Flocke erstmals live:"Die Franken sind bodenständiger"

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Bei Flockes erstem Auftritt vor Besuchern hält sich der Andrang in Grenzen. Die Nürnberger Zoodirektion will aus dem Eisbärenbaby eine Klimabotschafterin machen. Doch irgendwie klappt das noch nicht so recht.

Martin Kotynek

Allmählich beginnt es, hinter den Hügeln des Tiergartens zu dröhnen, in der Ferne erhebt sich ein surrendes Geräusch, das immer lauter wird. Bald kommen die Ersten über die Kuppe vor Flockes Behausung. Es sind die Fernsehleute, hinter sich ziehen sie kleine Wägelchen her, in denen Stative und Kameras verstaut sind. Immer mehr werden es. Geschäftig laden sie ihre Ausrüstung aus, rufen aufgeregt in ihre Handys und bauen sich auf der Tribüne vor Flockes Gehege auf.

Die wenigen Zuschauer, die gekommen waren, fanden Flockes ersten Bauchplatscher ziemlich süß. (Foto: Foto: ddp)

Bald fällt ihnen auf, dass auf der Tribüne außer Journalisten kaum andere Besucher stehen. Die Zuschauer verteilen sich in kleinen Grüppchen versprengt zwischen den Fernsehleuten. Rund 500 Menschen fänden auf der Tribüne vor Flockes Gehege Platz, 430 Journalisten waren am Vortag gekommen, am Mittwoch sind höchstens 100 Menschen da, "die meisten davon Journalisten", sagt Tiergartendirektor Dag Encke.

Anfangs wollte Encke keine Knut-Manie, doch dann hat der Zoodirektor nachgegeben. "Die Leute wollen einfach 'süß' schreien und dann glücklich nach Hause gehen", sagt Encke. In Berlin gab es durch das dortige Eisbärenbaby im vergangenen Jahr einen Rekord von drei Millionen Besuchern. Die Mehreinnahmen durch Knut lagen im sechsstelligen Bereich. So rechnet nun auch der Nürnberger Zoo mit 25.000 Besuchern an guten Tagen, insgesamt will man in diesem Jahr dank Flocke 200.000 Menschen mehr als sonst begrüßen, das wäre eine Steigerung von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

"Süß" schreien die wenigen Zuschauer zwar nicht, als das Eisbärenbaby kurz nach neun Uhr in sein Gehege tapst, es ist eine Mischung aus entzückten "Ooochs" und "Uiiis". Flocke hoppelt hinter ihrer Pflegerin her, überall schnüffelt die junge Eisbärin, inspiziert ihr Gehege. Jede Bewegung wird von den Kameras der Zuschauer festgehalten.

Die Besucher kommentieren, was Flocke macht: "Hat sie da vielleicht etwas gefunden?", "Ob sie mit dem Rindenstück spielen möchte?", "Ja, was sucht sie denn da?". Immer wieder hört man ein verzücktes "Oooch", dann reibt sich Flocke etwa am Boden und streckt ihre vier Beine in die Luft.

Lesen Sie auf Seite 2, was sich der Nürnberger Tiergarten einfallen ließ, um mehr Menschen zu Flocke zu locken

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Begeistert sind die Zuschauer, als Flocke plötzlich eine Tatze ins Wasserbecken hält, die Temperatur zu prüfen scheint, dann alle Viere in die Höhe reißt, ins Wasser springt - und einen veritablen Bauchplatscher landet. Die "kleine Wasserratte", wie eine begeisterte Frau anmerkt, schwimmt eine Runde, schüttelt dann wie ein Hund das Wasser ab und tapst dem Pfleger hinterher die Stufen hinauf zu einer Grasfläche.

Dort wartet schon ein dreiköpfiges Fernsehteam, das jedem Schritt Flockes folgt. Irgendwann wird es der kleinen Bärin zu viel, sie jagt einen der Journalisten davon. Er muss sich hinter einem Baum in Sicherheit bringen.

Daraufhin schwärmen die Journalisten vor dem Gehege aus. Sie stürzen sich auf die wenigen umherstehenden Zuschauer, die ihrerseits bereits begonnen haben, sich gegenseitig zu fotografieren. Die Besucher müssen in die Mikrofone sagen, dass sie Flocke süß finden, vor einem Mann im Bärenkostüm posieren, und die wenigen Kinder werden gefragt, ob sie denn schon ein Flocke-Plüschtier haben.

Der Tiergartendirektor hat nämlich nicht nur eine Tribüne aufbauen und den Namen Flocke schützen lassen, sondern auch Lizenzen für Flocke-Produkte ausgegeben, eine eigene Flocke-Webseite eingerichtet und ein Flocke-Logo entwerfen lassen. "Unseren Shop finden Sie bei den Pavianen", sagt Zoo-Sprecherin Nicola Mögel. "Aber es sind noch nicht alle Produkte eingetroffen." Die Aktionen rund um Flocke würden jedoch dem Klimaschutz zugutekommen, sagt Encke: "Flocke soll ein Botschafter für das Klima werden."

Bisher sei das aber noch nicht gelungen, gibt er zu. Etwa zehn Prozent des Einkaufspreises der Lizenzprodukte gehen an den Nürnberger Zoo. Davon bezahlt der Tiergarten Teile des Kombitickets, das als Eintrittskarte und als Fahrkarte im Nürnberger Verkehrsverbund gilt. Weil der Zoo dafür nicht den Eintrittspreis erhöht hat, gibt der Tiergarten 360.000 Euro für diese Aktion aus. "Damit helfen wir mit, viel vom Treibhausgas Kohlendioxid einzusparen, wenn die Besucher nicht mit dem Auto kommen", sagt Encke.

Auch wenn am Morgen nur wenige Zuschauer Flocke sehen wollten, rechnet der Nürnberger Tiergarten mit einem großen Andrang an diesem Wochenende. "Mein persönlicher Tipp ist das zweite Wochenende", sagt Zoo-Direktor Encke.

Sein Vizechef Helmut Mägdefrau glaubt hingegen, dass "es nicht so schlimm wird wie bei Knut". Seine Begründung: "Die Franken sind bodenständiger." Er wundert sich über die Medien, die "Angst haben, etwas zu versäumen", wenn sie nicht bei Flockes ersten Schritten in ihrem neuen Gehege dabei sind.

Zu wundern scheint sich auch Vera. Sie ist die Mutter von Flocke, hat ihr Baby aber etwa vier Wochen nach der Geburt ausgesetzt. Durch eine Glaswand hat sie den direkten Blick auf das Gehege ihrer Tochter und sieht direkt auf die Tribüne mit den aufgeregten Journalisten. Sie erklimmt einen Stein in ihrem Wasserbecken, reckt den Kopf in die Höhe und schnuppert ein wenig. Niemand beachtet sie. Da verschwindet sie in ihrer Wohnhöhle, geht heim. Die Zuschauer auch.

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