Ein Tag im Leben von Germar Forst:"Im ersten Moment hat es bei mir nicht geklingelt"

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Wie Schleierfahnder Germar Forst in einem Zug nach Dresden den Millionendieb Sven Kittelmann schnappte.

Manfred Hummel

Vor vier Wochen ist Schleierfahndern der Polizei im oberfränkischen Hof der Millionendieb Sven Kittelmann ins Netz gegangen. Der 32-Jährige hatte Anfang 2007 auf einem Parkplatz der A 8 bei Sulzemoos im Landkreis Dachau seinen Kollegen aus dem Werttransporter einer Sicherheitsfirma ausgesetzt und war seitdem mit 3,6 Millionen Euro auf der Flucht. Germar Forst schildert, wie die Festnahme ablief.

Dem Schleierfahnder Germar Frost ging vor vier Wochen ein Millionendieb ins Netz. (Foto: Foto: Reinhard Feldrapp)

Es ist einer der üblichen Schleierfahndungstage mit meinem Kollegen Jörg Zeitler. In Zivil sind wir von Hof nach Nürnberg gefahren und steigen in den Regionalexpress von Nürnberg nach Dresden. Vom Vorabteil gucken wir uns aus, wer im Großraumwagen als fahndungsträchtige Person in Frage kommt.

Der Zug ist gut besetzt, etwa hundert Leute sitzen im Waggon. Wir warten die Abfahrt ab und gehen dann los. Im Laufe der Dienstjahre entwickelt man Spürsinn für das Klientel. Rentner, Hausfrauen, Schüler, die aus der Schule kommen, der Geschäftsmann mit dem PC, die interessieren uns weniger.

In der Mitte des Abteils sitzen zwei Fahrgäste, die kontrollwürdig aussehen. Das hat aber keinen näheren Hintergrund. Einer der beiden ist Kittelmann. Er sitzt auf der linken Seite. Da ahnen wir aber noch nichts von unserem Glück. Wir stellen uns vor: "Polizeikontrolle im Rahmen der Schleierfahndung" und verlangen den Ausweis. Den händigt er uns wortlos aus. Der original Bundespersonalausweis. Sven Kittelmann.

Ich muss zugeben, im ersten Moment klingelt es bei mir nicht. Per Handy mache ich eine Fahndungsabfrage, während Kollege Zeitler bei Kittelmann bleibt. Wir erfahren von der Ausschreibung zur Festnahme. 3,6 Millionen Euro sind unterschlagen worden. Der Kollege und ich schauen uns an. Uns wird klar, wer es ist. Da geht einem das Herz auf.

Wir lassen uns nichts anmerken und fordern Herrn Kittelmann auf, er möge uns doch bitte einmal aus dem Abteil begleiten, nachdem so viele Leute um uns herum sind. Das soll auch nicht jeder mitbekommen. Wir verlassen den Großraumwagen, zuerst der Kollege, dann Herr Kittelmann und dahinter ich. Im Ausgangsbereich sind wir für uns.

Wir konfrontieren ihn mit der Lage. Flüchten kann er nicht. Da hat er schlechte Karten. Der Kollege war Einzelkämpfer, Fallschirmspringer und Angehöriger der KSK. Er hat den Schwarzgurt in Jiu-Jitsu. Ich habe früher auch Jiu-Jitsu gemacht. Sportlich sind wir beide fit und auf solche Situationen vorbereitet.

Lesen Sie, welchen Wunsch der Millionendieb vor seiner Festnahme noch geäußert hat.

Wir stellen ihm die lapidare Frage, ob er schon mal was mit der Polizei zu tun hatte. Er verneint, was ja eigentlich auch der Wahrheit entspricht. Wir eröffnen ihm die Festnahme, und dass wir ihn und seine Sachen durchsuchen werden. Kollege Zeitler nimmt sich seinen Rucksack vor.

Ich durchsuche Herrn Kittelmann. Auf einmal gibt mir der Kollege Zeichen und zeigt mir zwei braune Päckchen. Das gibts doch nicht, denke ich im ersten Moment, hat der jetzt auch noch Rauschgift dabei?

Das ist verpackt wie Haschischplatten, mit braunem Paketklebeband. Es sind aber offenbar Geldbündel. Ein drittes finde ich bei der Durchsuchung seiner Jacke in der Brusttasche. Wir machen die Päckchen nicht auf. Die untersucht später die Kriminalpolizei. Wie viel Geld es ist und welche Währungen, darüber lässt sich spekulieren. Später heißt es, dass es etwa 20.000 bis 30.000 Euro waren.

Kittelmann ist während der ganzen Prozedur relativ wortkarg und ruhig. Das wundert mich eigentlich nicht. Man sagt, dass er ein sehr in sich gekehrter Mensch ist. Ich selbst bin nicht aufgeregt. Im Prinzip ist es ein Aufgriff wie jeder andere, nur dass es jetzt eine "hochkarätige" und lange gesuchte Person mit hohem Medieninteresse ist.

Die Abfertigung verläuft wie immer. Kittelmann ist friedlich. Wie er gesehen hat, dass wir das Geld gefunden haben, eröffnet er uns, dass er zur Polizei nichts mehr sagen wird. Damit ist das Gespräch beendet. Nach der Durchsuchung fesseln wir ihn. Nicht mit Handschellen aus Stahl, sondern mit Klettfesseln. Das ist relativ unauffällig. Die Leute bekommen nicht viel mit.

In Fürstenfeldbruck ist die Freude groß

Das einzige, was er dann noch äußert, ist, dass er seine Zeitung lesen möchte. Er setzt sich auf einen Klappsitz und liest seelenruhig, ohne Emotion. Wir informieren die Dienststelle. Sie schickt Unterstützungskräfte zum Bahnhof in Hof. Es kommen vier Kollegen in Zivil und transportieren Herrn Kittelmann ab.

In Fürstenfeldbruck ist natürlich die Freude ganz groß, dass dieses unrühmliche Kapitel fast geklärt ist. Das Geld ist ja, soweit ich weiß, noch nicht aufgetaucht. Als wir in die Dienststelle kommen, ist großes Halligalli, Schulterklopfen, Händeschütteln. Für die Dienststelle ist es natürlich Werbung in eigener Sache, denn unsere Schleierfahndung der Verkehrspolizeiinspektion Hof gibt es erst seit dem 1. Januar.

Momentan ist man erst einmal mit dem Abarbeiten beschäftigt. Da denkt man weniger nach, was eigentlich passiert ist. Der Erfolg wird einem erst im Nachgang richtig klar. Das ist auch eine Bestätigung der eigenen Arbeit, wenn man fast 30 Jahre im Dienst ist. So einen spektakulären Fall hat man nicht allzu oft. Das gibt Motivation.

An Frau und Kindern geht der ganze Medienrummel auch nicht spurlos vorbei. Die Tochter wird 17, der Sohn ist 14. Überall kommt es in den Nachrichten. In der Schule ist es großes Gesprächsthema. Mein Bild ist auf den Titelseiten. Jeder spricht einen drauf an. Mutter und Großmutter haben sich die Zeitungsartikel ausgeschnitten. Angst? Gefährlich wird es nur auf der Autobahn, wenn wir zum Beispiel eine Unfallstelle absichern müssen. Da habe ich mehr Angst wie vor unseren Kontrollen.

© SZ vom 23.05.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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