Klimaforscher von der Zugspitze:"Der Berg bekommt Fieber"

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Auf der Zugspitze liegt Deutschlands höchstgelegene Umweltstation. Hier lässt sich die Erderwärmung besonders gut studieren.

Gabriele Pfaffenberger

Wenn Ludwig Ries von Gasen und Feinstaub spricht, leuchten seine Augen vor Begeisterung, als wäre von Diamanten die Rede. Der Wissenschaftler weiß, wie wertvoll die Daten sind, die er hier in 2650 Metern Höhe auf der Zugspitze sammelt, damit sie weltweit ausgewertet werden können. Seit neun Jahren untersucht Ries auf der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus für das Umweltbundesamt, wie häufig Kohlendioxid, Methan und andere Gase in der Atmosphäre vorkommen.

Im Kammstollen, der Hunderte Meter in die Zugspitze hineinführt, messen die Forscher das Abschmelzen des Permafrosts. (Foto: Foto: Pfaffenberger/oh)

Denn bereits kleinste Veränderungen haben großen Einfluss auf den Klimawandel. Wenn er aus dem Fenster des Labors blickt, wird er daran erinnert, wie nötig seine Arbeit ist: Jetzt im Sommer umfasst der Schneeferner, der einst ein Riesengletscher war, nur noch einzelne Eisfelder. In 20 Jahren wird er ganz verschwunden sein.

Die Bedingungen für die Klimaforschung sind hier, 300 Meter unter dem Zugspitz-Gipfel, optimal, da die Luft besonders rein ist und es kaum Störfaktoren gibt. Selbst die Abgase aus der Forschungsstation werden durch Röhren auf die andere Seite des Berges geleitet. Hier könne man Staub aus der nahen Umgebung von dem aus Nordamerika unterscheiden, sagt Ries. Er war einer der ersten Wissenschaftler, die sich in der Forschungsstation einquartierten, als sie 1999 eröffnet wurde.

Bis zur Rente auf der Zugspitze arbeiten? - Ein Albtraum!

Anfangs fielen ihm die Arbeit und das Leben hier oben überhaupt nicht leicht. "Nach den ersten vier Monaten bin ich nach Teneriffa geflogen", sagt der Geoökologe. "Ich konnte einfach keinen Schnee mehr sehen." Die Vorstellung, bis zur Rente auf der Zugspitze zu arbeiten, sei damals für ihn ein Albtraum gewesen. Der niedrige Luftdruck, die wenigen Bewegungsmöglichkeiten, und auch die lange Anfahrt machten ihm zu schaffen.

Sieben Verkehrsmittel muss der 54-Jährige nehmen, um von seiner Wohnung in München zum höchsten Arbeitsplatz Deutschlands zu gelangen. Drei Nächte pro Woche übernachtet der Wissenschaftler auf dem Schneefernerhaus. Die ersten acht Jahre schlief er auf einem Klappbett in einem der Labors, mittlerweile hat er ein eigenes Zimmer. Knapp zehn Quadratmeter ist es groß: ein Bett, ein Schrank - mehr braucht er nicht. Ansonsten lebt er hier mit seinen drei Kollegen wie in einer WG, mit Gemeinschaftsküche und -bad.

Aber nicht nur Wissenschaftler des Umweltbundesamtes führen auf dem Schneefernerhaus ihre Messungen durch. Auch der Deutsche Wetterdienst und diverse bundesweite Forschungszentren haben hier Stationen aufgebaut. Neben Klima- und Atmosphärenbeobachtungen werden auf einer Nutzfläche von mehr als 1000 Quadratmetern beispielsweise auch neue Technologien für die Höhenmedizin oder zur Früherkennung von Naturgefahren fortentwickelt.

Der Kitt löst sich auf

Vom siebten Stock des Schneefernerhauses gelangt man in den Kammstollen. Ein schmaler, etwa zwei Meter hoher Gang führt mehrere hundert Meter durch das Innere der Zugspitze. Obwohl draußen die Sonne mit ganzer Kraft vom Himmel strahlt, hat es hier im Berginneren nur um die null Grad. "Doch der Berg bekommt langsam, aber sicher Fieber", sagt Andreas von Poschinger vom Landesamt für Umwelt. Die Klimaerwärmung führe dazu, dass sich der Permafrost, also das dauerhafte Eis in den Gesteinsmassen, immer mehr auflöse. Und das hat fatale Folgen, denn das unsichtbare Eis wirkt wie Kitt. Verschwindet es, wird es öfter zu Felsstürzen und Steinschlag kommen.

Dass der Permafrost im Gestein auftaut, kann man bereits mit dem bloßen Auge feststellen, die Wassertropfen an der Decke und den Wänden des Kammstollens verraten es. Damit die Gefahr von Felsstürzen besser überwacht werden kann, untersucht Poschinger, wie sich die Temperatur im Fels verändert und an welchen Stellen der Permafrost verschwindet.

Etwa 15 Sensoren haben der Experte und sein Team vor zwei Jahren im Fels eines Nebenstollens angebracht. Im vergangenen Jahr wurde auch noch der 60 Meter breite Zugspitz-Gipfel durchbohrt, um weitere Geräte und Sonden zu installieren. "Wir messen sozusagen die Krankheit des Berges mit Fieberthermometern", sagt der Geologe Poschinger.

Ludwig Ries kann sich mittlerweile keinen besseren Arbeitsplatz als Deutschlands höchstgelegene Forschungsstation vorstellen. Für ihn ist das Schneefernerhaus ein "angenehm exotisches Biotop". Einsam sei es hier oben selten. Dafür sorgten seine Kollegen, die Besucher und vor allem seine Handy-Flatrate. Nur im Winter, wenn es fast die ganze Zeit dunkel ist und es starke Schneeverwehungen gibt, sei es hier oben manchmal hart, denn dann sei man hier eingesperrt. Doch das ist noch lange kein Grund, aufzugeben: Vor zwei Jahren hätte Ries befördert werden sollen. Doch dafür hätte er nach Berlin ziehen müssen. Ries hat abgelehnt. Inzwischen ist es sein größter Traum, bis zur Rente auf der Zugspitze zu arbeiten.

© SZ vom 04.08.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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