Fachärzte:"Der Verlust frisst den geringen Gewinn auf"

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Ärger in den Praxen: Niedergelassene Fachärzte berichten, warum sie mit der neuen Gebührenordnung nicht zurechtkommen.

V. Bernau und S. Steinkohl

6000 Facharztpraxen im Freistaat bleiben heute geschlossen. Die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB) und der Deutsche Facharztverband haben zu einem landesweiten Informations- und Weiterbildungstag aufgerufen.

Im Freistaat bleiben 6000 Facharztpraxen geschlossen. (Foto: Foto: ddp)

Die Fachärzte protestieren damit gegen die neue bundesweit gültige Honorarordnung und fordern eine "leistungsgerechte Vergütung ohne Budgetzwänge".

Die Reform hat seit Jahresbeginn Unmut geweckt und die Existenzangst vieler niedergelassener Mediziner ausgelöst. Viele Patienten fragen sich, was ein Facharzt für die Behandlung bekommt - und was ihm davon bleibt. Drei Ärzte unterschiedlicher Disziplinen berichten.

Richard Hampe, Frauenarzt in München:

"Bei einer 91-jährigen Patientin, die in einem Altenheim im Hasenbergl von mir mitbetreut wird, wechsle ich alle fünf Wochen einen Ring, um einen Gebärmuttervorfall zu verhindern. Meistens fahre ich in meiner Mittagspause zu der alten Dame. Dafür sollte ich laut unserer Gebührenordnung einmalig eine Grundpauschale von 16,63 Euro, sowie für jeden Hausbesuch 15,40 Euro und jeden Ringwechsel 6,48 Euro bekommen. Zusätzlich gibt es ein Wegegeld von jeweils 8,82 Euro.

Um eine aufsteigende Infektion zu vermeiden, sind die Besuche zwei- bis dreimal im Vierteljahr nötig. Das heißt also, dass ich für drei Besuche bei der Patientin im Quartal insgesamt 108,73 Euro erhalten müsste.

Durch die Honorarreform bekomme ich aber nun pro Quartal nur noch einmalig 16 Euro als 'Kopfpauschale' und dazu das Wegegeld von 26,46 Euro (dreimal 8,82 Euro). Das macht im Vierteljahr insgesamt nur noch 42,46 Euro, abzüglich einer Abgabe an die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Übrig bleiben 41,40 Euro.

Mein Zeitaufwand liegt mit der Fahrt, der Lagerung der Patientin, die Rollstuhlfahrerin ist, dem Wechseln des Ringes und dem Eintrag ins Stationsbuch bei mindestens einer halben Stunde.

Fazit: Der einzelne Heimbesuch ist 13,80 Euro wert, wovon die ärztliche Leistung mit nur 4,98 Euro zu Buche schlägt, der Rest in Höhe von 8,82 Euro ist Wegegeld."

Gunther Carl, Neurologe in Kitzingen:

"Drei große Geräte stehen in meiner Praxis, um beispielsweise die Nervenströme und die Hirndurchblutung meiner Patienten zu messen. Etwa 20 000 Euro kostet allein ein solches Gerät. Und eigentlich müsste ich fast so viel Geld jedes Jahr zurücklegen, um die Technik in Schuss zu halten. Alle fünf Jahre muss ich eines der Geräte erneuern. Doch das Geld für Rücklagen ist nicht mehr da. Nicht in meiner Praxis und nicht in denen meiner Kollegen.

Die KV zahlt einem Neurologen etwa 40.000 Euro im Quartal. Ich selbst kann meinen Umsatz mit der Behandlung von Privatpatienten um etwa zehn Prozent steigern. In Großstädten, in denen viele Geschäftsleute und Beamte wohnen, haben Neurologen mehr Privatpatienten. Aber höher als 15 Prozent ist der Anteil auch dort selten.

Da Nervenerkrankungen wie beispielsweise Depressionen der häufigste Grund für Frühverrentung in Deutschland sind, erstellen viele Neurologen zudem Gutachten für Rentenversicherer oder Sozialgerichte. Etwa 2000 Euro im Quartal kann man dadurch noch einnehmen.

Die Hälfte der Einnahmen geht allein für die Betriebskosten weg, vor allem fürs Personal. Der Monatslohn, den ein Arzt einer medizinischen Fachangestellten laut Tarif zahlen muss, liegt bei 2590 Euro im Monat. Hinzu kommen die Kosten für Fortbildungen, die die Ärzte bei der KV seit diesem Jahr auch nachweisen müssen. Andernfalls droht ein Honorarabzug. Ein dreitägiger Fachkongress kostet bis zu 400 Euro - ohne die Unterkunft.

Auch unsere Versicherungen müssen wir vollständig selbst tragen. Etwa 2000 Euro sind das im Monat. Neben der Kranken- und Rentenversicherung haben viele Ärzte noch eine sogenannte Tagegeldversicherung. Sie soll im eigenen Krankheitsfall helfen, die laufenden Kosten für die Praxis aufzufangen. Am Monatsende bleibt einem Nervenarzt somit ein durchschnittlicher Gewinn von 3500 Euro. Der muss allerdings noch versteuert werden - mit bis zu 40 Prozent."

Hartmut Gaulrapp, Orthopäde in München:

"Ein 44-jähriger Mann kommt mit Schmerzen am Kniegelenk zu mir in die Praxis. Ich befrage ihn ausführlich, um herauszufinden, ob die Beschwerden bei Belastung oder schon in Ruhe auftreten, ob das Knie anschwillt oder sich sogar instabil anfühlt - für 18,03 Euro. Damit sind aber auch anteilig die Aufnahme des Patienten durch mein Personal, Verwaltungstätigkeiten wie das Ausstellen von Rezepten oder einer Krankmeldung, die Mietkosten der Praxis und die Reinigung enthalten.

Das Röntgenbild, das ich in meiner neuen digitalen Anlage erstelle, bringt 10,50 Euro. Die Anschaffungskosten für das Gerät betrugen 150.000 Euro, ohne Unterhalt und Personalkostenanteil. Die Finanzierung läuft über sechs Jahre. Pro Tag müsste ich 20 Patienten röntgen, um zunächst nur die Kosten wieder hereinzuholen.

Ob der Patient einen Reizerguss im Gelenk hat, kläre ich mittels Ultraschall ab.

Das Gerät hat 35.000 Euro gekostet, eine Untersuchung bringt 7,88 Euro ein. Den nun entdeckten Erguss punktiere ich unter den erforderlichen aufwendigen Hygienevorschriften und mit Assistenz meiner Helferin für 11,55 Euro. Für die Haftpflichtversicherung, die ich dafür abschließen muss, zahle ich im Jahr 2600 Euro.

Der anschließende Zinkleimverband wird mit 10,50 Euro inklusive Material honoriert. Diesen Verband lege ich selbst an, weil ich angesichts der gesunkenen Kassenhonorare bereits einen Helfer entlassen musste.

Insgesamt habe ich für den Patienten eine halbe Stunde Zeit investiert und Leistungen für 58,46 Euro erbracht. Leider bekommen wir Orthopäden aber jetzt nur noch 33 Euro, bis letztes Jahr waren es wenigstens 45 Euro, mehr als 30 Prozent. Dieser Verlust frisst den ohnehin geringen kaufmännischen Gewinn bei der Versorgung von Kassenpatienten vollständig auf. Kommt der Patient übrigens im selben Quartal nochmal, steigert sich mein Defizit noch, weil ich für die weiteren Leistungen gar nichts mehr bekomme.

Und sollte der Mann eine Gelenkspiegelung benötigen, muss ich seit Jahresbeginn auf meinen Lohn als Operateur verzichten, weil die Krankenkassen das OP-Honorar um genau jene 20 Prozent gesenkt haben, die bisher meinen Honoraranteil ausmachten."

© SZ vom 17.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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