Bildband über Bayerns stillgelegte Gleise:Der Streckengeher

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3000 Kilometer ist ein Allgäuer Lehrer entlang stillgelegter Gleise gegangen und hat ein versunkenes Eisenbahnland in Bildern festgehalten.

Manfred Hummel

Der Titel klingt wie eine trotzige Aufforderung: "Gehen, wo man nicht mehr fahren kann." In diesem Sinne machte sich der Allgäuer Gymnasiallehrer und Künstler Wilfried Ernst Hölzler auf den Weg und schritt zu Fuß nahezu alle 152 stillgelegten Eisenbahnstrecken in Bayern ab. Fast 3000 Kilometer sind dabei seit Mitte der 90er Jahre zusammengekommen.

Zeugnisse der einstigen Lebensadern: Zehn Jahre lang ist Wilfried Ernst Hölzler ihnen gefolgt. (Foto: Foto: Wilfried Ernst Hölzler, Verlag Obermayer)

Der Mitvierziger fuhr an freien Tagen frühmorgens mit der Bahn los, absolvierte täglich einen Marathon von bis zu 42 Kilometern und kehrte am Abend nach Hause zurück. Stets im Gepäck war eine Spiegelreflexkamera.

Die Schwarzweißfilme entwickelte Hölzler im eigenen Labor. Das war ihm wichtig, um den Fotos eine individuelle, künstlerische Note zu geben. So entstanden Tausende elegischer Bilder, deren Poesie des allmählichen Verfalls ebenso fasziniert wie die Beharrlichkeit, mit der sich die ehemaligen Lebensadern gegen das Vergessen sträuben.

Massige Dämme und Brückenpfeiler, die verloren in der Landschaft stehen, vor sich hinrostende Gleise, die ins Nichts führen, überwucherte Prellböcke und zugenagelte Bahnhöfe, an denen nie mehr ein Zug ankommt.

Die Spurensuche geriet bisweilen zur archäologischen Unternehmung. Genau das faszinierte Hölzler in zunehmendem Maß. Eigentlich wollte er auf seinen Entdeckungsreisen nur Schwaben und Mittelfranken erkunden. "Es wurde aber so spannend, dass ich ganz Bayern gemacht habe."

Im ersten Band befasst sich der Fotograf mit Schwaben. Ob weitere Bände folgen, hängt vom Verkaufserfolg ab. Der Fotoband zeigt auch die Kempten-Isny-Bahn aus dem preisgekrönten Film "Wallers letzter Gang" von Christian Wagner. Die Vorlage lieferte der Schriftsteller Gerhard Köpf mit seinem Roman "Die Strecke". Der Film schildert, wie ein wortkarger Streckengeher noch einmal seinen Gleisabschnitt abläuft, der stillgelegt werden soll. Es wird zu einem Gang durch seine Jugend. Nach dem Prellbock sind die Schienen im hohen Gras verborgen, doch Waller geht weiter, seinem eigenen Ende entgegen.

Auch Hölzler ist ein solcher Streckengeher. Er hat auf einen Begleittext verzichtet und setzt allein auf die Kraft der Bilder. Sie sollen dem Betrachter bewusst machen, was es einmal gegeben hat, welcher Verlust die Stilllegung von Bahnstrecken "kulturtechnisch betrachtet" darstellt. Als Wegweiser durch das versunkene Eisenbahnland dienten dem Künstler mit einem Faible für Landkarten alte Fahrpläne und ein Bahnhofsverzeichnis von 1941.

Wilfried Ernst Hölzler: Gehen, wo man nicht mehr fahren kann, Druck und Verlag Obermayer GmbH, Buchloe, 2007, 192 Seiten, ISBN 978-3-927781-37-5, 36 Euro.

© SZ vom 28.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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