Bayerisch-englisches Kunstprojekt:Hi guys, wie geht's?

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Die Künstler Susanne Kudielka und Kaspar Wimberley bringen via Live-Schaltung Gäste von Kneipen im Chiemgau und England zueinander.

Ines Alwardt

Eine Kasse rattert, das Telefon klingelt und man hört leise das Geräusch einer arbeitenden Kaffeemaschine. Plötzlich läuft eine Frau mit roten, langen Haaren und elfenbeinfarbenen Teint durch das Bild.

Kneipenbesuch via Monitor: Beim Experiment "Regulars" ist das im oberbayerischen Obing und im englischen Lake District möglich. (Archivbild) (Foto: Foto: ddp)

Sie stellt sich hinter den Holztresen, der auf dem Monitor zu sehen ist, nimmt Gläser aus dem Regal und fängt an, mehrere dunkle Biere zu zapfen. Dabei lacht sie ihren Zuschauern vom Bildschirm entgegen und sagt: "Hi guys, how are you today?" Die sieben Männer, die da auf Bar-Hockern am Tresen in der verrauchten, oberbayerischen Wirtschaft "Zur Post" in Obing sitzen, grüßen freundlich zurück. Aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, das Feierabend-Weißbier vor der Nase, die Zigarette in der Hand, sitzen sie da und schauen mit neugierigen Blicken auf den in die Bar eingelassenen Computer-Monitor.

Sie sehen ein bisschen aus, als würden sie gerade eine neue Reality-Show im Fernsehen verfolgen. Doch das, was sich die Stammgäste in der Kneipe von John und Rita Gonzalves fast jeden Abend auf dem Monitor anschauen, ist nicht etwa die aktuelle Staffel von "Big Brother". Es ist ein völlig neues, kulturelles Experiment: "Stammgäste", oder auf Englisch "Regulars", heißt das Kunstprojekt, das Susanne Kudielka aus Traunwalchen und Kaspar Wimberley aus Norwich in England als Beitrag zum Kunstfestival "Fred 2008" in der englischen Grafschaft Cumbria, dem größten Festival für Kunst im öffentlichen Raum, gestartet haben.

"Das Projekt ist ein Experiment"

Für zwei Wochen, noch bis zum 12. Oktober, haben die beiden jungen Künstler vier Kneipen, zwei im Lake District in England und zwei im Chiemgau via Live-Schaltung miteinander vernetzt. In der Wirtschaft "Zur Post" in Obing, dem "Schellenberg" in Bergen und den englischen Pubs "The Old Crown" in Hesket Newmarket und "The Black Swan" in Ravenstonedale, haben sie mit Hilfe der Firma Tandberg einen Computermonitor mit Kamera und Mikrofon installiert. Zwei Kneipen sind jeweils miteinander verbunden. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr läuft die Live-Übertragung zwischen englischem Pub und urbayerischer Wirtschaft. "Das Projekt ist ein Experiment", sagt Susanne Kudielka. "Wir wollen dadurch einen Kulturaustausch zwischen unterschiedlichen Gemeinschaften entstehen lassen und beobachten, was sich daraus entwickelt."

Laura, die Rothaarige hinterm Tresen, arbeitet fünf Nächte die Woche im "Black Swan". Während sie, etwa 1000 Kilometer von Obing entfernt, gerade die Milch für einen Kaffee aufschäumt, tritt Lisa, die Bedienung in der Kneipe "Zur Post" ihren Abenddienst an. "Hi Laura", begrüßt sie ihre englische Kollegin auf dem Bildschirm, während sie ihre Schürze umbindet. "Hi Lisa, nice to see you", sagt Laura und winkt ihr zu. Die allabendliche Begrüßung vor Dienstbeginn ist inzwischen vertraute Routine. "Je länger dieser Monitor hier steht, desto mehr gewöhne ich mich an die Leute", sagt Lisa.

Aber auch Gäste, Köche, Putzfrauen, ja das gesamte Kneipen-Personal macht der virtuelle Einblick in die fremde Kneipenkultur neugierig. "Man muss einfach auf den Bildschirm schauen", sagt Stammgast Michael Mester aus Obing. "Das ist wie mit einem Aquarium."

Die Gäste reagieren ganz unterschiedlich auf die bayerisch-englische Live-Schaltung. Drüben im "Black Swan", aber quasi doch direkt mit am Tresen in Obing, sitzt ein Mann in Blue Jeans vor seinem halbvollen Bierglas. Er hat den Rücken zur Kamera gedreht, pult nervös an seinen Fingernägeln herum, kratzt sich am Kopf und popelt in der Nase.

Es wird voll im "Black Swan"

Als die schon leicht angetrunkene Riege der oberbayerischen, männlichen Stammgäste ihm in bayerisch-rustikaler Manier zuprostet, rutscht er unruhig auf seinem Hocker hin und her. Es sieht so aus, als wisse er nicht recht, wohin er schauen soll. Nicht mal, als die Bayern die englische Flagge schwenken, winkt er zurück. "Mensch, was für ein Langweiler", tönt es aus der Gruppe der Obinger.

Dann wird es voll im "Black Swan". Plötzlich sind alle da: Louise, die freundliche, etwas rundliche Wirtin des Pub, ihre 13-jährige Tochter Ellie mit den langen blonden Haaren, Tom, der junge Student, der unter der Woche an der Theke aushilft und ein paar neugierige Gäste stehen am Tresen, heben ihre Gläser und prosten ihren neuen Freunden in der oberbayerischen Kneipe zu. "Cheers!", stimmen diese ein.

Die Besucher des "Black Swan" in England trinken sogar dasselbe Bier wie die in Obing: Sie stoßen an mit dem guten Hopf aus Miesbach. "Unsere Gäste lieben das deutsche Bier, es ist sehr stark", sagt Laura in das Mikrofon. Um das Projekt in Gang zu bringen, tauschten die Kneipen im Vorfeld ihr traditionelles Bier. Die Engländer schickten drei Kisten ihrer Brauerei in Hesket Newmarket, die Oberbayern versendeten ihr Hopf. Aber nicht nur Bier, auch Rezepte werden zwischen Obing und Ravenstonedale ausgetauscht. "Letzte Woche habe ich einen Spätzle-Hobel und das passende Rezept nach England geschickt", sagt Rita, die Frau von Wirt John. "Wir kriegen dafür die Rezepte für Shepherd's Pie und Yorkshire Pudding", freut sich der.

Trotz unterschiedlicher Sprachen klappt die Kommunikation von Kneipe zu Kneipe einwandfrei - wenn auch manchmal nur mit Händen und Füßen. "Diese Woche ist einmal der Ton ausgefallen, da haben wir uns über Zettel verständigt", sagt Kellnerin Lisa. Das interkulturelle Experiment scheint geglückt. Am Sonntag treffen sich Engländer und Oberbayern zum gemeinsamen Quiz vorm Bildschirm. Und wenn es nach Angestellten und Gästen ginge, könnte die Übertragung zu ihren ausländischen Freunden auch bestehen bleiben.

© SZ vom 04.10.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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