Förderpraxis in der Kritik:Auf der Alm, da gibt's a Sünd

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Der Bayerische Oberste Rechnungshof ist empört: Einerseits subventioniert das Agrarministerium die Aufforstung, auf der anderen Seite wird immer mehr Bergwald als Weideland eingestuft.

Ch. Sebald

Zahlreiche Bauern in Oberbayern und im Allgäu beziehen seit Jahren für ihre Almen hohe Zuschüsse, die ihnen gar nicht zustehen. Der Grund ist die Praxis der Landwirtschaftsämter, Bergwälder, darunter auch besonders wertvolle Schutzwälder, als Weideflächen einzustufen und den Almbauern dafür Agrarsubventionen der EU und des Freistaats auszuzahlen.

Zahlreiche Bauern haben hohe Zuschüsse erhalten - offenbar zu Unrecht. Die Subventionspraxis des Agraministeriums steht in der Kritik. (Foto: Foto: ddp)

Experten beziffern das Volumen der zu Unrecht gewährten Zuschüsse auf wenigstens 1,5 Millionen Euro im Jahr. Der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) kritisiert die Praxis scharf und hat das Agrarministerium aufgefordert sie abzustellen. Hubert Weiger, der Vorsitzende des Bundes Naturschutz, spricht von einem Subventionsskandal. Er sagt: "EU und Landtag müssen eingreifen."

Die Bergwälder gelten als die wichtigsten Wälder überhaupt in Bayern - wirkt sich doch der Klimawandel auf die Alpen besonders dramatisch aus. So wird sich hier die Durchschnittstemperatur doppelt so schnell erhöhen wie im Flachland. Die Zahl der Stürme, Felsstürze, Muren und Hochwässer wird ebenfalls bedrohlich zunehmen.

Der beste Schutz für Mensch und Natur in den Alpen sind intakte Bergwälder. Das sagen nicht nur alle Experten. Das betont auch Forstminister Josef Miller (CSU) bei jeder Gelegenheit. Gut die Hälfte der 250.000 Hektar Bergwald in Bayern ist daher als Schutzwald eingestuft. Er soll besonders sorgsam gepflegt werden.

1,5 Millionen Euro Schaden

Um den Zustand der Bergwälder aber steht es schlecht: Luftverschmutzung, Stürme und Schädlinge wie der Borkenkäfer setzen ihm massiv zu. Bereits 13.000 Hektar Schutzwald sind so geschädigt, dass sie aufwendig saniert werden müssen.

Seit 1986 hat der Freistaat 60 Millionen Euro in die Bergwälder gepumpt und zigtausend Tannen, Buchen, Fichten und Bergahorn-Setzlinge anpflanzen lassen. Erst im Juli rief Forstminister Miller eine neue millionenschwere "Bergwald-Offensive" aus. Sie soll nicht zuletzt die Almbauern für die Aufgabe sensibilisieren.

Waldexperten sind deshalb entsetzt über die Förderpraxis des Agrarministeriums. "Da betont Miller bei jedem Anlass, wie dringend etwas für den Bergwald geschehen muss", sagt ein Fachmann, der ungenannt bleiben will, "zugleich billigt er Subventionen, durch die der Wald immer weiter geschädigt wird." Ein anderer spricht gar von "Absurdistan": "Auf der einen Seite zahlt Miller Zigmillionen für Aufforstungen, auf der anderen gewährt er Zuschüsse, wenn Kühe und Jungrinder den Bergwald zusammenfressen."

Wie viel Bergwald tatsächlich als Weideland eingestuft ist, ist offen. Der Rechnungshof selbst hat nur Stichproben untersucht. Das Agrarministerium selbst hat angesichts der ungefähr 1400 Almen und 40.000 Hektar Almweiden keinen Überblick. "Dazu müsste jede Alm einzeln geprüft werden", sagt ein hochrangiger Experte. "Das ist nicht nur sehr schwierig, sondern vor allem extrem personal- und zeitaufwendig."

Einen Anhaltspunkt liefern die Schätzungen über die bezuschussten Schutzwälder, die unter Fachleuten kursieren. "Etwa 5000 Hektar Schutzwald sind als Weideland eingestuft", sagt einer. "EU und Freistaat fördern jeden Hektar Almweide aktuell mit wenigstens 300 Euro im Jahr."

Nicht nur deshalb ist ein finanzieller Schaden von jährlich 1,5 Millionen Euro die untere Grenze. Bis 2013 wird der Freistaat die Zuschüsse für die Almbauern deutlich anheben. "Sollte die Staatsregierung bei der jetzigen Praxis bleiben, erhöhen sich die unberechtigten Zahlungen auf wenigstens drei Millionen im Jahr", sagt der Fachmann. "Der Anteil der EU-Mittel steigt sogar überproportional an."

Verstoß gegen Waldgesetz

Damit nicht genug: Der Rechnungshof wirft dem Agrarministerium vor, gegen das bayerische Waldgesetz zu verstoßen. Damit die umstrittene Alm-Förderung überhaupt möglich wurde, habe Millers Haus völlig eigenmächtig Kriterien für den Übergang von Weideflächen in Wald entwickelt.

"Nach Auffassung des ORH kann die Verwaltung keine eigene Abgrenzung von Wald und landwirtschaftlicher Fläche für bestimmte Förderprogramme vornehmen", schreibt der Prüfer. "Was zum Wald gehört, ist im Waldgesetz definiert." Waldexperten zufolge zeigen die Kriterien des Ministeriums überdies, dass sie "ein Laie festgelegt hat, der von Wald und vor allem von Bergwald nichts versteht".

Gleichwohl will Agrarminister Miller an der Förderung festhalten. Das hat er erst unlängst den Almbauern schriftlich versichert. Nur eine kleine Korrektur hat der Minister bisher veranlasst: Schutzwald-Sanierungsflächen, auf denen der Wald so kaputt ist, dass er mit einem gewaltigen Einsatz von Waldarbeitern und Geld über Jahrzehnte hinweg wieder hochgezogen werden muss, solche Flächen will Miller künftig nicht mehr als Almweiden einstufen. Die Korrektur betrifft freilich nur ungefähr 500 Hektar Bergwald. "Aber dennoch ist zweifelhaft, ob sich Miller durchsetzt", sagt ein Insider. "Denn die Almbauern, die kämpfen um jeden Cent, und zwar erbittert."

© SZ vom 24.09.2008/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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