Frau bei Einsatz verletzt:Strafanzeige gegen Polizeikommando

Lesezeit: 2 min

Eine Blendgranate fliegt durchs Fenster und explodiert auf dem Sofa, Polizisten stürmen das Haus - und nehmen einen Waffennarren fest. Inzwischen ist der Mann verurteilt und in die Psychatrie eingewiesen worden. Doch seine Ehefrau leidet noch immer unter dem Einsatz.

Marlene Weiss

Christine W. saß auf dem Sofa und trank Tee mit ihrem Mann, als das Wohnzimmerfenster eingeschlagen wurde, eine Blendgranate hereinflog und Polizisten ins Haus des Paares in Geltendorf, Landkreis Landsberg, stürmten. Dann, so schildert sie die Ereignisse, habe ein schwarz gekleideter Polizist eine zweite Blendgranate direkt in ihre Richtung geworfen, die auf dem Sofa explodierte.

Die besonders ausgebildeten Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei werden immer dann gerufen, wenn es gefährlich wird. Bei einem Einsatz vor zwei Jahren soll eine Unbeteiligte zu Schaden gekommen sein. (Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Christine W. wurde am Gesäß verletzt und zwei Wochen lang im Krankenhaus behandelt, noch heute hat sie Schmerzen und hinkt - dabei hat der Einsatz ihrem Ehemann gegolten und nicht ihr. Jetzt hat die Frau den Freistaat Bayern auf Schmerzensgeld verklagt und Strafanzeige gegen die beteiligten Beamten erstattet.

Aus polizeilicher Perspektive war der Einsatz, an dem insgesamt 180 Polizisten beteiligt waren, erfolgreich: Im Haus fanden sie bei dieser und einer folgenden Durchsuchung Waffen, Sprengstoff und mehrere tausend Schuss Munition.

Der Ehemann, der sich gegen die Beamten mit einem Speer zur Wehr setzte, wurde festgenommen und später wegen unerlaubtem Waffenbesitz, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu knapp fünf Jahren Haft verurteilt und dauerhaft in die Psychiatrie eingewiesen. Die Staatsanwältin lobte damals die Besonnenheit der Polizisten, weil diese nicht geschossen hätten. Der Beschuldigte war schon zuvor als Waffennarr aufgefallen.

Doch die 53-jährige unbescholtene Ehefrau leidet unter den Folgen des Einsatzes bis heute. Im Klinikum Landsberg stellten die Ärzte eine sechs Zentimeter tiefe Wunde von mehr als 15 Zentimetern Durchmesser am Gesäß fest, in der sich Stoff- und Plastikfragmente fanden. Inzwischen ist die Wunde vernarbt, aber die Narbe ist laut ärztlichem Befund von diesem Juni mit dem darunterliegenden Gewebe verwachsen.

Eigentlich dienen Blendgranaten nur dazu, mit einem lauten Knall und gleißendem Licht kurz für Verwirrung zu sorgen, sie sollen keine Verletzungen verursachen. Jetzt hat der Anwalt von Christine W., Marcus Becker, in einem Schreiben vom 13. Oktober an Innenminister Joachim Herrmann 100.000 Euro Schmerzensgeld für seine Mandantin gefordert.

Die gesetzte Frist verstrich am Mittwoch ohne Reaktion aus dem Innenministerium, für diesen Fall hat Becker Klage angekündigt. Gegen die beteiligten Beamten des Münchner SEK hat er bereits Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München I erstattet. "Mir geht es um Aufklärung", sagt Becker. "Ich verstehe nicht, warum man nicht zuerst das Haus observiert hat, um abzuwarten, bis die Ehefrau das Haus verlässt."

Zudem hätten die Beamten Beckers Ansicht nach einfach klingeln können - auch bei einer früheren Durchsuchung habe sich das Ehepaar kooperativ verhalten. Stattdessen sei Christine W. schwer verletzt auf den Boden geworfen und gefesselt worden, später habe man ihre Kleidung aufgeschnitten und sie, in eine Decke gehüllt, ins Krankenhaus gebracht. Ein Arzt sei nicht hinzugezogen worden, und man habe ihr verweigert, Familienangehörige zu informieren.

Die Polizeibeamten schildern die Ereignisse anders: Die Verletzung sei durch eine Glasscherbe entstanden, in die sich die Betroffene gesetzt habe, heißt es im Bericht des SEK, den Becker in seinem Schreiben an das Innenministerium zitiert. Aus dieser Schilderung ergebe sich, dass man die Verletzungen bagatellisieren und seiner Mandantin die Schuld daran geben wolle, schreibt Becker dazu.

Da die am Einsatz beteiligte Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck die Unterstützung des SEK angefordert hatte, ist das Polizeipräsidium Oberbayern Nord zuständig. Dort will man die Angelegenheit nicht kommentieren. "Wir prüfen ernsthaft, wann eine Maßnahme notwendig ist", sagt ein Sprecher. Ein Sprecher des Innenministeriums sagt, man prüfe den Fall, aber in der kurzen Frist habe man noch zu keinem Ergebnis kommen können. Verletzungen durch eine Blendgranate könnten nicht ausgeschlossen werden, aber wie die Wunde im konkreten Fall tatsächlich entstanden sei, könne man so nicht beurteilen.

© SZ vom 27.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: