BMW-Standort Dingolfing:Eine Stadt mit Herzbeschwerden

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Im BMW-Werk Dingolfing arbeiten mehr Menschen als die Stadt Einwohner hat - angesichts der Absatzkrise geht jetzt die Angst um.

Ines Alwardt

Im Dunst des Nieselregens scheinen die riesigen, grauen Werkshallen direkt an der Autobahnausfahrt zu verschwinden. Vor Tor drei, an der großen Halle 2.4, sind die Schranken heruntergelassen. Den Blick auf den Asphalt gerichtet, eilen die Werksarbeiter nach Dienstschluss in ihre Pendlerbusse.

"Eigentlich ist die ganze Stadt ein Werk": In der Kleinstadt Dingolfing arbeiten rund 20.000 Menschen in den Werkshallen von BMW. (Foto: Foto: dpa)

Ein paar Straßen weiter sitzt Bianca Palko an der Rezeption ihres Vier-Sterne-Hotels. "Eigentlich ist die ganze Stadt ein Werk", sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Mann Ralf betreibt Palko in Dingolfing ein BMW-Vertragshotel und einen Verkauf von BMW Halb- und Jahreswagen, nicht weit von der größten Produktionshalle entfernt.

Doch in letzter Zeit läuft der Autoverkauf nicht mehr. "Da ist der Wurm drin", sagt Ralf Palko, ein fröhlicher, dunkelhaariger Mann Anfang 40 mit einem grellen, orangefarbenem Hemd. Die teuren Modelle, der X 3 und der 23 Cabriolet gehen gut - nur die einfachen BMWs zwischen 20.000 und 30.000 Euro, die wird er nicht los. "Wenn BMW hustet, haben wir Grippe", sagt Ralf Palko nüchtern und zuckt mit den Schultern. "Der Mittelstand kauft einfach nicht mehr." Irgendwie sei der Familie schon ein wenig mulmig zumute, sagt seine Frau Bianca: "Wir haben auch noch einiges abzuzahlen." Aber ihr Mann beruhigt sie schnell: "Wir haben doch das Hotel", sagt er. "Und das ist auch gut so."

Bedrückende Stille

Vor den Toren der Bayerischen Motorenwerke in der niederbayerischen Kleinstadt Dingolfing stößt man in diesen Tagen auf eine Mauer des Schweigens. Es herrscht eine bedrückende Stille. Keiner will etwas sagen - schon gar nicht auf dem Gelände der Firma. Rund 20.000 Menschen arbeiten in den Werkshallen von BMW, dem größten Produktionsstandort des Automobilkonzerns in Deutschland. Doch vom 19. Dezember an stehen die Bänder hier bis Mitte Januar still: Der Konzern kürzt seine Produktion, die Mitarbeiter werden in den Zwangsurlaub geschickt.

Sie vermeiden das Wort hier. Es ist ein kleines, aber schweres Wort. Und wenn es ausgesprochen wird, dann nur ganz leise, hinter vorgehaltener Hand: Es ist Angst. "Keiner weiß so recht, wie es weiter geht und wann die Talfahrt zu Ende ist", sagt ein älterer Mitarbeiter, der seinen Namen nicht nennen möchte. Seit 41Jahren arbeitet der 55-Jährige bei BMW in der Qualitätssicherung. Als er dort anfing, gehörte das Werk noch dem Goggomobil-Bauer Glas, den BMW 1967 übernahm.

Damals ging es noch bergauf. Jetzt ist die Zeit des Qualitätssicherers im Werk vorbei. Im Sommer hat er seine Abfindung unterschrieben, die BMW angeboten hat. "Über die Summe will ich nicht reden", sagt er und bricht mitten im Satz ab. Außerdem habe er sich dem Konzern gegenüber verpflichtet, nicht darüber zu sprechen. Die Stimmung im Werk, sagt er, sei außerdem schon wieder viel besser geworden. Es klingt ein wenig so, als würde er das zu sich selber sagen. Doch dann bricht es aus ihm heraus: "Die Leute klammern sich im Moment an jeden Strohhalm und hoffen auf ein Rettungspaket vom Staat."

In der Gaststätte "Schmankerl" am Marienplatz, in der Innenstadt von Dingolfing, sind die Tische voll besetzt. Eine Geburtstagsgesellschaft sitzt am großen Tisch in der Ecke, die anderen Tische füllen Damenrunden und Werksarbeiter. Ein junger Mann mit dunklem, nach hinten gegeltem Haar und hellblauem Polo-Hemd hockt am Tresen und trinkt sein Feierabend-Bier. "Bei BMW wird keiner ausgestellt", sagt er.

Und als hätte er diesen Satz auswendig gelernt, fügt er hinzu: "Wenn du deine Leistung bringst, hast du in dem Konzern nichts zu befürchten." Der Optimist ist 35 Jahre alt, seit zehn Jahren arbeitet er bei BMW in der Planung. Von den Abfindungen habe er auch gehört, sagt er. Das seien faire Angebote gewesen und die Leute seien ja nicht gezwungen worden zu gehen. "Außerdem ist dabei keiner schlecht weggekommen." Und Unsicherheit, die gebe es momentan doch bei allen Automobilherstellern.

Am Stammtisch

Barbara Plank hetzt an diesem Abend von einem Tisch zum anderen. Sie ist die Wirtin im "Schmankerl" und bedient in der Gaststube. 95 Prozent ihrer Gäste sind Arbeiter von BMW, sagt sie. Vor allem die, die abends nicht mehr nach Hause fahren können und nur während der Woche in Dingolfing wohnen, sitzen fast jeden Abend bei ihr an der Theke oder am Stammtisch. "Ich hab schon immer gesagt: Wenn es BMW irgendwann nicht mehr gibt, kann ganz Dingolfing zusperren", sagt sie. Barbara Plank ist schon seit über 40 Jahren in der Gastronomie tätig.

Die Befürchtung, dass die unfreiwilligen Betriebsferien im Werk länger dauern könnten und ihr ihre Stammgäste verloren gehen, habe sie nicht, sagt sie und schüttelt entschieden den Kopf. Aber Gedanken, die hat sie sich schon gemacht: "Wenn es tatsächlich so kommen sollte, dann müssen meine 400-Euro-Kräfte zu Hause bleiben und ich mache das Geschäft alleine", sagt sie. Aber glauben will sie daran jetzt noch nicht.

Dingolfing ist eine idyllische niederbayerische Stadt mit 18.000 Einwohnern. Es gibt hier eine kleine, aber feine Innenstadt, einen guten Metzger und das "Schmankerl". Vor allem aber gibt es in Dingolfing eine große BMW-Kantine, jede Menge BMW-Autohändler und insgesamt fünf verschiedene Motorenwerke. Die ganze Stadt lebt von dem Konzern.

Das weiß auch Gerald Rost, der Bürgermeister von Gottfrieding, der kleinen Nachbargemeinde von Dingolfing. 2200 Menschen leben hier, die Mehrheit von ihnen arbeitet bei BMW. Als Bürgermeister hat er tagtäglich mit den Sorgen und Nöten der Gemeindemitglieder zu tun. "Die Leute sind verunsichert wegen der Schließungstage bei den Werken", sagt Rost. Viele von ihnen haben Familie oder ein noch nicht abbezahltes Haus. Und dann spricht er es aus. Das kleine, schwere Wort, das niemand in Dingolfing sich zu sagen traut: "Die Leute haben Angst", sagt der Bürgermeister. "Schließlich ist BMW schon immer das Herz Dingolfings gewesen. Und wenn das Herz schwächer schlägt, dann tut's uns allen weh."

© SZ vom 17.11.2008/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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