Debatte um Uniformen:Schüler und das Diktat der Mode

Lesezeit: 2 min

Viele Schulen erhoffen sich von einheitlicher Kleidung mehr Wir-Gefühl und ein besseres soziales Klima. Der Trend zur Schuluniform hat aber auch eine wirtschaftliche Ursache.

Janek Schmidt

Wenn Natalie Menth morgens in den Spiegel schaut, sieht sie meistens rot.

Uniformen an einer Oberschule: "Schulen bemühen sich heute viel mehr um Corporate Identity." (Foto: Foto: AP)

"Das ist meine Lieblingsfarbe", erklärt die Fünftklässlerin der Columba-Neef-Realschule, "und deshalb habe ich mir meine Schuljacke auch in Rot bestellt."

Sie hätte die Jacke ebenso in Blau, Orange oder in einer anderen Farbe bestellen können - doch darüber hinaus hatte sie keine Wahl: Ein Oberteil mit dem Logo ihrer Mädchenschule musste sie in jedem Fall kaufen, denn seit dem vergangenen Jahr ist einheitliche Kleidung in der Columba-Neef-Realschule für Fünftklässlerinnen Pflicht.

Mit dieser Regelung liegt die Klosterschule im niederbayerischen Neustift in einem bayernweiten Trend, denn immer mehr Lehranstalten entwerfen ihre eigenen Kleidungsstücke.

Die reichen von T-Shirts, die Kinder freiwillig zu Schulveranstaltungen tragen, bis hin zu einem verbindlichen Einheitslook mit Hose, Rock und Pullover.

"Schulen bemühen sich heute viel mehr um Corporate Identity"

Klaus Wenzel, neuer Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, sieht zwei Ursachen für diese Entwicklung: eine bildungspolitische und eine wirtschaftliche. "Schulen bemühen sich heute viel mehr um Corporate Identity", sagt Wenzel und führt den Ursprung dieser Entwicklung zurück auf Monika Hohlmeier. "Erst, als sie 1993 Staatssekretärin und dann Kultusministerin wurde, bekamen Bayerns Schulen die Freiheit, sich zu profilieren."

Die Hauptschule im mittelfränkischen Schnaittach, an der Wenzel unterrichtet, nutzte diese Freiheit, indem sie ihr Logo an eine Außenwand malte und vor zwei Jahren begann, Schul-T-Shirts zu verkaufen. Im Unterricht sehe man das dunkelrote Hemd eher selten, bekennt Wenzel, aber bei größeren Schulfesten trage es etwa jeder zweite Besucher. "Das schafft schon ein gewisses Wir-Gefühl."

Während Schulen wie die in Schnaittach auf Freiwilligkeit bauen und historische sowie rechtliche Bedenken gegen klassische Schuluniformen vorbringen, gehen andere einen Schritt weiter und führen Pflichtkleidung ein. Neben pädagogischen Erwägungen ist nach Wenzels Einschätzung auch ein wirtschaftlicher Aspekt dafür entscheidend: Es gibt Kinder von armen und begüterten Familien, weshalb viele Schulen versuchen, zumindest auf dem Schulhof Ungleichheit und Modedruck abzuschwächen.

Bei Pädagogen ist dieses Vorgehen umstritten. Jugendliche sollten lernen, mit Unterschieden umzugehen und diese als Vielfalt zu schätzen, gibt Wenzel zu bedenken. "Und wenn alle dasselbe T-Shirt tragen, dann schauen Sie mal weiter runter. Da tragen die Kinder dann teure Schuhe." Diese Ansicht teilt Silke Goller nicht. Sie leitet das Projekt Schulkleidung an der Realschule Haag, die im Jahr 2005 als erste staatliche Schule Bayerns einheitliche T-Shirts und Pullover für Neuankömmlinge vorschrieb.

Verlagert sich das Modediktat auf teure Accessoires?

Die größten Befürworter seien die Eltern, sagt Goller, aber auch in ihrer sechsten Klasse komme die Schulkleidung gut an: "Die Atmosphäre ist sozialer, die Gemeinschaft besser, und neue Schüler integrieren sich schneller als früher." Die Erfahrung scheint sich herumzusprechen. Immer mehr Eltern versuchten ihre Kinder in Haag anzumelden, berichtet Goller, und sie wisse von mehr als zehn Schulen, die nun ebenfalls verbindliche Schulkleidung einführen wollten.

Veränderungen im Schulklima, die Lehrerinnen wie Goller erkennen wollen, versucht Oliver Dickhäuser wissenschaftlich zu überprüfen. In einer Vergleichsstudie von zwei Hamburger Schulen hat der Psychologieprofessor der Universität Erlangen festgestellt: In Klassen mit einheitlicher Kleidung haben nicht nur Klamotten einen niedrigeren Stellenwert, sondern auch das Sozialklima, die Aufmerksamkeit sowie das Sicherheitsgefühl der Schüler sind dort besser.

Derzeit untersucht Dickhäuser Schulklassen in Haag, wo er zwei weiteren Fragen nachgeht: Überträgt sich einheitliche Kleidung auf konformistisches Denken, und verlagert sich das Modediktat von Klamotten auf Accessoires wie Uhren? Ergebnisse liegen noch nicht vor, doch Lehrer in Haag berichten, keinen Trend zu teureren Uhren oder Schuhen in ihren Klasse zu erkennen.

Während Pädagogen also weiter diskutieren, und Kultusminister Siegfried Schneider Schulkleidung zwar befürwortet, aber nicht gesetzlich regeln möchte, haben die Mädchen der Neustifter Klosterschule ein klares Votum abgegeben: Sie wünschen sich die Erweiterung der Modekollektion ihrer Schule um ein einheitliches Kleid.

© SZ vom 11.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: