Augsburger Puppenkiste feiert 60. Jubiläum:"Es war pfööön"

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Die Augsburger Puppenkiste hat mit ihren Geschichten um Urmel und Co. Generationen von Kindern begeistert. Seit das Marionettentheater aber aus dem Fernsehgeschäft ausgestiegen ist, bangt es um neue Fans.

Mike Szymanski

Das Museum der Augsburger Puppenkiste hat erst seit zehn Minuten geöffnet, da sind die ersten Fans schon zu Urmel, Lukas und Jim Knopf geeilt: Zwei Frauen, die eine Mitte 30, die andere um die 40.

60 Jahre Augsburger Puppenkiste: "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". (Foto: Foto: Elmar Herr/ Motiv aus Augsburger Puppentheatermuseum)

Später kann man im Gästebuch nachlesen, wie diese Generation über die Puppenkiste denkt: "Es war pfööön", schreiben Erwachsene in lispelnder Urmel-Sprache. Oder: "Vielen Dank für die tollen Fernsehstunden in meiner Kindheit." Oliver Seitz, Leiter des Museums, wundert sich nicht, dass die feurigsten Liebesschwüre von Leuten seines Alters kommen: "Die Puppenkiste war Kult für uns. Es gab auch alles auf Schallplatte", sagt der 40-Jährige.

In diesem Moment merkt man erst, dass die Puppenkiste alt geworden ist. Auf den Tag genau vor 60 Jahren, am 26. Februar 1948, öffnete sich in Augsburg zum ersten Mal der Deckel einer kleinen Holzkiste. Als Augsburger Puppenkiste sollte sie berühmt werden, und deren Stars Generationen von Buben und Mädchen verzücken.

Im Foyer sitzt Klaus Marschall. Der 46-Jährige leitet in dritter Generation das Familientheater. Die Leute erwarten von ihm, dass die Puppenkiste immer so bleibt, wie sie ist. Dies macht seinen Job erst so schwierig.

Marschall hatte mit sechs Jahren die erste Marionette von den Eltern geschenkt bekommen. Er wuchs in der Werkstatt auf, in der seine Mutter Hannelore bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 fast 6000 Marionetten das Leben geschenkt hat. Draußen schafften sich die Leute erst Schwarzweißfernseher an, später Farbgeräte. Irgendwann verschwand nachts das Testbild. Schriller Zeichentrick ging im Kinderfernsehen auf Sendung.

In der Puppenkiste aber veränderte sich nichts. Noch immer kommt dem Kasperl kein "geil" oder "cool" über die Lippen. Zu den mehr als 400 Vorstellungen im Jahr kommen 90000 Zuschauer - das bedeutet eine Auslastung von fast 99 Prozent. Klaus Marschall führt kompromisslos weiter, was Puppenkisten-Gründer Walter Oehmichen im Sinn hatte, als er die Kiste zimmerte - gewaltfreie, pädagogisch wertvolle Unterhaltung.

Oehmichen hatte 1940 als Soldat in einer Schule bei Calais in Frankreich ein kleines Puppenspiel entdeckt und damit seine Kameraden in düsteren Kriegszeiten unterhalten. Nach dem Krieg erfüllte er sich den großen Traum von einer eigenen Bühne. 1948 feierte im ehemaligen Heilig-Geist-Spital das Märchen "Der gestiefelte Kater" Premiere.

Ein bisschen Holz, ein bisschen Leim und ein bisschen Farbe - wer sich im Puppenkistenmuseum umschaut, staunt, mit welch einfachen Mitteln diese bunte Welt funktioniert. Und auch deren Holzköpfe, die schon Museumsgründer Oehmichen lieber waren als leibhaftige Schauspieler, hängen hier an ihren Fäden: der Kasperl, die Muminfamilie, Kalle Wirsch und natürlich Urmel, Jim Knopf und Co.

Erst das Fernsehen verhalf der Puppenkiste zum Durchbruch. 1953 strahlte der NWDR "Peter und der Wolf" aus - live. Es war der Auftakt zu einer engen Zusammenarbeit mit dem Fernsehen. Wichtigster Kooperationspartner wurde der Hessische Rundfunk (HR).

Mit dem Sender produzierte die Puppenkiste mehr als 30 Serien und knapp 70 Einzelsendungen. Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer oder Urmel aus dem Eis - diese Serien wurden zu Klassikern der deutschen Fernsehunterhaltung. 90 Prozent aller Deutschen, dies ergab eine Umfrage, kennen das Marionettentheater.

Wer heute die Puppenkiste im Fernsehen sucht, muss lange zappen. Die Augsburger sind aus dem Fernsehgeschäft weitgehend ausgestiegen, es laufen nur noch Wiederholungen. Mitte der 90er Jahre kam es zum Bruch mit dem HR - "künstlerische Differenzen", meint Klaus Marschall. Die Geschichten, die man den Puppen auf ihren Holzkörper schreiben wollte, seien zu flach geworden.

Marschall hatte Angst vor der Kommerzialisierung. "Wir beugen uns nicht jedem Trend." Wirtschaftlich hat die Puppenkiste mit ihren 37 Angestellten seit Jahren zu kämpfen. Jede Eintrittskarte wird mit 4,32 Euro subventioniert. "Überregional leben wir von der Vergangenheit", sagt Marschall.

Im Museum, ein Stockwerk höher, haben sich die Eltern mehr über die Marionetten zu erzählen als die Kinder. Auch Museumsleiter Seitz hat dies beobachtet: "Wären wir im Fernsehen noch so präsent wie früher, würden die Fans wohl millionenfach nachwachsen". So aber beginnen hier oben im Museum viele Sätze mit den Worten: "Weißt Du noch..."

Homepage der Augsburger Puppenkiste

© SZ vom 26.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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