VW Passat / Golf Cabrio:Die Geburt von zweieiigen Zwillingen

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Das Golf Cabriolet hat seinen Überrollbügel behalten, der Passat wieder einen richtigen Kühlergrill bekommen

(SZ vom 18.08.1993) 'In Deutschland darf man nicht mehr hinterhereiern. Wie jeder Langläufer weiß, muß man den richtigen Zeitpunkt erwischen, um zu überholen,' stellte Ulrich Seiffert, Vorstandsmitglied für Forschung und Entwicklung bei Volkswagen, fest. Der richtige Zeitpunkt für 'KVP', wie Seiffert den 'Kontinuierlichen Verbesserungsprozeß' nennt, ist anscheinend bei VW jetzt gekommen, denn das Konzept lautet: Vereinheitlichung der Produktion. Das bedeutet, VW will unter dem Blechkleid - wo der Kunde nicht hinsieht - eine 'Harmonisierung' und dort, wo der Kunde etwas sieht, eine 'Individualisierung' erreichen.

Zu dieser äußeren Veränderung gehört zum Beispiel beim neuen Passat der wieder auferstandene Kühlergrill, denn: 'Die Kunden wollen das grillose Auto nicht', verkündete VW-Pressesprecher Karl- Günther Hornig. Zugleich wurden die Scheinwerfer und die Heckleuchten so modifiziert, daß sie sich jetzt jeweils bis in die Kotflügel ziehen. Der Kofferraumdeckel ist abgeflacht; dadurch wurde der Heckspoiler überflüssig und erscheint nur noch als nach oben gezogene Kante. Insgesamt wirkt sowohl die Limousine als auch der Variant in der Frontpartie spitziger und nicht mehr so bullig.

Trotzdem hat das 'Raumwunder' Passat nichts von seinen komfortablen Innenraumabmessungen einbüßen müssen. Nach wie vor haben die Passagiere im Fond reichlich Beinfreiheit, selbst wenn der Fahrer noch so hoch gewachsen ist. Alle Ausstattungsstufen von CL, GL, GT bis zum VR 6 Exklusiv haben nun auch zwei Airbags, Kopfstützen im Fond, Gurtstraffer und ABS serienmäßig. Zudem gehören jetzt Servolenkung, Fünfganggetriebe, Drehzahlmesser, Staub- und Pollenfilter zur Grundausstattung.

Den neuen Passat gibt es in sieben verschiedenen Motorvarianten, deren Palette von 55 kW (75 PS) bis zu 128 kW (174 PS) reicht: fünf Benziner und zwei Turbodiesel. Der 'kleine' Passat mit 55 kW bewältigt es nur zögerlich, die 1210 Kilogramm schwere und 32 730 Mark teure Limousine (der Variant ist noch 30 Kilogramm schwerer und 1100 Mark teurer) von der Stelle zu bewegen. Deshalb braucht die Tachonadel auch 16,3 Sekunden, bis sie die 100 km/h- Markierung erreicht hat, und die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 169 km/h.

Der TDI mit 66 kW (90 PS) kostet als Basislimousine 38 650 Mark, fährt zwar nur 9 km/h schneller und braucht 2,2 Sekunden weniger von Null auf 100 km/h, doch ist er drehfreudiger und deutlich flotter im Durchzug. Der Turbodiesel- Direkteinspritzer mit 1,9 Litern Hubraum verbraucht als Limousine 5,3 Liter auf 100 Kilometer im Drittelmix.

14 Jahre ist es her, daß das erste Golf Cabrio das legendäre Käfer Cabrio ersetzte. In dieser Zeit entwickelte sich der offene Golf mit rund 390 000 verkauften Exemplaren zum beliebtesten Cabrio Deutschlands. Und 90 Prozent dieser Freiluftfahrzeuge fahren heute noch auf unseren Straßen.

An diesen Erfolg soll natürlich das neue Golf Cabriolet, das vom 24. September an mit drei Motorvarianten verkauft wird, anschließen. Basis des Cabrios ist der Golf III.

Bei der Sicherheits-Philosophie bleibt VW Traditionalist und verziert den offenen Golf weiterhin mit einem Überrollbügel. Angesprochen auf die unterschiedlichen Konzepte von Audi und VW (ohne und mit Überrollbügel bei den Cabrios), verteidigte VW-Chef Ferdinand Piëch, beide Konzepte. Das Audi Cabrio habe einen völlig anderen Kundenkreis als das Golf Cabrio. Beim Audi setze man auf die Kombination Gurtstraffer plus Integral-Sitze, beim Golf auf den Bügel. 'Ich finde beide Lösungen gut', zog sich Piëch diplomatisch aus der Affäre.

Auch beim Golf Cabrio ziehen sich die Scheinwerfer mit den weißen Blinkern und die Heckleuchten bis in die Kotflügel, wodurch der offene Golf leicht gedrungen und bullig wirkt. Das Armaturenbrett ist weiterhin übersichtlich, allerdings muß man sich zum Beispiel für das Licht an einen Drehschalter, ähnlich dem von Mercedes, gewöhnen. In beiden Ausstattungsvarianten, in der das Cabrio jetzt angeboten wird, gehören zwei Airbags, ABS, Türverstärkungen und höhenvertellbare Gurte zur Serie.

Die drei Motorversionen reichen von 55 kW (75 PS/1,8l) über 66 kW (90 PS/1,8l) bis zu 85 kW (115 PS/2,0l). Die Höchstgeschwindigkeiten liegen zwischen 160 und 190 km/h. Doch für den überzeugten Cabriofahrer ist das nichtssagendes Zahlenmaterial, denn er will schließlich das offene Fahren genießen. Und das kann er im neuen Golf Cabriolet. Es müssen nur zwei Hebel gelöst werden, und das gut gepolsterte Dach, das wieder eine beheizbare Heckscheibe besitzt, kann kinderleicht, auch alleine, nach hinten geklappt werden. Wer es noch komfortabler will, kauft sich das elektro-hydraulische Dach. Zum Öffnen bleibt die Zündung ausgeschalten, und nur die Handbremse muß angezogen sein.

Mit dem neuen Golf Cabrio hat VW technisch und stilistisch einen mehr als würdigen Nachfolger für sein Erfolgsmodell entwickelt. So erhofft sich der Wolfsburger Automobilhersteller 13 000 verkaufte Exemplare des offenen Golf im ersten Jahr. Beim Passat wird wieder der Variant federführend sein, während die Limousine nur einen geringen Teil zu den Verkaufszahlen beitragen wird. Das scheint aber die VW-Oberen nicht zu stören, denn Ferdinand Piëch meinte zu diesem Thema: 'Eigentlich ist es uns egal, ob die Kunden eine Limousine oder einen Variant kaufen, Hauptsache es ist ein Passat.'

Von Marion Zellner

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