Bischofswiesen:Aus anderem Holz

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Drechseln - ein verstaubtes Handwerk für alte Männer? Franz Keilnhofer ist Holzkünstler, die Technik hat er sich auf Youtube abgeschaut. Außerdem macht er Punkrock, arbeitet als Tattoo-Model und gibt Mathe-Nachhilfe. Und glaubt, dass er als Baum wiedergeboren wird.

Von Sarah Kanning, Bischofswiesen

Von der Brust des Rothaarigen starrt eine Eule mit grünen Augen. Der Vogel aus Tätowiertinte bewacht einen Baum, der sich von Franz Keilhofers Bauchnabel bis zur Brust hinauf rankt. Holz. Leben. Franz Keilhofers Leben. Wenn der 27-Jährige sich an seine Drechselmaschine setzt, den Oberkörper bedeckt mit einem T-Shirt, wenn er mit Meißel und Dreheisen hineinfährt in das frische Holz, dann gibt es für ihn nur noch dieses Stück Baum. "Ich schaue nicht links, nicht rechts, fühle mich verpflichtet, es perfekt zu machen, da bin ich sehr emotional", sagt er. "Im nächsten Leben werde ich wahrscheinlich als Holz geboren."

Keilhofer ist Bischofswiesener, ein Naturbursche, der auf dem Hof der Eltern mitarbeitet, im Wald Holz macht und bei der Ernte hilft. Einerseits. Andererseits ist er Künstler - sowohl an den Holzschalen und Kugeln, die er seit fünf Jahren drechselt, als auch an sich selbst. Tattoos mit dicken schwarzen Linien im Old-School-Stil der Seefahrer bedecken seine Brust, ziehen sich über Oberarme, Schenkel, Waden und Rücken. Jedes Jahr lässt er sich einen neuen Themenkomplex stechen. Eine Sucht? "Das Stechen ist schon eher unangenehm", sagt Keilhofer. Aber das Ergebnis zählt.

Wie gemalt: Franz Keilhofer und seine Freundin Nadine Schachinger setzen sich und ihre Tattoos vor der heimischen Scheune perfekt in Szene. (Foto: Johannes Simon)

Eine Tradition - aber angestaubt?

Da ist zum Beispiel der rechte Arm: ein Herz, angetrieben von Mechanik, Zahnrädern Riemen. Oben heraus wächst ein Grammofon. Es ist sein Musik-Arm. Denn Keilhofer hat eine Band: "Wir machen Hardcore, aber da denken die Leute meist an Pornos." Also sagt er besser: "Schreimusik, Punkrock so was." Die linke Wade ist der Wissenschaft gewidmet, "Wissen ist Macht" steht dort. Keilhofer, der sich in der Schule mit Mathe zunächst schwertat, sich aber voller Neugier und Begeisterung hineinwühlte, gibt mehr als zwei Dutzend Schülern Nachhilfe. "Ich verstehe, warum man Mathe nicht durchdringt, das hilft." Die Stunden ermöglichen ihm, sich beim Drechseln auf das zu konzentrieren, was ihm gefällt: harte Hölzer, die sich nach dem Trocknen blank polieren lassen wie Metall. Schalen aus frischem Holz, die beim Trocknen die Form verändern, oder Hölzer, in deren Maserungen man Linien oder Pünktchen von Pilzen erkennt.

Das Drechseln hat in der Gegend um Berchtesgaden seit 300 Jahren Tradition - aber irgendwie auch etwas Eingestaubtes. Junge Leute wollen es nur selten lernen. Auf Youtube schaute Franz Keilhofer sich die Technik an - und kaufte dann, ohne jemals eine benutzt zu haben, für 3000 Euro eine Drechselausstattung. "Ich wusste, es wird top oder Flop, war das also mutig oder blöd?" Im Nachhinein richtig. Keilhofer brach sein Studium ab, machte sich selbständig und hat inzwischen Verträge mit Ludwig Beck in München und Onlinehändlern. Das alpine Modelabel Luis Trenker hat ihn in dieser Saison als Kampagnenmodel gebucht: Tattoo trifft Trachtenjanker.

Kein langweiliger Opa

Seine Freundin Nadine Schachinger hat sich längst dran gewöhnt, dass "der Franz" jeden Tag viele Stunden in der Werkstatt verschwindet, harte Rockmusik oder "Die Drei ???" einlegt, um sich dann Buche, Ahorn, Zirbelkiefer und Robinie zuzuwenden. "Da öffnest du irgendwann die Tür und siehst den Franz in einem Meer von Spänen", sagt sie. Die 24 Jahre alte Österreicherin ist selbständig als Illustratorin, Fotografin und Designerin, geht noch zur Uni und arbeitet auf Drechslermessen oft mit ihrem Freund zusammen: er als Model, sie als Fotografin. Dabei hat sie genauso viele Tätowierungen wie er, allerdings im realistischen Stil fast ohne Linien. Über ihren Rücken zieht sich ein Bild des indischen Elefantengottes Ganesha, ihre Arme hat sie "Heimweh und Fernweh" gewidmet.

Vor einem Jahr ist sie zu Keilhofer in das Haus hinter dem Kuhstall gezogen, wo Touristen stehenbleiben, um Fotos vom Alpenpanorama zu schießen. "Wir arbeiten daran, den Franz als Marke zu etablieren", sagt Schachinger. "Die Schalen sind ein Produkt aus dem, was ich bin", sagt Franz Keilhofer. "Ich möchte, dass die Leute das so sehen: nicht nur Holz, sondern eine Person dahinter, die kein langweiliger Opa ist." Apropos Großeltern: Franz Keilhofers Oma haderte anfangs mit dem Körpergemälden ihres Enkels - bis er sich die "Oma-Nähmaschine" in den Oberschenkel stechen ließ. Sein Vater, mit dem er oft im Wald das Holz holt, ist selbst auf den Geschmack gekommen: Er hat sich im vergangenen Jahr sein erstes Tattoo stechen lassen und plant das zweite. Es bleibt ja in der Familie.

Für den Tipp bedanken wir uns bei Barbara Keilhofer aus Bischofswiesen

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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