Vorgestellt: Rolls-Royce Phantom:Sie müssen sich leider eine andere Arbeit suchen, James!

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Das neue Motto im Hochadel des Automobilbaus lautet von sofort an: Für 371.200 Euro fahre ich doch lieber gleich selbst.

Georg Kacher

(SZ vom 1. / 2. 3. 2003) - Kein Personenwagen wirft höhere Schatten als der neue Phantom, nicht einmal das traditionelle Londoner Black Cab. Nur wenige Neuentwicklungen trotzen dem Fahrtwind so hartnäckig wie dieser Rolls-Royce, dessen Cw-Wert von 0,383 einem englischen Landhaus besser zu Gesicht stünde als einem Automobil.

Fast sechs Meter lang ist der neue RR Phantom. (Foto: Foto: Rolls-Royce (RR))

Kaum eine zweite Luxuslimousine sorgt für ähnlich viel Unruhe, wenn sie im Rückspiegel des Vordermanns erscheint. Was sich da formatfüllend breit macht, sieht aus wie ein Schloss auf Rädern mit großzügig verchromtem Zugbrückengrill, hoch aufgeschossenen Kotflügelzinnen, sechsfacher Festbeleuchtung und der Kühlerfigur Lady Emily im Tiefflug vorneweg.

Von wegen schlechte Zeiten! Die Zielgruppe wartet schon mit gezücktem Scheckbuch auf die Neuauflage des ultimativen Statussymbols, das im Jahr 2003 die Wellen des Verkehrs so selbstverständlich teilt als führe der Highway mitten durch den See Genezareth.

Wenn man das Datenblatt des seligen Phantom III mit dem allerneuesten Modell vergleicht, könnte man dem Trugschluss erliegen, dass sich die Automobilentwicklung in den vergangenen 68 Jahren kaum vorwärts bewegt hat. Schließlich wiegen beide Autos rund 2,6 Tonnen, beide werden von Zwölfzylinder-Motoren mit rund sieben Litern Hubraum angetrieben, beide sind ähnlich opulent proportioniert.

Evolution im Detail

Wo also steckt die Evolution, vom großen Durchbruch ganz zu schweigen? Antwort: nicht nur im Detail, sondern vor allem im Gesamtkonzept. Der allerneueste Phantom ist nämlich ein hochmodernes Automobil mit Aluminiumkarosserie, Luftfederung, Sechsgang-Automatik, pannensicheren Reifen und noch viel mehr.

Nur dort, wo aus Kostengründen BMW-Teile verbaut wurden, klemmt der Fortschritt. So haben die unmögliche Lenkstockhebelei, die komplizierte elektrische Sitzverstellung und der in einem Schubfach versteckte iDrive-Knubbel ihre funktionellen Schwächen von der 7er-Reihe geerbt.

Trotzdem ist der Schulterschluss mit BMW ein Glücksfall für Rolls-Royce, denn es hätte auch anders kommen können. "Ich habe fast überall vorgetanzt, war nicht nur in Europa, sondern auch in Japan und den USA auf Partnersuche," erinnert sich der Markenchef Tony Gott, der schon 1984 in Crewe anheuerte und der nach der Trennung von Bentley den Umzug ins neue Heim bei Goodwood organisiert hat. "Besonders spannend war die Situation 1994, als die eigentlich fix vereinbarte Übernahme durch Daimler-Benz in letzter Minute gestoppt wurde."

Tony Gott war später unter VW-Regie für Bentley tätig, kehrte dann zu Rolls-Royce zurück und arbeitet jetzt für die BMW Group. Da kann der bekennende Petrolhead aufatmen und frische Pläne schmieden. "Die neue Konstellation ist gut für Bentley und gut für Rolls-Royce," glaubt Tony Gott. "Warum? Weil sie die langen Jahre der Gleichmacherei beendet, als sich die Autos nur durch den Kühlergrill, die Motorisierung und den Preis voneinander unterschieden."

Selbst ans Steuer

Der neue Phantom macht Schluss mit der Mär von der fahrdynamisch zurückgebliebenen Chauffeurlimousine. "Acht von zehn Kunden sitzen selbst am Steuer," weiß Produktmanager Stefan Conrady. Kein Wunder: Wenn man 371.200 Euro ausgibt, will man nicht auch noch das Personal für den Spaß bezahlen, den man selbst gerne hätte.

Der Phantom gibt sich trotz viel Masse und noch mehr Gewicht so agil wie ein noch nicht erfundener BMW der 9er-Reihe, der sich zur Feier des Tages als Beihaus des Buckingham Palace verkleidet hat. Dieses Dickschiff segelt auf Kommando so hart am Wind wie ein Dingi, und wen die Schräglage bei starker Dünung stört, der soll an der Bordbar einen doppelten Whisky fassen oder von Deck gehen.

Schwächen? Den Bremsen tropft nach einer Fahrt entlang der Kampflinie der Schweiß von den Belägen, die Lenkung erfordert ständige kleine Kurskorrekturen, die Luftfederung mag weder Katzenaugen noch Querfugen, und das Getriebe quittiert den Kickdown-Befehl nur nach vorheriger Rückfrage beim Fahrer.

Mit den Rolls-Royce-Modellen der vergangenen 35 Jahre hat der Phantom fast nichts gemeinsam. Er ist viel wuchtiger als ein Silver Shadow, ganz anders proportioniert als ein Silver Spirit und um Lichtjahre unkonventioneller als der erst vor wenigen Monaten sanft entschlafene Silver Seraph.

In dieses Auto steigt man nicht ein, man betritt es. Die hinten angeschlagenen Fondtüren machen diesen Vorgang zwar um keine Bandscheibe bequemer, aber sie ermöglichten es den Designern, die Rücksitzbank in die Tiefe des Fonds zu verschieben und so jenes Gefühl der räumlichen Abtrennung zu schaffen, das von der öffentlichkeitsscheuen Kundschaft besonders geschätzt wird. Zur Abrundung des Ambientes werden Picknicktische, Schaffellvorleger und Make-Up-Spiegel aufpreisfrei mitgeliefert - very british eben.

Traditionelles Ambiente

Wir sitzen trotzdem lieber vorne, bevorzugt im linken Planquadrat zwischen schulterhoher Türbrüstung, twiggydünnem Drei-Speichen-Volant, dezent knarzendem Lederfauteuil und überbreiter Mittelkonsole.

Unser Blick schweift über die Instrumente und bleibt beim Power-Reserve-Display hängen, dieser snobistischen So-viel-Kraft-ist-noch-übrig-Anzeige, die im Phantom den Drehzahlmesser verdrängt hat.

Sehr nett sind auch das Multifunktionslenkrad im Kutschbock-Look der 30er Jahre, die verchromten Registerstreben für die unverzichtbaren Belüftungsrosetten, die seit Maria Stuarts Zeiten rot-blauen Rändelräder für die Temperatureinstellung und natürlich die flächendeckend verlegten Holzfurniere, auf Hochglanz poliert, symmetrisch aufgetragen und je nach Einsatzort unterschiedlich gemasert.

Früher gab Rolls-Royce die Motorleistung und das Drehmoment mit "ausreichend" an - ein dehnbarer Begriff, der eher nach unten streute und sich gern mit dem dürftigen Chassis solidarisch erklärte.

Seit BMW das Sagen hat, ist es vorbei mit der Geheimniskrämerei. Der wie die Rohkarosse aus Deutschland zugelieferte Zwölfzylinder hat - Tradition verpflichtet - ein Hubvolumen von 6,75 Liter, mobilisiert in Watte gepackte 338 kW (460 PS) und beschäftigt das Getriebe mit bis zu 720 Nm.

Das genügt, um auf Wunsch in 5,9 Sekunden von Null auf 100 km/h zu beschleunigen und erst bei 240 km/h das elektronische Handtuch zu werfen. Die Verbrauchsspanne reicht von der Werksangabe (15,9 Liter) bis zum aktuellen Tageskurs, der bei freier Bahn 25 Liter und mehr beträgt.

Natürlich tut die Marke damit dem Ozonloch keinen Gefallen, aber irgendwie drängt sich in diesem Zusammenhang der Gedanke auf, dass unser Planet die Jahresproduktion von 1.000 Phantom viel eher verkraften kann als eine einzige mutwillig in Brand geschossene Ölquelle.

Doch keine Angst - es geht hier nicht um die übergeordnete Sinnfrage, sondern um die Beurteilung eines ungewöhnlichen Automobils. Und die fällt positiv aus, denn dieser Rolls-Royce ist nicht nur Prunk, Pomp und Protz verpflichtet, sondern auch ganz eindeutig dem technischen Fortschritt.

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