Wüstenautos:Des Teufels Spielplatz

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In der Mojave-Wüste Kaliforniens sollten Roboter zeigen, dass sie 240 Kilometer staubige Piste allein bewältigen können. Der Beste schaffte zwölf.

Von Christopher Schrader

Wie wilde Pferde sind sie in die kalifornische Wüste gestürmt kurz nach Sonnenaufgang. Mittags sind alle wieder da, auf einem Abschleppwagen, geschoben oder gelenkt von Menschen. Einige haben Beulen in der Stoßstange, einer kommt mit geschmolzenen Vorderreifen zurück, einer hat mehr Zeit im Rückwärtsgang verbracht als mit der Fahrt voraus. Der Ausflug der Maschinen in die Freiheit war maximal zwölf Kilometer lang, für einige nur 50 Meter.

Am Start (Foto: Foto: Christopher Schrader/Süddeutsche Zeitung)

Trotzdem sind all die Erfinder, die ihre Maschinen ins Rennen durch die Mojave-Wüste geschickt haben, zufrieden. Immerhin haben 14 von ihnen gezeigt, dass ihr Fahrzeug wenigstens eine kurze Strecke autonom manövrieren kann.

Von stürmisch über schüchtern bis vorsichtig

Um das zu bewältigen, hatten die Erfinder Computer in ihre Fahrzeuge eingebaut, Empfänger für die Navigationssignale der GPS-Satelliten, Kameras, Radar, Laser und Servomotoren für Gas, Bremse und Gangschaltung. Kontrolliert wurde die ganze Technik von selbst geschriebener Software, die den Autos fast so etwas wie Temperament verlieh: von stürmisch über schüchtern bis vorsichtig.

Organisiert hatte das Wüstenrennen die amerikanische Militär-Forschungsagentur Darpa. Von ihr stammen die ersten Pläne für das Internet, die Saturn-Rakete der Apollo-Mondmissionen und die amerikanischen Stealth-Bomber.

Roboter-Elefanten

Einst hat sie auch versucht, Roboter-Elefanten zu entwickeln, die die Vietkong-Kämpfer im Vietnamkrieg verängstigen sollten. Das neueste Projekt der Darpa ist die "Grand Challenge": Eine Million Dollar hat die Agentur für das Team ausgesetzt, dessen Roboter es als erster schaffen würde, in zehn Stunden allein durch die Mojave-Wüste zu fahren. 240 Kilometer Wüstenpisten an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada, über steile Serpentinen und schmale Brücken. Kurz: Über Sand, Staub, Steine und dürre Sträucher - die Karte nennt die Gegend "Devil's Playground".

Auch wenn es kein Roboter nur annähernd geschafft hat, des Teufels Spielplatz zu durchqueren, sind die Darpa-Offiziellen hochzufrieden. Die Freude der Militärforscher hat mehrere Gründe: Nicht nur hat Darpa für etwa zwölf Millionen Dollar Forschungsleistungen im Wert von geschätzten 50 Millionen Dollar bekommen - etwa soviel Geld haben die 25 Teams aufgewendet. Zudem hat das Rennen viele Tüftler angezogen, die sonst nicht für das Pentagon gearbeitet hätten, wie Projektleiter Oberst Jose Negron zufrieden feststellt.

Nachschub ohne Fahrer

Denn eigentlich ist die "Grand Challenge" Militärforschung zum Schutz von Soldaten: "Nachschub kann auch ein autonomes Fahrzeug transportieren", sagt der Oberst. Der Kongress verlangt das sogar: Bis 2015 soll ein Drittel der Armeefahrzeuge ohne Fahrer auskommen. Und um die Technik dafür zu erproben, ist die kalifornische Wüste besonders geeignet, so Negron: "Sie ähnelt der Gegend zwischen Kuwait und Bagdad oder zwischen Kabul und Kandahar."

Fast eine Woche hat das Ereignis gedauert: Für den vergangenen Samstag war das Rennen angesetzt, Montag bis Donnerstag davor mussten sich die Roboter auf einem Hinderniskurs qualifizieren, den Darpa im Innenraum des California Speedway östlich von Los Angeles aufgebaut hatte. Normalerweise rasen auf der Rennstrecke Nascar-Boliden mit 300 Stundenkilometern; bei den Trainingsläufen aber jubelt das Publikum jedesmal, wenn ein Roboter auf einer Geraden mal auf 50 beschleunigt.

Das Training ist für viele Teams das einzige Mal, bei dem die Entwickler ihren Roboter im Einsatz sehen können - später in der Wüste dürfen sie ihren Fahrzeugen nicht folgen. Der Parcours hat die Form eines lang gestreckten Ovals und ist gut zwei Kilometer lang; 31 GPS-Wegpunkte markierten unsichtbar den Weg. Dazwischen finden sich Hindernisse: Betontrümmer, Fässer, Kies oder Stahlrohre. Drei Schrottwagen stehen im Weg, einer davon, ein blauer Minivan, ist direkt auf einem GPS-Punkt geparkt.

Diesen Parcours haben in den vier Tagen des Trainings sieben der 19 angetretenen Fahrzeuge komplett bewältigt. Ein weiteres Drittel hat schon Schwierigkeiten, die Startbox zu verlassen. Das letzte Drittel der Roboter scheitert auf dem Parcours, viele davon knallen gegen den blauen Minivan. Einer, der es geschafft hat, ist der silberne Geländewagen mit der 23.

Abstimmen über die Richtung

Über der Motorhaube trägt der "Spirit of Kosrae" einen schwarzen Kasten, aus dem fünf Kameras auf den Weg spähen. Sie alle, erklärt Melanie Dumas, die die Steuerung erdacht hat, stimmen ständig darüber ab, wohin der Roboter fahren soll. Wie in einer Demokratie, erklärt die Informatikerin, werden die Voten der Messinstrumente, die Daten der einprogrammierten Karte und der Kurs zum nächsten GPS-Punkt ausgewertet. Haben die Kameras ein Hindernis erkannt, können sie Veto einlegen.

Doch an diesem Tag lässt irgendetwas an dieser Steuerung das Auto wie einen Betrunkenen reagieren. Es fährt in weiten Schlenkern über den Kurs, walzt Begrenzungshütchen platt, holpert über Sandsäcke, dreht erst knapp vor Hindernissen ab, wirft schließlich ein Fass um. Immer wieder hält es an, wie um zu überlegen.

Nachdem das Auto den Parcours schließlich bewältigt hat, fallen sich die jungen Teammitglieder jubelnd in die Arme. Doch schon beim nächsten Trainingslauf bekommen sie einen Dämpfer: Ihr Roboter kracht gegen ein rotes Sportcoupe, das mit offenem Kofferraum am Rand der Strecke steht. Das Veto der Kameras ist wohl nicht im Entscheidungszentrum angekommen.

Favorit "Sandstorm"

Nur zwei Roboter bewältigen den Trainingskurs problemlos. Einer davon ist der als Favorit geltende "Sandstorm". Auf der Basis eines knallrot gestrichenen Hummer-Allradwagens haben Forscher von der Carnegie Mellon University alles auf ihren Roboter gebaut, was gut und teuer ist. Unter einem drehbaren weißen Dom scannt ein Laser den Weg ab; ein Gyroskop hält das Messinstrument stets in der Waagerechten. Auf einer Finne hinter dem Dom sind die GPS-Antennen angebracht, darunter ein Schrank mit drei Server-Computern und etlichen weiteren Prozessoren.

Der Renntag beginnt früh. Um vier Uhr morgens bekommen die Teams eine CD-Rom mit etwa 2400 GPS-Wegpunkten, die sie ihren Robotern einprogrammieren sollen. Für Melanie Dumas ist der vorgegebene Kurs Grund zu Optimismus, schließlich hatte sich ihr Team auf diese Strecke vorbereitet.

Um 6.30 Uhr wird vor dem ersten Roboter die grüne Flagge geschwenkt. "Sandstorm" stürmt durch den Starttrichter, der von Betonelementen begrenzt wird, macht eine kurze Linkskurve, weicht einem Busch aus und gibt Gas, als er eine gerade Sandpiste vor sich wahrnimmt. Wenig später sieht das Publikum nur noch seine rote Heckflosse über den Büschen dahineilen.

Viel zu früh endet das Rennen

Eine Viertelstunde später hat er bereits elf Kilometer hinter sich gebracht. Doch während das Publikum diese Nachricht bejubelt, bekommt der Favorit Probleme: Nachdem er zwei Holzpfähle umgefahren hat, gerät in den Serpentinen seine Steuerung durcheinander. Er überkorrigiert in einer Kurve und schiebt sich auf eine Sandbarriere am Rand der Piste. "Sandstorms" Vorderräder haben kaum noch Bodenkontakt; als er mit Vollgas versucht, sich zu befreien, drehen die Räder im Geröll durch und fangen durch die Reibung schließlich an zu schmelzen.

Melanie Dumas' Kreation scheitert schon früh. Der Wagen mit der 23 wendet unvermittelt im Starttrichter, bleibt stehen, hupt hilflos, fährt dann in Kringeln in Richtung Startbox zurück und muss abgeschaltet werden. "Das GPS-System war kaputt", sagt Dumas später. "Die Kompassnadel hat sich ständig gedreht." Als das Team das System ausgetauscht hat, fährt der "Spirit of Kosrae" langsam, aber sicher aus der Startbox. Doch dieser zweite Start zählt nicht mehr, Darpa hat dem Team nur noch eine Demonstration gestattet.

Kein Teilnehmer hat eine bessere Bilanz: Zwei weitere Fahrzeuge landen vorwärts in einem Zaun, zwei knallen schon am Start gegen Betonelemente, eines kippt nach 250 Metern um, eines bleibt auf dem Rand der Piste hängen, bei einem frisst sich die Bremse fest, eines verirrt sich und bei einem schwarzen Pick-up auf dem vorletzten Startplatz hatten die Entwickler vergessen einzuprogrammieren, dass er genug Gas gibt, um den ersten Hügel zu meistern.

Auch wenn die Teams nach dem viel zu früh beendeten Rennen mittags im Schatten frustriert Bier trinken - beim nächsten Mal wollen alle wiederkommen. In zwölf bis 18 Monaten, verspricht Darpa-Direktor Anthony Tether, wird das Rennen wiederholt. Sofort kommt Optimismus auf. "Diesmal hatten wir nur sechs Monate Zeit zur Vorbereitung. Wenn wir die dreifache Zeit haben, können wir es ihnen zeigen", sagt ein Team-Kamerad von Melanie Dumas. Und beim nächsten Mal lockt Darpa mit noch mehr Geld: Es winken zwei Millionen Dollar.

© SZ vom 16.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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