TWIKE:Wegweiser Waschmaschine

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Das zweisitzige Gefährt muß häufig mit Strom aufgetankt werden

(SZ vom 29.07.1998) Wenn der Schweizer Nationalrat François Loeb zum Nordkap reist, dann hält er Ausschau nach Waschmaschinen. Einleuchtend, schließlich handelt es sich um eine Strecke von knapp 5000 Kilometern, und zudem muß der sportlich Reisende in die Pedale treten. Dennoch braucht Loeb die Waschmaschine nicht, um sie mit seinen verschwitzten Hemden und Socken zu füttern - sondern, um aufzutanken. "Überall wo eine Waschmaschine läuft, hat es 16 Ampère" erläutert der Schweizer, "dort kann ich mein Fahrzeug einfach an der Steckdose aufladen".

Treten verbessert die Reichweite

Sein Fahrzeug ist ein TWIKE, ein Hybridmodell, das Muskelkraft und Elektromotor zusammenführt. Zwei Personen finden in dem Leichtbaufahrzeug Platz, sie können - ähnlich wie bei einem Liegefahrrad - die Pedale bedienen oder sich ganz auf die Dienste der Nickel-Cadmium-Batterie verlassen. Zwischen 40 und 80 Kilometer reicht eine Batterieladung je nach Aktivität der Fahrer, Geschwindigkeit - 85 km/h sind maximal möglich -, Beschaffenheit der Strecke und Gewicht. Dann muß das TWIKE für ein bis zwei Stunden an die Steckdose, die kurze Ladedauer ermöglicht Tagesreichweiten von mehr als 250 Kilometern.

Den Verbrauch beziffern die Hersteller mit 4 bis 8 kWh pro 100 Kilometer, das entspricht umgerechnet 0,4 bis 0,8 Liter Benzin. 250 Kilogramm Leergewicht bringt die Konstruktion aus Aluminiumrahmen und thermoplastischer Karosserie auf die Waage, das maximale Gewicht liegt bei 400 Kilogramm. Fahrer und Beifahrer könnten ihr Eigengewicht durch fleißiges Treten im Fünf-Gang-Pedalantrieb durchaus kompensieren, versichert Wolfgang Möscheid, ein TWIKE-Pionier, der schon bei den Pilotfahrzeugen in der Schweiz in die Pedale trat.

Startschuß um Mitternacht

Auch er befindet sich gerade auf dem Weg zum Nordkap - im Rahmen des TWIKE Challenge 98. Die Idee der ungewöhnlichen Reise kam von François Loeb. Als begeisterter TWIKE-Fahrer fragte er sich eines Tages, ob man nicht auch bis zum Nordkap strampeln könnte. In der Nacht zum 1. Juli um 0. 01 Uhr fiel der Startschuß in Bern, am Schweizer Nationalfeiertag, dem 1. August, will man am Nordkap eintreffen und am 9. September wieder in Bern sein. 14 Fahrer sind mit von der Partie, sechs wie Loeb und Möscheid die kompletten 10 000 Kilometer. "Wenn die Tour einen kleinen Beitrag dazu leistet, daß man sich überlegt: 'Gibt es andere Lösungswege für Probleme, die anstehen', bin ich sehr glücklich", beschreibt Loeb seine Motivation. Die Probleme, das seien der drohende Verkehrsinfarkt und die wachsenden Gesundheitskosten - das TWIKE vereine beides: "Sich vernünftig im Verkehr fortbewegen und etwas für die Gesundheit zu tun". Und es sei ein Beispiel für Innovation in einem Land, "dessen einziger Rohstoff die grauen Hirnzellen sind", fügt der Schweizer Nationalrat hinzu. Das TWIKE ist die Erfindung dreier Absolventen der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Im Jahre 1986 wurde die Idee bei der EXPO in Vancouver vorgestellt, 1992 entstand die TWIKE AG in Gelterkinden bei Basel und vier Jahre später konnte die erste Serie von 190 Stück an Kunden ausgeliefert werden. Mittlerweile sind 300 TWIKE auf den Straßen unterwegs, 60 davon in Deutschland, wo im Februar 1998 die FINE (Forum für Intelligente und Nachhaltige Energiefahrzeuge) Mobile GmbH als Vertriebspartner gegründet wurde. Grundkonzept ist die "virtuelle Fabrik": Nur wenige Komponenten werden zentral montiert, der Rest in der jeweiligen Werkstatt vor Ort. Denn wer das Fahrzeug selbst zusammengebaut hat, kann es am besten warten und reparieren.

Bis zum Jahr 2000 will die FINE Mobile GmbH ein flächendeckendes Vertriebsnetz in Deutschland aufbauen - bislang gibt es lediglich zwei Zentren in Hessen. Die Produktion soll bis dahin auf insgesamt 1800 Fahrzeuge jährlich steigen. Denn ein Großteil der Autofahrten findet im Nahverkehr statt mit einer oder zwei Personen an Bord - ideale Einsatzmöglichkeiten für das TWIKE. Voraussetzung für den Fahrer ist in Deutschland der Pkw-Führerschein, in der Schweiz fällt das Leichtbaufahrzeug in die Klasse der Motorräder.

Billig ist das TWIKE nicht, derzeit ist es für ungefähr 30 000 Mark zu haben. Doch dafür belaufen sich die Energiekosten nur auf 1,50 Mark pro 100 Kilometer, rechnen die Hersteller vor. Außerdem "hält das TWIKE ein Leben lang", versichert Karosseriebauer Wolfgang Möscheid, "wenn nur immer wieder Einzelteile ausgetauscht werden". Das ist problemlos möglich, denn das TWIKE ist so konstruiert, daß es sich wieder vollständig zerlegen läßt - und dann auch Stück für Stück umweltfreundlich recyceln oder wiederverwenden.

Joystick als Lenkrad

Wie fährt sich nun ein TWIKE? Erstaunlich gut. Es beschleunigt schnell, bietet genügend Bewegungsfreiheit sowie einiges an Stauraum und läßt sich einfach bedienen: zwei Knöpfe für Gas und Bremse - wobei es zudem die vom Rad bekannte Rücktrittbremse gibt -, ein Joystick als Lenkrad. Gewöhnungsbedürftig ist die niedrige Sitzposition - und die Reaktion der anderen Verkehrsteilnehmer, die schon mal unvermittelt auf der Gegenfahrbahn stehenbleiben und wissen wollen, was es mit dem eigentümlichen Gefährt auf sich habe. Defensiv müsse man fahren, da Autofahrer einen unterschätzen, meint Loeb. Und man solle sich nicht zu sehr in die Kurven legen, denn "einen Elchtest gab es nicht".

Dennoch hat der Schweizer keine Angst, ins Schleudern zu kommen. Mulmig ist ihm vielmehr vor der Fahrt durch Finnland, denn dort gibt es teilweise auf einer Strecke von 90 Kilometern keine Waschmaschinen. Allerdings nicht, weil die Finnen auf Handwäsche setzen, sondern weil die Gegend völlig unbesiedelt ist. Im Notfall gilt: aussteigen und schieben, was wiederum zu wirklich verschwitzten Hemden führt . . .

Von Eva Wunderer

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