VW Polo:Beinahe schon ein Großer

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Drei Motorvarianten und ein Einstiegspreis von 18 295 Mark

(SZ vom 27.08.1994) Um es vorwegzunehmen: Der neue VW Polo ist ein rundum gelungenes Auto. Nach ersten, kurzen Fahrten läßt sich schon jetzt unschwer vorhersagen, daß Wolfsburgs neues Kompaktauto nicht nur Corsa, Clio und Co. das Leben schwer machen, sondern auch dem großen Bruder Golf manchen Käufer abwerben wird. Warum? Weil der Polo trotz seiner kompakten Maße niemals Kleinwagen-Feeling aufkommen läßt, sondern sich in Qualität und Verarbeitung, in Komfort und Ausstattung stets wie ein Großer gibt. Weil er auch auf schlechten Straßen gute Bequemlichkeit bietet und weil er in den Disziplinen aktive und passive Sicherheit zu den Besten zählen dürfte.

13 Jahre nach der Präsentation des ersten Polo kommt im September ein von Grund auf neuer Polo auf den Markt. Seine wichtigsten Merkmale: Mit einer Länge von 3,72 Metern ist er fünf Zentimeter kürzer als das bisherige Modell, bietet aber dennoch deutlich mehr Innenraum, da Radstand, Ellenbogenbreite und Fahrzeughöhe um jeweils etwa sieben Zentimeter zulegten. Sieben Zentimeter scheinen nicht viel zu sein, bedeuten in dieser Fahrzeugkategorie jedoch den Unterschied zwischen eng und geräumig.

Ähnlichkeit mit den Brüdern

Der kleine VW stellt seine Ähnlichkeit mit den größeren Brüdern demonstrativ zur Schau: Sein Gesicht gleicht dem des aktuellen Passat, seine Seitenansicht erinnert stark an den Golf - so als wolle er kundtun: 'Was die können, kann ich auch.' Und diesem selbstbewußten Anspruch läßt er Taten folgen. Erstmals gibt es den Polo (gegen Aufpreis) mit vier Türen, mit zwei Airbags, mit ABS, Servolenkung, Klimaanlage, elektrischen Fensterhebern und Zentralverriegelung.

Das Basismodell trägt weiterhin den Beinamen Fox, kostet 18 295 Mark und ist damit moderate 205 Mark teurer als der Vorgänger. Natürlich ist diese Variante kein Ausstattungwunder. Immerhin aber bietet sie jetzt serienmäßig Fünfgang- Getriebe, Drehzahlmesser, Lenkrad-Höhenverstellung, Gurtstraffer vorn, elektronische Wegfahrsperre und andere Annehmlichkeiten wie Ablagen in den Türen und eine Mittelkonsole. Mit anderen Worten: Für die 205 Mark Mehrpreis gibt es eine Menge Auto mehr. Was sich leider auch im Gewicht niederschlägt - der neue Polo bringt je nach Variante bis zu 190 Kilogramm mehr auf die Waage.

Die VW-Ingenieure, allen voran Konzernchef Ferdinand Piëch, verweisen angesichts der radikalen Mastkur vor allem auf die Teile, die erforderlich sind, um einen zeitgemäßen Insassenschutz zu garantieren (Knautschelemente, Flankenschutz, Gurtstraffer, Teleskop-Lenksäule). Aber auch die bessere Ausstattung hinterließ ihre Spuren.

VW bietet den neuen Polo zunächst mit drei Benzinmotoren an - mit 1,1 Liter Hubraum und 33 kW (45 PS), mit 1,3 Liter und 40 kW (55 PS) sowie mit 1,6 Liter und 55 kW (75 PS). In Kürze wird auch der vom Golf bekannte Dieselmotor mit 47 kW (64 PS) offeriert. Eine Automatik- Version ist in Vorbereitung.

Für den Polo-Käufer, der ein akzeptables Fahrzeug-Temperament vor allem im unteren und mittleren Drehzahlbereich wünscht, ergibt sich aus den Gewichtsproblemen die Empfehlung, sich nicht mit 45 PS zu bescheiden, sondern lieber zum 1,3-Liter-Motor mit 55 PS zu greifen. Dieses Aggregat macht den Polo erstaunlich munter, ohne in den Unterhaltskosten über die Stränge zu schlagen.

Für die praxisnahe Verbrauchsfahrt war die Zeit der ersten Präsentationstour zu kurz, sie bleibt einer späteren Messung vorbehalten. Doch wer die DIN-Verbrauchswerte des alten und des neuen Polo vergleicht, stellt mit Erstaunen fest, daß der neue trotz des massiven Mehrgewichts nur einige Zehntel mehr verbraucht. Allerdings: Bisher begnügten sich das 45- und 55-PS-Aggregat mit Normalbenzin, jetzt muß es teures Super bleifrei sein.

Besonders stolz sind die VW-Mannen auf ihre neue Aufpreisliste. O-Ton Ferdinand Piëch: 'Den Polo kann ich mir zusammenstellen ohne Hilfe eines Verkäufers.' Der Grund für diese Begeisterung: Die Extras werden nicht mehr einzeln aufgeführt, sondern (zumindest teilweise) in Paketen. Daraus ergibt sich tatsächlich eine übersichtliche Preisliste, jedoch mit dem Nachteil, daß der Kunde bestimmte Zwangskombinationen kaufen muß. Wer beispielsweise elektrisch einstell- und beheizbare Außenspiegel haben will, muß gleichzeitig Nebelscheinwerfer und beheizbare Scheibenwaschdüsen kaufen - zum Gesamtpreis von 500 Mark.

Der Hauptvorteil der neuen Paket-Offerte liegt in der rationelleren Fertigung. VW-Boß Piëch: 'Wir konnten die Zahl der möglichen Varianten von drei Millionen auf 60 000 reduzieren.'

Trotz dieses kleinen Mankos und trotz der kleinen Macken wie die hohe Ladekante, das billige Notrad und die nicht voll versenkbaren Scheiben in den Fondtüren - der neue Polo ist ein gelungenes Auto.

Von Gernot Röthig

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