Buch "Generation Geil":Erstaunlich viel erlebt

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Willkommen in der "Generation Geil": Die 16-jährige Katharina Weiß hat für ihr Buch mit jungen Menschen über Sex und Drogen gesprochen - aber auch über Glaube und Politik.

Martina Kollroß, SZ-Jugendseite

Seelentrösterin, so nennen sie ihre Freunde, sagt Katharina Weiß. "Gerade für Jungs bin ich der Seelenfriedhof." Katharina versucht, sich in die Menschen ihr gegenüber einzufühlen, sich für die Dinge zu interessieren, die der andere gerne macht. Sie zeigt echtes Interesse, indem sie ihre Gesprächspartner mit großen Augen ansieht und Gegenfragen stellt. Dieses Verhalten hat ihr wohl bei der Recherche zu ihrem ersten Buch geholfen. Es trägt den Titel "Generation Geil - Jugend im Selbstporträt". Erschienen ist die Sammlung von Gesprächen mit zwanzig Jugendlichen im Schwarzkopf- und Schwarzkopf-Verlag.

Geschrieben habe sie eigentlich schon immer, sagt die 16 Jahre alte Katharina Weiß: "Tagebuch, aber wenn man das später liest, schämt man sich ultra." Jetzt hat sie das Buch "Generation Geil" veröffentlicht - erste Interviews darüber sind ihr jetzt schon peinlich. (Foto: lok)

Katharina Weiß ist ein bisschen aufgedreht. Gerade hat sie für das Pressefoto posiert. Jetzt erzählt sie mit rauer und lauter Stimme munter drauflos. Die 16-jährige Jungautorin trägt ein Dirndl mit magenta-roter Schürze und um den Hals eine Kette mit kleinem, aber massivem Trachtenherz. In der Schule hätten sie ausgemacht, dass alle heute ihre Dirndl anziehen, erklärt sie. Die langen blonden Haare umrahmen Katharinas Puppengesicht. Auf den Lippen schimmert Lipgloss, die Wimpern sind stark nach oben gebürstet.

Katharina Weiß reiste für ihr Buch von ihrem Heimatort aus, dem beschaulichen Kurort Bad Wörishofen, nach Hamburg und Berlin. Dort traf sie sich mit Jugendlichen und ließ sie erzählen: über Sex, Drogen und Gewalt, aber auch über Glaube, Liebe und Politik. Sie schrieb alles mit, was die zwanzig Jugendlichen, die zwischen 15 und 17 Jahren alt waren, ihr anvertrauten. "Erst habe ich nach plastischen Dingen gefragt, die man gut beschreiben kann", sagt Katharina, die sich mit den Jugendlichen im Park, abends in der Bar oder an der Bushaltestelle traf. Ihre Mutter war dabei meistens in der Nähe.

Oft saß Katharina stundenlang mit dem fremden Jungen oder dem fremden Mädchen zusammen und redete. "Dabei habe ich auch viel von mir verraten", sagt Katharina Weiß. So erreichte sie auch bei den Jungs eine Vertrauensbasis. "Sie versuchten mir anfangs zu imponieren, aber das legte sich dann nach ein paar Stunden." Die Interviewten heißen im Buch anders als im echten Leben, ein paar Details habe sie auch verfremdet. Katharina spricht sehr vorsichtig über die Protokolle, denn ein paar Personen sind aus ihrem näheren Umkreis.

Den Gesprächen mit Freunden entsprang auch Katharinas Motivation: Sie wollte, dass die Jugendlichen mal selbst zu Wort kommen. Und nicht die Schreckensmeldungen in den Medien als Sinnbild ihrer Generation gelten lassen.

Geschrieben habe sie eigentlich schon immer, "Tagebuch, aber wenn man das später liest, schämt man sich ultra". Irgendwann wurde ihr Schreibstil objektiver. "Schreiben war ein naheliegendes Mittel, um meine Emotionen zu kanalisieren. Ich spiele halt kein Instrument oder so." Seit einigen Jahren schreibt Katharina auch für die Jugendseite der Lokalzeitung. Außerdem ist sie im Kirchenchor und ministriert.

Doch diese Dinge lasteten das aktive Einzelkind scheinbar nicht genug aus: Im vergangenen Winter kam die Langeweile hoch und Katharina sah in der Sendung "MTV Home" eine junge Autorin des Schwarzkopf- und Schwarzkopf-Verlags, die ein Buch in Porträtform präsentierte. Das weckte ihr Interesse. Katharina überlegte sich ein Konzept und den Buchtitel: "Generation Geil". Dann wandte sie sich an den Berliner Verlag, von dem sie im Fernsehen gehört hatte. Der Buchtitel ist eine Anspielung auf das Bestreben, eine ganze Generation mit einem Schlagwort zu kategorisieren. "Es war eigentlich ein Spaßtitel, den wir uns beim "Planspiel Börse" in der Schule gegeben haben. Meine Gruppe nannte sich da Generation Geil GmbH. Geil in der Bedeutung cool". Katharina grinst.

Zunächst sei der Verlag gegen den Titel gewesen. "Wahrscheinlich denken viele, der Verlag verheize mit dem reißerischen Titel ein kleines Mädchen, dabei lief es umgekehrt." Jedenfalls habe sich der Berliner Verlag schnell interessiert gezeigt und die Recherchereisen gezahlt, die Katharina mit ihrer Mutter im Frühjahr gemeinsam unternahm. Die Kontakte suchte sie zum Teil über Facebook, zum Teil vermittelte der Verlag.

Ihre Mutter nennt Katharina manchmal "Mamili", und ihren Vater "Daddy". Sie seien liberal, setzten ihr aber auch Grenzen. Anders als die Eltern von Sonja, die in "Generation Geil" erzählt: "Ihr Pädagogikprinzip besteht aus einem Wort: Reden! Sie setzen mir kaum Grenzen." Dann spricht Sonja freimütig über ihren ersten Vollrausch mit zwölf, ihre Drogen-Erlebnisse mit Gras, Speed und Koks. Zum Schluss sagt sie, dass sie keine Lust auf ihr späteres Leben habe: "Es gibt keinen Beruf, der mir gefällt. (...) Und ich habe so was von gar keinen Bock, alt zu werden. 55 Jahre wären okay."

Nicht alle Beispiele in Katharinas Buch sind so extrem, dennoch haben alle schon erstaunlich viel erlebt und Erfahrungen gesammelt. Das habe Katharina auch selbst erstaunt, "aber jeder Mensch hat eben ein Leben". Die zwanzig Gespräche hat sie jedenfalls alle ins Buch aufgenommen. "Aber zwanzig Leute sind nicht zwanzig Schubladen. Und sie sind auch gar nicht repräsentativ." Katharina hat das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen: "Manche Journalisten tun so, als wäre es eine Schande, ein Buch zu schreiben. Ich habe ein Sachbuch geschrieben - es soll Spaß an der Jugend vermitteln und unterhalten."

Von ihren Freunden bekommt Katharina viel Bestätigung. Aber als sie für Bild.de ein Video-Interview gibt, hagelt es hässliche Kommentare auf Youtube. Doch Katharina steht darüber: "Das waren so PC-Trolle, die sexistisch und nationalistisch geschrieben haben." Inzwischen bereut sie den Auftritt ein bisschen. Zumindest ihre "rhetorische Übertreibung". Sie scherzte am Ende des Gesprächs: "Ich finde es auch nicht schlimm, wenn mit 16 ein Mädchen schon mit zehn Typen schläft, an einem Tag", und richtete diese Aufforderung vor allem an Jungs: "Schamhaare sind so was von out." Ein bisschen errötet sie dann schon, wenn man sie direkt darauf anspricht. Sie gibt zu, dass das schon ein wenig banal gewesen sei.

Zumindest das sprachliche Niveau ist in ihrem Buch höher. Katharina vermischt die Jugendsprache mit ihren eigenen Ausdrucksweise, die stark mit Fremdwörtern bestückt ist.

Katharina Weiß freut sich über die Aufmerksamkeit, die sie bekommt. Sie scheint aber nicht, danach zu gieren. "Ich kann damit leben, wenn das eine einmalige Sache war", sagt Katharina und wirkt dabei jugendlich unbeschwert. Sie weiß ja, was alles passieren kann, wenn ihr nur mal langweilig ist.

Die Autorin Martina Kollroß ist 19 Jahre alt. Weitere Texte aus der Jugendseite der SZ finden Sie unter www.sz-jugendseite.de .

© SZ vom 04.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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