Bedarf 110 oder 230 Volt kommen.

"Für uns in Bayern ist das eine sehr gute Geschichte", sagt er danach, als er auf der ordentlich geteerten Straße steht. Da seien zum einen die kurzfristigen Effekte durch Bauaufträge, zum anderen aber der Dauereffekt, schließlich sei die US-Armee der elftgrößte Arbeitgeber in Bayern. Und das versuche man auch durch "eine special relationship" auszubauen, formuliert der Minister.

Aber einige Jahre nach dem Beginn des eine Milliarde Euro schweren Bauprogramms, das von der US-Regierung und von privaten Investoren getragen wird, scheint auch bei ihm Ernüchterung durchzukommen. "Man hofft schon auch, dass es positive Impulse gibt." Begeisterung klingt anders.

Gar nicht begeistert vom Ausbau ist man im Landkreis Amberg-Sulzbach. Nur ein Zipfel grenzt direkt an den Truppenübungsplatz, so erhält man kaum Ausgleichzahlungen. Hier bestimmt der Schießlärm die Haltung. "Die Hauptzufahrten sind in Grafenwöhr, die profitieren auch", sagt etwa Hubert Uschald, Abteilungsleiter im Landratsamt. "Wir dagegen eigentlich kaum, wir sind die Leidtragenden."

© SZ vom 29.8.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: