Exil-Tibeter auf Friedensmarsch durch Bayern:"Beten ist ein Verbrechen"

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Mehrere Tibeter sind zu einem Friedensmarsch durch Bayern aufgebrochen. Ihr Begleiter Joe Hamilton spricht über die Lage tibetischer Asylbewerber, Foltermethoden in chinesischen Gefängnissen und die Ohnmacht der Tibeter in Deutschland. Interview: Rudolf Neumaier

Am Ostersonntag sind in Regensburg 15 Tibeter, sechs Frauen und neun Männer, zu einem Friedensmarsch aufgebrochen. Die erste Etappe führte sie nach Kelheim. Über Landshut, Moosburg und Freising wollen sie nach München gelangen, wo sie sich am Samstag zu einer Kundgebung mit anderen deutschen Exil-Tibetern treffen.

Gehen und meditieren: Auf ihrem Friedensmarsch passierten die Exil-Tibeter am Montag Peterfecking bei Kelheim. (Foto: Foto: Altrofoto.de)

Mit ihnen geht Joe Hamilton, 50, ein Exil-Schotte aus Freising. Im bürgerlichen Leben arbeitet er als Broadcast-Logistiker bei Pro7. Die Tibeter unterstützt er bei ihrem Friedensmarsch unter anderem als Dolmetscher. Er kennt ihre Situation.

Süddeutsche Zeitung: Wie viele Tibeter leben in Bayern?

Hamilton: Schwer zu sagen. 60 vielleicht. Die meisten sind in Asylunterkünften untergebracht. Wobei sie offiziell nicht als Tibeter geführt werden, sondern als Chinesen. Da fängt das Problem an. Die bayerischen Behörden erkennen Tibeter nicht als Tibeter an. Die Richter fragen sie zum Beispiel, warum sie nicht nach China zurückgehen wollen, wo doch das Land so boome.

SZ: Wenn dem so ist, spricht das nicht für die Sensibilität der Asyl-Behörden.

Hamilton: Im Gegenteil. Wenn Tibeter hier in Bayern ankommen, werden sie erst mal wochenlang in eine Unterkunft in München gepfercht, die an eine Legebatterie erinnert. Dann werden sie getrennt und in Heime in ganz Bayern verschoben. Viele von ihnen müssen einen Raum mit Chinesen teilen.

SZ: Das muss nicht schlecht sein. Bei chinesischen Asylbewerbern handelt es sich ja auch um Dissidenten, sonst wären sie nicht hier.

Hamilton: Es heißt, die chinesische Regierung schleuse eigene Leute hier ein, um Dissidenten auszuspionieren. Wundern würde mich das nicht, wenn man bedenkt, wie skrupellos die Chinesen in allen anderen Belangen vorgehen. Die Tibeter haben jedenfalls Angst, die chinesische Regierung könnte erfahren, dass sie hier sind. Denn sonst geht es ihren Familien in Tibet dreckig.

SZ: Was soll der Marsch von Regensburg nach München bezwecken?

Hamilton: Gehen ist für die Tibeter eine Ausdrucksform und Meditation zugleich. Sie fühlen sich ohnmächtig gegenüber dem, was in ihrer Heimat passiert - also gehen sie. Die politische Botschaft, die sie dadurch vermitteln wollen, ist nur ein Aspekt. Sie gehen und beten und singen. Wenn sie in ihrer Heimat beim Beten erwischt werden, bedeutet das 15 bis 25 Jahre Gefängnis. Beten ist ein Verbrechen. Ein ehemaliger buddhistischer Mönch, der unserer Gruppe angehört, hat von Folter berichtet.

SZ: Welche Folter?

Joe Hamilton unterstützt die Exil-Tibeter. (Foto: Foto: Altrofoto.de)

Hamilton: Daumenschrauben zum Beispiel. Sehr beliebt sollen auch elektrische Viehtreiber sein, mit denen den Leuten Stromschläge verpasst werden. Der Mann ist über den Himalaya nach Nepal geflohen. Er war 26 Tage ohne Proviant unterwegs. Da geht es uns hier besser. Wir haben Momos dabei, das sind traditionelle tibetische Teigtaschen. Und wenn die ausgehen, essen wir Wurstsemmeln. Außerdem sind die Leute freundlich zu uns. Wir wurden schon mit Tee und Keksen versorgt. Die Leute in Bayern kennen inzwischen die tibetische Fahne aus den Nachrichten. Sie sind mit den Tibetern solidarisch. Es ist phantastisch, dass ihr Problem der Unterdrückung zum ersten Mal seit Jahrzehnten thematisiert wird.

SZ: Die meisten bayerischen Politiker äußern sich neutral. Ministerpräsident Günther Beckstein lässt es offen, ob er den Dalai Lama treffen will, wenn der im Mai nach Bayern kommt.

Hamilton: Es wäre endlich an der Zeit, dass der Westen reagiert. Er hat China schon viel zu lange gewähren lassen. Wir, besser gesagt unsere Politiker, müssen aufzeigen, dass unser Standpunkt mit dem des chinesischen Regimes nicht konform ist. Wie die chinesische Regierung mit den Tibetern umgeht, das ist nur die Spitze des Eisberges. Sie schreckt vor nichts zurück.

SZ: Was sagen Ihre tibetischen Freunde - soll Olympia boykottiert werden?

Hamilton: Die Meinung ist gespalten. Die einen sagen, wenn die Spiele boykottiert werden, ist das Land komplett abgeriegelt. Das hielten sie für fatal. Die anderen sagen, es muss ein Zeichen gesetzt werden. Es wäre ja ein friedliches.

SZ: Warum gehen Sie mit den Tibetern, anstatt Ostereier zu suchen?

Hamilton: Von diesen Leuten kann man sehr viel lernen. Sie haben viel durchgemacht und machen immer noch viel durch. Aber sie würden niemals jammern. Diese Leute haben eine faszinierende Kultur des Friedens. Von denen werden Sie kein böses Wort hören. Ich versuche ihnen auf ihrem Weg immer ein Dach über dem Kopf zu organisieren. Aber sie würden auch im Freien schlafen.

© SZ vom 25.03.2008/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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