Burnout-Syndrom:Das Trauma der Helfer

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Nach einer neuen Studie leiden 20 Prozent der Rettungsdienstkräfte unter einem Burnout-Syndrom. Siegfried Dengler ist einer davon. Sein Job hätte beinahe sein Leben ruiniert.

Dietrich Mittler

Nacht für Nacht wacht Siegfried Dengler schweißgebadet auf. Und immer wieder quälen ihn dieselben Bilder: Ein brennendes Auto auf der Autobahn.

Viele Rettungskräfte leiden unter dem, was sie im Einsatz erleben. (Foto: Foto: dpa (Archivbild))

Davor ein Mann, der verzweifelt gegen das glühende Blech schlägt, mit aller Kraft am Türgriff zerrt und vor Schmerzen brüllt.

Nacht für Nacht erkennt Rettungsassistent Dengler - sein Name wurde von der Redaktion geändert - dann plötzlich, dass Arme und Hände des Mannes bereits verbrannt sind.

Der Mann rennt auf ihn zu, schreit hysterisch: "Meine Frau, meine Tochter!" Und jedes Mal, wenn er zum glühenden Wrack zurücklaufen will, drückt Dengler ihn mit seinem wuchtigen Körper zu Boden, und flüstert beschwörend: "Es ist vorbei. Es ist vorbei."

An dieser Stelle endet Denglers Traum jedes Mal: Der Mann weint, kreischt, brüllt ihn an: "Du bist schuld. Du bist schuld, dass sie tot sind." Dann weiß Dengler wieder: Das war nicht nur ein böser Traum. Das waren reale Bilder eines Rettungseinsatzes, zu dem er und seine Kollegen von ihrer Luftrettungsstation in Nordbayern gerufen worden waren.

Dengler ist kein Einzelfall

"Spätestens da ahnte ich, dass ich ein Burnout-Syndrom und noch dazu eine posttraumatische Belastungsstörung hatte", sagt der 49-jährige Rettungsassistent heute, gut drei Jahre später.

Dengler ist kein Einzelfall. Eine neue Studie zu "Psychischen Fehlbelastungen von Rettungsdienstmitarbeitern" kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: "20,5 Prozent der in der Studie Befragten befanden sich im anfänglichen oder fortgeschrittenen Burnout-Prozess."

Drei bis sieben Prozent leiden an einer so genannten posttraumatischen Belastungsstörung. Wie Siegfried Dengler durchleben auch sie immer wieder ihre traumatischen Ereignisse, ziehen sich aus dem sozialen Umfeld zurück, leiden an Übererregung.

Zerbrochene Ehe

Gute Freunde Denglers sagten es ihm auf den Kopf zu: "Du siehst einfach scheiße aus. Du bist nicht mehr der Alte. Wo ist nur dein Humor geblieben?" Im Grunde hatte es Dengler selbst längst gewusst. Er, der einmal jedem Luftrettungs-Einsatz entgegengefiebert hatte, fing an, seinen Beruf zu hassen.

Und nicht nur den - auch die Patienten widerten ihn an. "Schon wieder ein versuchter Suizid, schon wieder eine Wiederbelebung", hörte er sich fluchen. Fachleute bezeichnen dieses Phänomen als "Depersonalisierung" - der emotional ausgebrannte "hilflose Helfer" nimmt plötzlich "eine harte, objekthafte und ablehnende Haltung gegenüber Patienten" ein.

Siegfried Dengler kannte sich schließlich selbst nicht mehr. Nach Dienstende zog es ihn nicht nach Hause. Oft saß er eine Stunde und mehr an einem Flussufer und starrte in die Wellen. Schließlich erkannte ihn auch seine Frau nicht mehr wieder. Immer öfter forderte er - der einst so gesellige Typ - sie auf, doch alleine auszugehen. Die Ehe ging in die Brüche.

Dengler brauchte nun selbst Hilfe. Doch zu wem sollte er gehen? Der Psychologe, den er zunächst aufsuchte, hörte ihm zwar nicht richtig zu, hätte ihn aber beinahe wegen angeblicher Überreaktionen auf die Eheprobleme in die Psychiatrie eingewiesen. Mit viel Glück fand der 49-Jährige schließlich einen Fachmann, der die richtige Diagnose stellte: "Sie haben ein kolossales Burnout."

Auch da ist Dengler kein Einzelfall, wie die aktuelle Studie zeigt, die die bayerische Gewerbeaufsicht in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erstellt hat.

Für viele Rettungshelfer gilt ein Burnout-Syndrom als Tabuthema. (Foto: Foto: ddp (Archivbild))

An einer auf das Rettungspersonal zugeschnittenen professionellen Hilfe bei psychisch traumatisierenden Einsätzen lassen es Bayerns Rettungsdienste demnach oft mangeln.

"Für ausgewählte gravierende Fälle, die Hilfe und gegebenenfalls Therapie benötigen, fehlt bisher ein konkretes Angebot, professionelle Hilfe eines Psychologen oder Psychotherapeuten in Anspruch nehmen zu dürfen", heißt es in der Erhebung, für die landesweit in 321Rettungswachen insgesamt 3280 Rettungsdienstkräfte befragt wurden.

Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) hat aus dem Kreis erfahrener Rettungsspezialisten sogenannte SbE-Teams aufgestellt. Die Abkürzung steht für "Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen". Die Teams, die ehrenamtlich arbeiten, bieten Rettungskräften nach schlimmen Einsätzen - etwa nach schweren Unfällen, Suizidversuchen und Katastrophen - intensive Gespräche an.

Burnout ist ein Tabuthema

Oft aber hätten Rettungsdienstkräfte Hemmungen, sich ihren Kollegen zu offenbaren, sagt Hans-Christian Kleefeld. Er ist selbst Rettungsassistent und stellvertretender Personalratsvorsitzender im BRK-Kreisverband Nürnberg-Stadt. "Burnout ist für viele unserer Männer ein Tabuthema", sagt er. Gerade junge, hochmotivierte Kräfte hätten Angst, Kollegen gegenüber Schwächen zu zeigen.

"Man will doch nicht als Weichei dastehen", bestätigt Siegfried Dengler diese Aussage. Doch es gibt auch andere Gründe: "Das BRK will uns ältere Rettungsassistenten sowieso mit allen Mitteln loswerden, da sage ich doch nicht, dass ich mit knapp fünfzig nach 26 Jahren Rettungsdienst einen an der Murmel habe", sagt ein Kollege, der namentlich nicht genannt sein will.

Dengler will diese Meinung nicht kommentieren. "Ich habe mit meinem speziellen BRK-Kreisverband einen tollen Arbeitgeber gefunden", sagt er, räumt aber dann ein: "Viele haben Angst, nicht zuletzt um ihren Arbeitsplatz."

Bis zu 16 Stunden am Tag

Gerade die jungen Kräfte bekämen oft nur noch Zeitarbeitsverträge. So ließen sie sich auch dann noch zu Feiertagsdiensten einteilen, wenn sie nach sechs Wochen ununterbrochenen Dienst - und der dauert bei Dengler im Sommer bis zu 16 Stunden am Tag - endlich einmal frei hätten.

Kleefeld überrascht es da gar nicht, dass die aktuelle Studie der Gewerbeaufsicht zu dem Ergebnis kommt: "Es sind vor allem berufsbezogene alltägliche Belastungen, die von Rettungsdienstkräften als beeinträchtigend erlebt und mit Stresserleben und Burnout in Verbindung gebracht werden."

An erster Stelle stehen da - vor allem bei den hauptamtlichen Kräften - die Arbeitsplatzunsicherheit sowie Konflikte und Ärger mit den Vorgesetzten. Auch Schicht- und Wochenendarbeit und ungünstige Arbeitszeiten setzten den Helfern laut Studie zu. "Erschütternde Anblicke, Hilflosigkeit und Tod" sind nach den Aussagen der Hilfskräfte noch am wenigsten für Burnouts verantwortlich.

Sinnieren am Fluss

Laut Dengler machen sich hier die befragten Rettungsdienstkräfte aber selbst etwas vor: "Traumatische Erlebnisse werden von den Kollegen oft verdrängt. Schwäche passt halt nicht ins Berufsbild." Er hat mittlerweile einen sicheren Blick für Burnout-Kandidaten. "Der ist bald fällig", weiß er dann sofort. Sich selbst schließt er dabei nicht aus.

Neuerdings sitzt er wieder auffällig häufig am Fluss und sinniert darüber nach, warum sich innerhalb von drei Wochen sieben Menschen das Leben nehmen wollten. Und dann denkt er an das dreijährige Mädchen, das erst kürzlich vor seinen Augen zur todgeweihten Mutter sagte: "Gell Mama, du kommst schon wieder heim."

© SZ vom 28.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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