Turbodiesel-Motorrad:Neues aus Neander-Tal

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Das erste Turbodiesel-Motorrad der Welt ist fertig: Sein Motor leistet 100 PS, und für 95.000 Euro gibt es Navi und Zigarrenfach unterm Sitz.

Richard Kähler

Hoch oben im Norden der Republik leben eigenartige Menschen. So nass das Meer ist, so trocken ist ihr Humor, so knapp ihre Sprüche, so uferlos ihre Phantasie, und was anderen unmöglich erscheint, reizt sie besonders. Also hockten sich 1999 ein paar Männer aus Kiel, die es schon vollbracht hatten, mit der motorradfahrenden Comic-Figur namens Werner Millionen Bücher und Kinokarten zu verkaufen, wieder zusammen und fragten sich, was es noch nicht gibt.

Das Geheimnis dieses völlig neuen Motorenkonzepts basiert auf einer Idee aus dem Jahr 1903: dem Lancaster-Massenausgleich. Zwei gegenläufig rotierende Kurbelwellen, deren zwei Pleuel mit einem Kolben verbunden sind. (Foto: Foto: Neander)

Eine Idee aus dem Jahr 1903

Die Antwort, an diesem Abend auf einen Bierdeckel gekritzelt, lautete: "Ein Motorrad mit einem super Dieselmotor." Denn die Versuche bis dahin waren so selten wie unbefriedigend, leistungsfähige Mehrzylinder-Motoren zu groß und schwer, Ein- oder Zweizylinder-Diesel viel zu lahm; vor allem waren die Vibrationen nicht zu ertragen.

Und als sich dann zu den Kieler Visionären ein süddeutscher Motoren-Spezi gesellte, bekam eine scheinbar verrückte Motorenentwicklungs-Idee plötzlich Hand und Fuß. Hatte nicht Rupert Baindl aus dem bayerischen Geretsried mit einer eigenen Einzylinder-Konstruktion bei der "Sound-of-Singles"-Rennserie alles gewonnen, was es zu gewinnen gab, und als Krönung 1998 den Supermono-Europacup mit Fahrerin Katja Poensgen obendrauf?

Turbodiesel-Motorrad
:Dieselnd düsen

Turbodiesel und Motorrad? Das gab's seit 1903 nicht mehr. Ist's jetzt passiert - die Geburt einer Wundermaschine?

Das Geheimnis dieses völlig neuen Motorenkonzepts basiert auf einer Idee aus dem Jahr 1903: dem Lancaster-Massenausgleich. Zwei gegenläufig rotierende Kurbelwellen, deren zwei Pleuel mit einem Kolben verbunden sind. Und Rupi, wie Baindl von allen genannt wird, sagte zu den Kielern: "Warum bringen wir so einen Motor nicht als Diesel auf die Straße - der erste Turbodiesel der Welt in einem Motorrad?"

"Das Macker-Motorrad", wie Schauspieler Heinz Hönig die ebenso bombastische wie elegante Neander spontan betitelte. (Foto: Foto: Neander)

Seitdem sind sieben Jahre harter Entwicklungsarbeit ins Land gegangen. Ohne großen Konzern im Rücken braucht es eben Leidenschaft und Durchhaltevermögen. Und begeisterte Fachleute: "Alles hoch qualifizierte Profis aus dem Rennsport, echte Enthusiasten, die nur an Projekten arbeiten, die sie wirklich interessieren", beschreibt Lutz Lester, Vorstand der Neander-Motors AG, sein nicht einmal 20-köpfiges Team.

"Anfangs lachten uns alle aus und fragten, warum wohl seit 1903 nie einer so einen Motor wieder gebaut hat. Aber als hochkarätige Vertreter der Industrie am Prüfstand die Hand auf den ersten laufenden Motor legten und anerkennend bemerkten, dass das Aggregat wirklich nicht vibriert, war das ein toller Moment."

1,4 Liter Hubraum, 100 PS, 200 Nm

Auch für Werner Bauer, Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München und Leiter des Motoren-Labors, der die Feinabstimmung des Neander-Motors übernahm: "Ein großartiges Projekt, das mich sofort gereizt hatte."

Nun hängt der Reihen-Zweizylinder zwischen zwei Rädern: 1,4 Liter Hubraum, modernste Common Rail-Einspritztechnik, Abgasturbolader, 100 PS und 200 Newtonmeter Drehmoment - fast doppelt so viel wie eine Harley-Davidson. Ex-Motorrad-Rennfahrer Martin Wimmer optimierte das Spezial-Fahrwerk mit der einmaligen Doppel-Telegabel und die begeisterte Hilfe renommierter Firmen wie Bosch, Motul, White Power, Brembo oder Emitec sicherten den extrem hohen Qualitätsanspruch der Neander-Perfektionisten.

Lester und seine Leute arbeiten bereits an Adaptionen ihres Hochleistungs-Diesels für Generatoren, Marine-In- und Außenborder, Quads, Sportflieger und Autos. Auch die Bundeswehr ist an dem ultrakompakten Dieselkraftprotz interessiert, der so ideal in das von der Nato geforderte "One-Fuel-Konzept" passt; ein Konstruktionsvertrag mit Mahle-Powertrain, der weltberühmten Cosworth-Motorenschmiede, wurde soeben unterschrieben.

Breites Einsatzspektrum

Aber erstmal gibt es nun das "Macker-Motorrad", wie Schauspieler Heinz Hönig die ebenso bombastische wie elegante Neander spontan betitelte. Mit eingebautem Navigationsgerät und Zigarrenfach unter dem beheizbaren Sitz.

Nach seinem Auftritt bei den Motorradmessen in Paris und Mailand kann es vom 1. bis 9. Dezember dann auch auf der Essener Motorshow am Stand von Brembo bestaunt, eine Testfahrt vereinbart oder hingerissen von diesem makellosen Monster auch gleich bestellt werden. Denn die Lieferzeit der Neander, als exklusive Kleinserie in Handarbeit gefertigt, beträgt ein Jahr.

Fehlt noch was? Ach ja, der Preis: "95.000 Euro", spricht Neander-Marketing-Leiter Jan Poppe die große Zahl gelassen aus. Und fügt mit tröstendem Lächeln hinzu: "Aber mit nur 4,5 Liter Diesel für 100 Kilometer hat sich das Bike ja schon nach ein paar Millionen Kilometern amortisiert".

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