Ende der Ära Stoiber:Überfall bei Nacht

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Ehrgeizig und hastig, aber nicht unbedingt mutig: Stoibers Schulpolitik. Die blitzartige G8-Aktion trieb Schüler, Eltern und Lehrer auf die Straße.

Von Christine Burtscheidt

Vom Klassenprimus war Edmund Stoiber zu Schulzeiten weit entfernt. Mittelmäßig soll er gewesen sein, und in der Siebten blieb er sogar sitzen - wegen Latein.

Den Streber kehrte er erst später als Regierungschef heraus. Der Ehrgeiz wuchs dabei proportional zur Macht, was nicht folgenlos für Bayerns Schulpolitik bleiben sollte. Die Gymnasien bekamen das besonders zu spüren. Geliebäugelt hatte hier der Ministerpräsident schon länger mit einer verkürzten Schulzeit.

Die Wirtschaft wollte den achtjährigen Zug, in Europa ging der Trend dahin. Doch Stoiber traute sich nicht, gegen den mächtigen Philologenverband die Reform durchzusetzen.

Während das Saarland mutig Flagge zeigte und mit zweijähriger Vorlaufzeit 2001 als erstes westliches Bundesland von neun auf acht Jahre umstellte, ließ Stoiber ungeachtet dessen im Freistaat Kommissionen einberufen, die auf eine Modernisierung des alten Gymnasiums abzielten.

Noch vor der Landtagswahl im Herbst 2003 versicherte er Lehrern: Das G 8 kommt nicht. Doch dann errang er eine Zweidrittelmehrheit und kündigte über Nacht seine flächendeckende Einführung an. Ohne Plan und Probelauf. Warum auch?

Großspurig ließ der Regierungschef wissen, dass auf 60 Prozent des Stoffs eh zu verzichten sei. Die frisch gedruckten G 9-Lehrpläne wurden eingestampft, neue Stundentafeln schnell ersonnen und Nachmittagsunterricht verordnet, obgleich für Küchen und Kantinen an den Schulen gar kein Platz war.

Mit einem Trick an die Spitze katapultiert

Die überfallartige Aktion trieb Eltern, Schüler und Lehrer auf die Straße; sie hielten Stoiber Wortbruch vor. Doch der blieb hart: "Wir wollen keinen Nachteile für unsere Schüler", sagte er. Vor allem wollte er selbst im Bund nicht den Verlierer spielen.

Acht Länder hatten in der Zwischenzeit das achtjährige Gymnasium eingeführt oder beschlossen. Da sah sich der CSU-Mann im Zugzwang. Mit dem Beschluss gelang ihm nicht nur die Aufholjagd. Dank eines Kniffs katapultierte er Bayern an die Spitze der Bewegung. Im Herbst 2003/04 wurde das G 8 für die fünften Klassen und rückwirkend für die sechsten eingeführt.

Bis heute hält diese Großbaustelle Eltern, Lehrer und Schüler in Atem. Ob das hohe Niveau des bayerischen Abiturs sicher ist, wird sich erst zeigen. Noch führt das Land beim nationalen Pisa-Test.

Einen erheblichen Anteil daran haben jedoch die Realschüler. Ihre Leistungen sind Zeugnis einer gelungeneren Reform: der sechsstufigen Realschule (R 6). Deren Manko war nur, dass Geld fehlte. Mammutklassen sind an der R6 Standard.

Zu leiden hat die Hauptschule

Ehrgeizig mag Stoibers Bildungspolitik gewesen sein, mutig war sie nicht. Wie beim G 8 sprang er auch bei der R 6 auf einen rollenden Zug auf. Eigene Visionen fehlten ihm.

Zu leiden hat darunter bis heute die Hauptschule. Zwar besuchen sie in Bayern noch 30 Prozent eines Jahrgangs, doch ist sie auch hier Auffangbecken für Kinder aus sozial schwachen Schichten.

Eine Antwort, wie der Ungerechtigkeit zu begegnen sei, blieb Stoiber schuldig. Fusionen von Haupt- und Realschule , wie sie andere Länder erproben, waren unter seiner Ägide tabu.

© SZ vom 21.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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